Patrick Sandro Nonn

Abschiedsbrief an die Liebe


Скачать книгу

auf die Tanz­flä­che zer­ren las­sen. Wie win­det man sich da am Bes­ten wie­der her­aus? Ist man so ge­schickt wie ich: Gar nicht. Man macht sich lä­cher­lich. Man be­schließt, nie wie­der auf ei­ne Par­ty zu ge­hen, ob­wohl man ge­nau weiß, am nächs­ten Sams­tag steht die nächs­te Par­ty an. Na­tür­lich geht man hin. Und so wie die Par­tys da­hin­ge­hen, ge­hen die Jah­re, die Ju­gend, das Le­ben. Die Zeit ver­rinnt, tag­täg­lich müss­te man sich sa­gen: „Car­pe diem“, nut­ze den Tag, mach et­was Be­son­de­res aus dei­nem Le­ben, be­vor dei­ne Stun­de schlägt, be­vor du eins wirst mit dem Sand der Ewig­keit. Die Zeit mit dir, Ste­pha­nie, war im­mer et­was Be­son­de­res. Sie war car­pe diem. Er­füll­ter hät­te ich kaum le­ben kön­nen. In mei­ner Gala­xis warst du der hells­te Stern und je sel­te­ner ich die Ge­le­gen­heit be­kam, dich zu tref­fen, de­sto hel­ler strahl­test du in mei­nen Ge­dan­ken, de­sto leuch­ten­der emp­fand ich dei­ne Schön­heit.

      Un­se­re Tref­fen wa­ren wun­der­bar per­fekt, so­lan­ge ich mich an die un­aus­ge­spro­che­ne Re­gel „Sag mir nicht, dass du mich liebst und nicht dass ich dei­ne Traum­frau bin“ hielt. Je­de Verab­re­dung plan­te ich im Voraus, schrieb re­gel­rech­te Dreh­bü­cher, ent­warf Sze­ne­ri­en, wie ich dich sanft auf mei­ne Sei­te zer­ren konn­te. Der Ver­such, sie um­zu­set­zen schei­ter­te je­des Mal kläg­lich dar­an, dass du dich nicht von mir be­ein­flus­sen ließest, mei­ne rhe­to­ri­schen Raf­fi­nes­sen ab­schmet­ter­test, nicht in mei­ne Fal­len tapp­test, An­spie­lun­gen igno­rier­test und mei­ne zag­haf­ten Ver­su­che, zärt­lich zu dir zu sein, nicht be­merk­test. Zu­ge­ge­ben, ich ver­hielt mich über­vor­sich­tig. Ein Pan­ther im Balan­ce­akt zwi­schen heißem Blech­dach und zu dün­nem Eis. Ich hat­te al­len Grund da­zu. Mir war bes­tens be­kannt, was pas­sier­te, wenn ich mich zu weit aus dem Fens­ter lehn­te. Ich wur­de au­gen­blick­lich des Ver­rats an un­se­rer Freund­schaft an­ge­klagt, für schul­dig be­fun­den und hin­ge­rich­tet in ei­nem Atem­zug, weil du es par­tout nicht wahr­ha­ben woll­test, dass ich nie­mals auf­ge­hört ha­be, dich zu lie­ben. Na­tür­lich ha­be ich es oft ver­sucht, zu leug­nen, mir aus­zu­re­den, ab­zutö­ten, dich zu has­sen. Wenn du es von mir wis­sen woll­test, ha­be ich na­tür­lich ge­schwo­ren, dass sich die Er­de nicht um die Son­ne dreht, um dei­ne Nä­he ge­nie­ßen zu dür­fen und selbst dar­aus muss­test du mir einen Strick dre­hen. In man­chen Punk­ten wä­re es gut ge­we­sen, hät­test du dein Schne­cken­haus nicht ver­las­sen. Ich weiß nicht, ob du dich au­ßer um „Nein“ zu mir zu sa­gen, über­haupt vor sei­ne Tür ge­wagt hast, denn mein Pre­di­gen nütz­te ja nichts. Ge­pre­digt ha­be ich. Mit glü­hen­dem Her­zen und En­gels­zun­gen ha­be ich an dein Selbst­be­wusst­sein ap­pel­liert. Wer auch im­mer es dir aus­ge­re­det hat, das Selbst­be­wusst­sein, er oder sie hat gan­ze Ar­beit ge­leis­tet. Wa­rum konn­test du nicht die­ses Zu­ge­ständ­nis ma­chen und ein­se­hen, dass du mei­ne Traum­frau bist? So schwer kann das doch nicht sein. Nur ein klei­nes biss­chen Mut hät­test du da­für auf­brin­gen müs­sen. In an­de­ren Din­gen, be­ruf­lich zum Bei­spiel, warst du doch wil­lens­stark, selbst­be­wusst und ziel­stre­big.

      Dir war im­mer klar, was du woll­test. Genau so wie du dir stän­dig Män­ner aus­ge­sucht hast, die dich schlecht be­han­deln. Scha­de, dass du dich nicht ger­ne auf Hän­den tra­gen, ver­wöh­nen und ver­göt­tern lässt. Den Job hät­te ich ger­ne über­nom­men. Dein Wil­le wä­re ge­sche­hen. Ein Wim­pern­schlag von dir, ein auf­mun­tern­der Blick. Du hät­test mich mit ei­nem Blick zum Schmel­zen brin­gen kön­nen. So schmolz ich nur in­ner­lich vor mich hin und nur mei­ne Hoff­nung schmolz, bei dem Be­mü­hen mei­ne Lie­bes­glut mit ei­si­ger Käl­te zu be­kämp­fen. Größ­ten­teils zweck­los. Oh­ne Er­folg. Um dich zu ver­ges­sen, ha­be ich dich zu oft ge­se­hen. Teil­wei­se dein Ver­schul­den. Es gab von dei­ner Sei­te aus, im Gro­ßen und Gan­zen, ja nichts da­ge­gen ein­zu­wen­den, mich zu tref­fen. Manch­mal glaub­te ich fast, es wür­de dir Spaß ma­chen, mich zu quä­len. Oder ich ließ mich ger­ne quä­len. Je nach dem. Ei­gent­lich ver­fü­ge ich nicht über ei­ne ma­so­chis­ti­sche Ader. Aber wer weiß, was einen die Lie­be al­les er­dul­den lässt. Sie macht dich im Handum­dre­hen zahm und ge­fü­gig. Sie hilft ei­nem al­les zu er­tra­gen. Auch das liegt in ih­rer Na­tur. (Al­te Weis­heit aus der Bi­bel.)

