Conrad H. von Sengbusch

Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936


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dem Abschluss der Minenräumaktion konnten deutsche Fischer bei den Alliierten die umgebauten KFK-Kutter chartern und sie später von der Bundesregierung kaufen. Die in Komposit-Bauweise (Stahlskelett mit Holzbeplankung) gefertigten Kutter wurden während des Krieges universell als Räum-, Vorposten-, Wachboote und U-Jäger eingesetzt und hatten sich als sehr seetüchtig erwiesen. Etwa 24 der ursprünglich gut 600 gebauten Boote sind noch bis heute (2004) in Fahrt!

      Die ausgeschlachteten Rümpfe der Flugsicherungs-, Räum- und Schnellboote fanden zahlreiche private Interessenten. Eine Partie ging als Wohnschiffe nach Duisburg, wo sie im Parallelhafen 36 festmachen sollten, andere wurden von vermögenden Bremer Kaffeeröstern zu schnittigen Motoryachten umgebaut. Die beiden 750-PS-MAYBACH-Motoren verhalfen den Schiffen zu hohen Geschwindigkeiten, und so schauten wir bei unseren sonntäglichen Spaziergängen schon ein bisschen wehmütig zu, wenn diese Lustyachten an sonnigen Pfingsttagen mit hübschen Mädchen an Bord dicht unter Land vorbeizogen. Die Eigner begleiteten mit ihren Booten die Regatta der Hochsee-Segelyachten auf deren Tour nach Helgoland. Andere betuchte Leute, auch solche aus der Showbranche, liebten es ruhiger. Die ließen sich dann ehemalige KFK-Kutter zu hochseetüchtigen Segelyachten umrüsten.

      Kriegs-U-Jäger „KUJ 12“, schon zur Nachkriegsverwendung als Fischdampfer geplant

      Bei den Demontagen passierten auch manchmal kleine Pannen. Um die Maschinen auszubauen, musste erst einmal das ‚Skylight’, die Abdeckung des Maschinenraumschachtes, abgebaut werden. Der Kranhaken mit dem Stropp war schon angeschlagen, und die meisten Bolzen der Verschraubung entfernt worden. Die Werftleute machten Feierabend. In den Abendstunden erschütterte eine lautes Poltern und Rumoren unseren Ort, so, als wären zwei Güterwaggons in voller Fahrt aufeinander gekracht. Was war geschehen? Das Skylight hing noch an zwei Bolzen. Als dann Ebbe lief, hing kurzzeitig das ganze Räumboot an unserem 27-m-Turmdrehkran. Die Bolzen scherten ab, und der nun plötzlich entlastete Kran erschütterte in seinen Fundamenten. Seine holländischen Erbauer hatten gute Arbeit geleistet, der Kran blieb intakt!

      Schon vor meiner Zeit bekamen wir einen ehemals deutschen „KUJ“ (Kriegs-U-Jäger) aus belgischer Beute. Mit ihrer modernen und soliden Konstruktion, die schon den Nachkriegseinsatz als Fischdampfer vorsah und der Eisverstärkung am Steven und am Heck, bildeten diese Schiffe eine ideale Grundsubstanz zum Umbau in ca. 550-BRT-Fischdampfer für den Grönlandeinsatz.

      „OTTO F.C. BERTRAM“

      Aus dem „KUJ 12“ entstand bei Mützelfeldt der FD „OTTO F. C. BERTRAM“. Diese fast noch komplett ausgerüsteten Einheiten waren Fundgruben für Ausrüstungen aller Art. Allein in der E-Anlage fiel eine Menge an wieder verwertbarem, neuwertigem Material, wie Generatoren, Motoren, Schalttafeln etc. an. Für mich war das Ausbaugut ein Hort ständiger Versuchung, aber ich musste hart gegen mich selbst bleiben. Der Meister hatte inzwischen wohl herausbekommen, dass ich mich sehr für Funkanlagen interessierte. Von meiner spärlichen Ausbildungsvergütung von 35 Mark im Monat konnte ich mir natürlich keine Funkanlage leisten.

      Mit Hilfe von Ernst Reinartz hatte ich mich nämlich schon seit einem Jahr auf die Prüfung als Funkamateur vorbereitet und im Februar 1954 diese zum frühest möglichen Zeitpunkt mit 18 Jahren bei der Oberpostdirektion in Hamburg bestanden.

      Und gerade mich beauftragte der Meister bei späteren Abbau-Aktionen immer wieder, die gesamte FT-Anlage, Ortungsgeräte, Kommandoanlagen und mehr sicherzustellen. Gleichzeitig erinnerte er mich bei jedem Auftrag immer wieder daran, sollte ich auch nur ein Teil des Ausbaugutes an mich nehmen, dann wäre meine Zukunft ruiniert. Manche Versuchungen nahmen mir einzelne Werftleute ab, die grundsätzlich alles privat gebrauchen konnten. Einer von ihnen verbreitete, dass die „Matratzen“-Antennen der Funkmesseinrichtungen aus purem Silber seien. Innerhalb kürzester Zeit waren Bolzenschneider zur Hand, und die „Experten“ zerlegten in Windeseile diese filigranen Metallkonstruktionen in handliche Schrottpartien. Am nächsten Tag hörte ich, dass es nur eine seewasserfeste Legierung gewesen sei. Da hatten wohl schon einige Leute den Verkauf versucht. Wieder andere Interessenten sicherten sich die Einschübe und den Inhalt des ganzen ELA(Elektro-Akustik-Anlage)-Gestells mit dem 70-W-Kommandoverstärker, dem Plattenspieler, den Schallplatten, dem Bedienteil und dem großen TELEFUNKEN-Gemeinschaftsempfänger ELA 1012. Wie sie diese Geräte aus der Werft herausschafften, ist mir heute noch ein Rätsel. Vielleicht hatte der Meister ja auch die Zustimmung gegeben. Werftarbeiter hielten zusammen.

