Mark Lanvall

Lichtsturm


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Tag weitere Überraschungen ausblieben.

      „Den Bären haben uns die Götter geschickt“, rief Murddin zwischen zwei Bissen. Fleischreste hatten sich über seinen Schnurrbart verteilt. Den Vorfall vom Abend, die Furcht vor den Feuerfressern hatte er ganz offensichtlich vergessen.

      „Dann frage ich mich, was ich Ihnen getan habe“, antwortete Kellen.

      Murddin lachte und offenbarte dabei, was er sich kurz davor in den Mund gesteckt hatte.

      „Ich wünschte nur, ich wäre schneller gewesen als Fürst Morcant“, sagte der Krieger wieder etwas ernster.

      „Warum?“ Ardric sah ihn fragend an.

      „Weil ich noch niemals einen Bären erlegt habe. Darum. Ein Krieger sollte das in seinem Leben mindestens einmal getan haben. Aber Morcant ...“

      Er machte eine Pause. Seine Miene wurde ernst und er sah zu dem Fürsten hinüber, der sich abermals auf dem Felsen auf der anderen Seite des Plateaus niedergelassen hatte. Dort saß er nahezu regungslos. Sein Helm lag neben ihm. Aber er trug das Kettenhemd, das er nur zum Schlafen und Waschen ablegte. Matt glänzten tausende eiserne Ringe in der Sonne. Kellen wusste, dass es weit mehr war für den Fürsten als bloßes Rüstzeug. Das Hemd sollten etruskische Schmiede für ihn gefertigt haben. Das Volk auf der anderen Seite der Großen Berge konnte mit Eisen umgehen wie kein anderes. Von den Etruskern hatte Morcant wohl auch die Sitte übernommen, sich Kinn und Wangen vollständig zu rasieren, vermutete Kellen. Hätte er nicht den goldenen Halsreif und die bunt karierte Hose - niemand hätte Morcant wohl als Keltenfürst erkennen können.

      „Morcant war schneller“, fuhr Murddin fort. Seine Augen funkelten vor Missgunst. „Er war unglaublich schnell. Und dabei so leise, dass ihn das Biest erst bemerkte, als es schon zu spät war.“ Er zuckte dabei bedauernd mit den Schultern.

      „Fürst Morcant ist ein großer Fürst. Er ist weit gereist und hat mehr grauenvolle, aber auch schöne Dinge gesehen, als wir uns in unseren kühnsten Träumen vorstellen können“. Ardric sagte das mit so viel Bedeutung in der Stimme, als rufe er die Götter an.

      Murddin warf ihm einen missmutigen Blick zu.

      „Mag sein. Aber sieh ihn dir an! Morcant sitzt auf seinem Felsen, als bestünde das Leben aus einer schönen Aussicht. Manche sagen, er sei nur zur Hälfte Mensch und zur anderen einer aus dem dunklen Volk. Das würde einiges erklären.“

      „Genug jetzt, Murddin!“ Kellen setzte sich auf. Seine Schulter und seine Knie schmerzten. Aber dennoch ging es ihm deutlich besser als noch vor wenigen Stunden. Der Druidenschüler verstand sein Handwerk. Wenigstens das musste man ihm lassen.

      „Zügle dein Mundwerk! Du solltest den Fürsten weit mehr fürchten als die Feuerfresser, die über uns hinweggezogen sind. Glaub nicht, dass ihm deine Vorstellung gestern entgangen ist!“

      Murddin sah betreten zu Boden. Ein unangenehmer Gedanke, den der Krieger offensichtlich gerne für immer aus seinem Kopf verbannt hätte.

      „Verzeih, Häuptling!“, murmelte er leise.

      Die Männer schwiegen einen Moment. Allerdings war die Stille nicht von langer Dauer. Ardric hatte den Mund gerade leergegessen und nutzte die Pause, um einmal mehr mit seinem Wissen über die Feuerfresser zu prahlen.

      „Mein Meister hat die Germanen aufgesucht, als die Feuerfresser zum ersten Mal bei uns gesehen wurden. Er hat viel über sie erfahren. Wusstet ihr, dass sie aus dem Norden kommen und nun auch bei uns Jagd machen? Aber - ich sagte es bereits - weder auf Menschen noch auf Tiere. Oh nein. Sie haben es auf ...“

      Kellen brachte ihn abermals mit einem seiner stechenden Blicke zum Schweigen. Was musste eigentlich noch passieren, damit der Junge lernte, wann er besser die Klappe hielt? Der Häuptling kam sich schon vor, als wäre er einer dieser strengen Druidenmeister, die ihre Schüler mit harten Worten und beizeiten auch dem Stock züchtigten. Dabei war es Murddin, der noch viel mehr zu lernen hatte als der junge Ardric. Der Druidenschüler hatte wenigstens Verstand.