      Sie be­trügt, die Lie­be. Denn die Zeit, in der man al­les er­trägt, könn­te man sehr viel sinn­vol­ler ver­brin­gen und Aus­schau nach an­de­ren Mäd­chen (Frau­en) hal­ten. Nein, man übt sich in Ge­duld und auch das völ­lig sinn­los. An car­pe diem nicht zu den­ken. Zeit ver­streicht un­be­rührt von wich­ti­gen Er­eig­nis­sen. Der Au­gen­blick an sich, das Wie­der­se­hen ist das Ein­zi­ge, wor­auf es ei­nem an­kommt. Ist es dann end­lich so­weit, er­geht man sich nur wie­der in rück­sichts­vol­lem Small Talk oder Ge­sprä­chen, die durch­aus Fun­da­ment und Tief­gang ha­ben, hört sich Ge­schich­ten über das elen­de Fehl­ver­hal­ten des Part­ners an und fasst es nicht, wie blind du bist. Du machst die Au­gen zu und da­mit ist das uns be­tref­fen­de Ka­pi­tel ab­ge­hakt. En­de, aus, vor­bei. Wenn du dich ger­ne quä­len lässt, bin ich doch ge­nau der rich­ti­ge. Durch dich ha­be ich den Sa­dis­mus, mei­nen Sa­dis­mus über­haupt erst ken­nen ge­lernt. Für den Fall, dass du von Zeit zu Zeit ein we­nig Er­nied­ri­gung und De­mü­ti­gung brauchst, kann ich auch da­für ger­ne sor­gen. Der ent­schei­den­de Vor­teil bei mir ist dir si­cher be­kannt: Auf­rich­ti­ge Ver­eh­rung. Du er­war­test mitt­ler­wei­le ja nur noch, dass man dich tritt! Wa­rum un­ter­nimmst du nichts da­ge­gen? Lass mich doch dein Ver­wöhnaro­ma sein. Kannst du dir über­haupt vor­stel­len, wie schön das ist, ver­wöhnt zu wer­den? Du kannst es nicht! Ich weiß näm­lich, was du un­ter ver­wöhnt wer­den ver­stehst: Sich mit dem biss­chen, das man ge­bo­ten be­kommt, zu­frie­den zu ge­ben. Das ist aber nicht al­les, was man als schö­ne Frau er­war­ten darf. Kei­ne Dis­kus­si­on jetzt! Stell dir vor, ich ha­be mei­ne ei­ge­ne Mei­nung über dein Aus­se­hen. Ich fin­de dich wun­der­schön. Nur da­mit du dich dar­über är­gern kannst, es noch mal von mir zu hö­ren: Ich fin­de dich wun­der­schön! Ob­wohl ich da­bei bin, mein Le­ben von dei­nem zu tren­nen, wird sich die­se Mei­nung in mei­nen Ge­hirn­win­dun­gen hal­ten, bis ich zu Asche zer­fal­le. Die­se grau­sa­me Tat­sa­che, die sich wie ein wi­der­hal­len­des Echo zwi­schen mei­ne Ge­dan­ken drängt, ist: Ich lie­be dich, ich lie­be dich, ich lie­be dich. Was soll ich da­ge­gen un­ter­neh­men? Je­den Tag sa­ge ich mir: “Ich muss nichts von ihr hö­ren, sie lebt ihr Le­ben, ich le­be meins.“

      Ir­gend­wie ha­be ich da­bei das Ge­fühl, ich be­lü­ge mich selbst. Zu­min­dest, so­fern es um mei­nen Teil der Ge­schich­te geht. Von dei­nem Teil der Ge­schich­te wa­ge ich nicht zu träu­men. Manch­mal träu­me ich heim­lich. Du er­fährst zwar seit un­se­rem letz­ten großen Krach nichts mehr da­von, aber ich ha­be den Ein­druck, die ver­rück­te Idee, mich vor mei­nen Ge­füh­len schüt­zen zu müs­sen, be­vor ich wie­der in ih­nen un­ter­ge­he. Und ich er­trin­ke so ger­ne. Vor al­lem in dei­nen mee­res­blau­en Au­gen.

      Letzt­end­lich weiß ich, dass ich mich ver­ste­cke. Ich nut­ze je­den Schlupf­win­kel, um mei­ner Lie­be zu ent­ge­hen. Ha­be kein In­ter­es­se dar­an, wie­der den Hass in mir hoch­ko­chen zu las­sen, jetzt da es end­lich so aus­sah, als ob er über­wun­den sei. Wo end­lich Ru­he und Frie­den herrscht. Al­les, al­les, al­les Trick sieb­zehn mit Selb­st­über­lis­tung. Ich weiß nicht mehr, was ich von mei­nen Emo­tio­nen hal­ten soll.

      Was ge­nau nann­ten wir ei­gent­lich „Freund­schaft“? Wir ha­ben Jah­re un­se­res Le­bens