Roland Reitmair

Der Medizinmann


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fuhr damit kreuz und quer über so manche Insel, an der angelegt wurde. Eine dieser Inseln war San Thomas.

      Mit einem geliehenen Mofa fuhr Michael zu entlegenen Orten und Winkeln. Knüpfte Kontakt zu Einheimischen. Lernte Englisch und einzelne Wörter der kreolischen Mischsprache. Irgendwann traf er zwielichtige Gestalten. Traf die Kinder alter Piratengeschichten und Seeräuberlegenden, die Ihren Lebensunterhalt mit Schmuggel bestritten. Er ließ sich in ihr Abseits ziehen, erlag dem Reiz dieser unkontrollierbaren Zwischenwelt.

      Wenn Michael später mit leuchtenden Augen seine Geschichten von damals erzählte, versuchte ich immer ihn mir vorzustellen, wie er da saß, in dieser verdreckten Hafenkneipe… die Sonne tief über dem Meer, der Abend bricht langsam herein und zwischen dem letzten Cruzan Rum und dem Schiff befinden sich Lichtjahre an Einsamkeit.

      In diesen Hafenvierteln, in diesen Kneipen, konnte ein bisschen Trinkgeld alles kaufen. Nicht nur die leichtbekleidete Thekenkraft, sondern auch Cannabis und harte Drogen.

      Vielleicht war er tatsächlich so einsam, oder einfach nur neugierig. Irgendwann probierte er alles aus – die weichen und die harten Substanzen und landete gleich beim Heroin.

      Er wollte dazugehören, fand es gut und schnupfte mit diesen neuen Freunden öfter. Zog sich damals wohl mehr Straßen rein, als er sich leisten konnte, obwohl er verhältnismäßig gut verdiente. Und so besorgte er immer wieder auch für seine Kameraden und Mitarbeiter Stoff und ließ sich das Risiko die Drogen an Bord zu bringen bezahlen. Was ich so weiß, gingen seine Geschäfte eine ganze Zeit lang gut.

      Einige Monate später beschloss er die Heimreise anzutreten, heim nach Linz. Seine letzten paar Kröten hatte er in Heroin investiert und schmuggelte es bis in seine Mansardenwohnung. Er versteckt die Ware unter den Ziegeln neben dem Dachflächenfenster.

      Michaels Freunde aber waren nicht annähernd so gut, wie er glaubte. Einer seiner enttäuschten Freunde, der offenbar das Heroin kostenlos, oder zumindest zum Selbstkostenpreis bekommen hatte wollen, verriet Michael. Die Folge davon war ein halbes Jahr Untersuchungshaft und eine bedingte Haftstrafe von zwei Jahren mit strengen Bewährungsauflagen, die zum Entzug führen sollten.

      In der Zeit lernte ich dann Michael kennen – oder soll ich sagen wieder kennen…

      Er sah aus wie ein Filmschauspieler aus Hollywood. Seine langen, dunklen Locken fielen über seine Schultern und umrahmten das braungebrannte Gesicht, aus dem abenteuerlustige Augen schauten. Michael war kein fader Kerl. Er spielte gut Gitarre, war umgänglich, freundlich und nett. Er fand immer den richtigen Ton, das war auffällig – egal, ob er mit Freunden, Fremden, Alten oder Jungen sprach. Er hatte Ausstrahlung.

      Ich fühlte mich – naja – geschmeichelt irgendwie, dass dieser fesche, adrette Mann sich für mich interessierte. Und dumm wie man ist in dem Alter, war ich auch noch stolz darauf, wenn Freundinnen mich sozusagen beneideten.“

      3

      Die Kellnerin brachte den Tee und Wein, entschuldigte sich mehrmals, dass es so lang gedauert hatte – ein Bon wäre vertauscht worden.

      „Ist schon ok“, murmelte Gabi und wartet bis die augenrollende Freundlichkeit wieder Richtung Theke verschwand. Sie sah ihr nach und schüttelte irgendwie angewidert den Kopf. „Wer schon einmal im Gastgewerbe gearbeitet hat weiß, dass so Dinge eben passieren“, sagte sie dann wie beiläufig, aber kein Wort über die Kellnerin oder zu ihrem Kopfschütteln… Glanzer versuchte sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.

      „Ich hab lang genug im Gastgewerbe gearbeitet…

      Nach der Schule absolvierte ich allerdings zuerst einmal die Lehre zur Damenkleidermacherin. Das war nicht berauschend. Außer Auftragsarbeiten zusammenlegen und dann und wann einmal einen Knopf annähen, durfte ich nichts. Sauber machen, ja, Kaffee kochen und Geschirrspülen. Zusammenräumen, Stecknadeln suchen, Garne und Zwirne herrichten, Botengänge machen, das waren meine Aufgaben... aber nur ja keinen Kunden verärgern, indem ich Lehrling an einem Stück arbeite.