      Sie konnten manches gebrauchen, und im Tausch konnte man von den Leuten auch einiges bekommen. Die Keller und Schreberbuden waren damals gut für manche Überraschung. Immerhin, das nun leere Gestell der ELA-Anlage war noch vorhanden, das durfte ich dann auch noch ausbauen. An den Einrichtungen der Funkanlagen war außer mir niemand interessiert. Die wunderschönen Kurz- und Langwellensender, UKW-Bord-zu-Bord-Funksprechgeräte, Empfänger, Peiler, Funkmess- und Sichtgeräte, Umformer, Morsetasten, Kopfhörer, Ersatzteile und weiteres reichhaltiges Zubehör, nicht zu vergessen die ENIGMA-Verschlüsselungsmaschine (heutzutage ein Wert von 20.000 €) wogen ja auch Zentner. Ich baute also die gesamten Partien aus und verbrachte sie zu unserem Lager „Ostseite“. Da standen schon in langen Reihen Geräte gleicher Art und Type aus früheren Abbau-Aktionen. Man darf heute als geläuterter alter Funker über diese Zeit nicht nachdenken: Vermögende Sammler blätterten heute allein für die funktechnischen Geräte, die auf unserer kleinen 700-Mann-Werft anfielen, ohne nachzudenken den baren Wert eines Zweifamilienhauses in guter Lage hin. Kurzum, eines Tages erhielt ich vom Meister die Order, für einen seiner Bekannten diverse Teile aus diesen Geräten auszubauen. Es tat mir in der Seele weh, hier intakte Substanz mit Seitenschneider, Kombizange und Schraubendreher plündern zu müssen, blieb für meine Funkbude dabei doch nichts übrig. Von Zeit zu Zeit bekam ich (wer sonst?) dann den Auftrag, die Geräte auf den Lkw des örtlichen Schrotthändlers H. zu verladen. Der zahlte der Werft nur drei Pfennige pro kg Funkschrott und maulte noch, weil die Kabelbäume aus den Geräten noch nicht herausgeschnitten waren und damit Spritzguss und Kupfer schon mal getrennt waren. Andererseits war er auch viel zu gerissen, um mir auch nur eines der Geräte günstig zu verkaufen. Aus der Traum. Für die Ausrüstung meines „Funkshacks“ musste ich andere Quellen finden.

      Kleinlaut nahm ich wieder Kontakt mit unserem Laternenanzünder auf, den ich ab und an traf und ihm von meinem Malheur mit einem Mitglied des damaligen „Allg. Radio-Bund Deutschlands e.V.“ berichtete. Er war mir wohl gesonnen. So wurde ich kurz darauf für ganze 5 Mark Besitzer des PHILIPS-Allwellenempfängers „H2L7“ nebst zugehörigem Universalnetzteil. So konnte ich schon mal als Hörer dem örtlichen Funkverkehr am Sonntagmorgen lauschen. Etwas später bekam ich aus der gleichen Quelle für 35 Mark, also einem ganzen „Monatslohn“, einen weiteren PHILIPS-Kurzwellenempfänger, den „HMZL 34 okm“. Dieses Gerät der ehemaligen Kriegsmarine hatte noch weit mehr Möglichkeiten und konnte mit dem gleichen Netzteil wie der „H2L7“ betrieben werden konnte. Stolz schleppte ich den etwa 40 kg schweren Empfänger nach Hause. Nun, da ich einen Superhet der Spitzenklasse hatte, gehörte ich zur „Creme“ der Besitzenden unter den Funkamateuren in Cuxhaven. Es fehlte nun nur noch der Sender, aber davon später mehr. Der Grundstock für eine eigene Funkstation war jedenfalls schon mal geschaffen.

      Doch zurück zum Werftalltag: Pünktlich am Montagmorgen mussten die Berichtshefte abgeliefert werden. Darauf legte der Meister großen Wert. Immerhin gab es auch damals unter den Lehrlingen einige, die sich sehr gehen ließen und die abzugleiten drohten. Viele Kinder wuchsen ohne Vater auf, der gefallen, vermisst oder noch in Gefangenschaft war, und manche Ehe hatte auch nicht gehalten und wurde geschieden. Die allein erziehenden Mütter baten dann den Meister „an Vaters statt“ die Erziehung mit zu übernehmen. Für diese Aufgabe fanden sich neben dem Meister auch immer ein paar Gesellen, denen der Ruf nach „Zucht und Ordnung“ noch sehr vertraut war. War also am Montagmorgen das Berichtsheft nicht vorhanden, dann fragte der Meister sofort, ob der Bericht denn geschrieben sei. Nur einmal sagte Uwe S., dass der Bericht fertig geschrieben zu Hause läge und er ihn nur vergessen habe. Meister L. gab ihm wortlos sein Fahrrad und den Budenviz als Begleitperson gleich mit dazu und sagte, er, Uwe, hätte 20 Min. Zeit für die Hin- und Rückfahrt.