      „Ardric, ich habe Schmerzen“, sagte Kellen dann im versöhnlichen Ton. „Warum machst du mir nicht noch einen Topf von diesem großartigen Sud?“

      „Aber ...“ Der Druidenschüler stutzte einen Moment. Dann erhob er sich aber wortlos und machte sich wieder auf die Suche nach Kräutern und Farnen.

      Als er außer Hörweite war, seufzte Murddin.

      „Morcant ist ganz gewiss ein großer Fürst. Daran zweifele ich nicht“, sagte der Krieger eindringlich. „Aber warum sagt er uns nicht, was er vorhat? Was machen wir hier in dieser Wildnis, Häuptling Kellen? Und warum sind wir nur zu fünft? Morcant hätte hunderte Krieger mitnehmen können.“

      Kellen runzelte die Stirn. Die Fragen waren natürlich berechtigt. Auch er hatte sie sich bereits gestellt. Allerdings standen sie weder ihm noch einem einfachen Krieger wie Murddin zu. Er hatte nicht das Recht, die Befehle eines Fürsten zu hinterfragen. Der Krieger lief offenbar abermals Gefahr, zu weit zu gehen. Die Grenze zwischen Mut und Dummheit hatte bei ihm keine Konturen. Er kam Kellen wie ein freches Kind vor, das man vor sich selbst schützen musste.

      „Die Götter haben jeden von uns mit Aufgaben bedacht, Murddin.“ Der Häuptling sprach langsam und ruhig. „Du bist ein Krieger, der kämpfen soll. Der Fürst muss führen, denken, Entscheidungen treffen. Er glaubt, es ist besser, dieses Land in Frieden zu betreten, statt mit einem Heer einzufallen. Die Götter kennen seine Gründe. Aber eines ist gewiss: Seine Aufgaben sind weit schwieriger als deine. Und du tust gut daran, ihm zu folgen, statt ihm im Wege zu stehen. Das würde er nicht zulassen.“

      Wieder eine Warnung. Murddins Miene nahm sehr ernste Züge an. Der Krieger strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und streichelte seinen Schnurrbart. Ein paar der Essensreste segelten gemächlich zu Boden.

      „Aber so weit wirst du es nicht kommen lassen, Reiterkrieger Murddin. Habe ich recht?“

      Kellen lächelte und legte die Hand auf die Schulter des Kriegers. „Schließlich hat uns Fürst Morcant mitgenommen, weil er glaubt, dass wir die Besten für diese Reise sind - wohin auch immer sie uns führen wird.“

      „Hat er das gesagt?“ Murddins Gesicht gewann wieder an Farbe.

      „Das nicht. Aber denk darüber nach! Er hätte andere als uns auswählen können. Das hat er aber nicht. Warum sonst sind wir hier?“

      Murddin nickte zögernd.

      „Aber was will er dann mit diesem rotzigen Druidenjungen?“

      Kellen zuckte mit den Schultern.

      „Du weißt, dass Morcant immer gerne einen Gelehrten um sich hat. Nun sind aber die Druiden alle zu alt für eine solche Reise. Mit ihnen würden wir nicht weit kommen. Ardric dagegen ist jung und trotz seines Mundwerks ist er der Beste unter den Schülern.“

      Murddin schüttelte missmutig den Kopf und stopfte sich ein weiteres Stück Bärenfleisch in den Mund.

      Er verschluckte sich daran, als Domhnall lautstark Alarm gab.

      „Wir bekommen Besuch!“, rief er. „Zwei Männer sind es. In Begleitung von Ardric.“

      Kellen und Murddin sprangen auf und schnallten sich ihre Schwerter um.

      Und auch in die Statue am Felsen kam endlich etwas Bewegung. Kellen sah, dass sich der Fürst langsam erhob, dann aber einen Moment lang verharrte - so, als wusste er, wie sehr seine erhabene Erscheinung wirkte. Morcants Umrisse zeichneten sich schwarz vor einem Gemenge an grauen und weißen Farben am Himmel ab. Das etruskische Kettenhemd spielte dazu eine helle, monotone Melodie. Dann lief der Fürst ohne Hast auf die Stelle zu, an der der schmale Pfad auf dem Felsplateau endete. Kellen und die beiden Krieger stellten sich hinter ihm nebeneinander auf - die Hände am Schwertknauf. Dann warteten sie.

      Der ältere der beiden Ankömmlinge war ein Druide, vermutete der Häuptling. Langes, graues Haar wallte unter seiner speckigen Kappe hervor. Der Übergang zu seinem mächtigen Bart war fließend. Sein Gewand reichte bis zum Boden herab, wo es