      Mich wundert es, dass ich meine Abschlussprüfung schaffte, aber: es ging gut.

      Bei der Prüfung war ein Gefangener dabei, ein Häftling aus der Justizanstalt Garsten. Er hatte für irgendwas lebenslänglich ausgefasst, die einen sagten für vorsätzlichen Mord, die anderen behaupteten für einen Amoklauf mit mehreren Toten.

      Zwei Polizisten mit schwerer Bewaffnung bewachten ihn. Allein seine Handschellen reichten aus für ein unangenehmes Gefühl. Da stand ein Verbrecher und durfte mit uns gemeinsam die Lehrabschlussprüfung machen. Aber eigentlich war das noch das Aufregendste an der ganzen Sache…

      4

      Im Ausbildungsbetrieb wollte ich nicht bleiben, weil ich fürchtete, dass sich mein Aufgabengebiet nicht gravierend verändern würde. Also fasste ich kurzerhand den Entschluss dem Beruf überhaupt den Rücken zu kehren. Besser ins Gastgewerbe, ordentlich Geld verdienen.

      So ging ich nach dem Ende der Lehrzeit auf Saison nach Tirol. Dort stellten sich einige Weichen meines Lebens… dort begann das, von dem ich heute glaube, dass es mich Schritt für Schritt in die Versenkung führte.“

      Gabi sammelte sich, schaute nervös zu den anderen Tischen. An die Decke, zum Aschenbecher des Nachbartisches. Dann schaut sie Glanzer noch einmal prüfend an, senkte den Blick. Erzählte mit leicht veränderter Stimme weiter.

      „Der kleine Ort war ruhig, verschlafen. Tourismus war erst im Entstehen. Ich kam in einem Mittelklassehotel unter, als Stubenmädchen. Fallweise bin ich an der Bar im Keller eingesprungen, in der Diskothek.

      Der „Altchef“ war immer hinter allen Servierkräften her, klopfte ihnen in der Küche auf den Hintern und schien einen mit seinen gierigen Blicken auszuziehen. Die Chefin kannte ihren Mann und seine übergreifenden Annäherungen bei der weiblichen Belegschaft. Sie schaute angewidert und hielt sich stets an irgendeinem Whiskyglas fest.

      Aber alles in allem waren die Arbeitsbedingungen gut.

      Die Arbeitszeiten gefielen mir – manchmal konnte ich sogar nachmittags Schifahren gehen oder abends mit den Kollegen nach Innsbruck fahren, das waren nur wenige Kilometer. Ich mochte die wundervollen Gassen und Kneipen, und die freundliche Atmosphäre der Altstadt.

      Eines Abends setzten wir uns nach Dienstschluss noch gemütlich zusammen. Die Chefin war zu ihrer Mutter gefahren, sah dort nach dem Rechten. Daher planten diesmal wir die Diensteinteilung für die folgende Woche. Sonst besprachen wir eigentlich nur belangloses Zeug.

      Franz, der Sohn der Chefleute, unser „Jungchef“, bestand darauf, mit uns noch auf die bisher erfolgreiche Saison anzustoßen.

      Franz holte eine Flasche selbstgebrannten Schnaps hervor. „Des isch da Hausschnops“, lachte er, „nit dea fia di Tourischtn!“ Er schenkte uns allen einen Doppelten ein, dann ging er an die Bar und mixte grauenhafte Likör-Schnaps Gemische. Es war das erste Mal, dass wir so ausgelassen feierten. Ich freute mich, bei den Wirtsleuten gut aufgenommen zu sein und traute mich nicht zu sagen, dass es bereits genug war. Mit Todesverachtung hab ich mir sein Klumpert hinuntergekippt.

      Der Altchef bot mir auch noch eine Zigarre an.“

      Gabis Stimme bebte. Sie wetzte mit dem Fuß am Tischbein. Drehte wieder ihren Weinkelch spielerisch zwischen ihren Fingern, bis dieser in bedenkliche Rotation kam.

      „Plötzlich fühlte ich, wie betrunken ich war. Für manche meiner Sätze brauchte ich mehrere Anläufe und der Weg zur Toilette erforderte meine ganze Konzentration.

      Franz war mir auf der Bank näher gerückt. Er hatte eine Schnapsfahne, aber noch viel übler war sein Mundgeruch.

      „So, Schluss hiazant, mir homma genua getrunckn“, sagte er bestimmt, „i bring di hiaz auf dein Zimmer.“

      Franz hatte vorher schon seine Hand auf meinen Oberarm gelegt: „trinck ma Bruadaschoft!“

      Er beugte sich plötzlich herüber und küsste meinen Mund.