sah ich im Spiegel, wie Franz auf meinen Balkon kletterte. Ich bin total erschrocken, versuchte noch die Balkontür zu schließen, aber ich war zu langsam und zu schwach.
„Spinnst du komplett? Was machst du hier? Das ist mein Zimmer!“ Meine Stimme überschlug sich, aber er in seinem Rausch grinste mich blöd an. Franz trug nur mehr seine Boxershorts. Er streifte sie hinunter und stieß mich aufs Bett. Dann ging alles sehr schnell.
„Lass mich, ich will das nicht, lass mich – lass mich“, schrie ich ihn an, versuchte mich zu wehren, versuchte ihn wegzustoßen, versuchte zu kratzen und zu treten.
Mein Zimmer grenzte an das Schlafzimmer seiner Eltern. Verdammt, wo war der Altchef? Hörte mich der nicht? Franz stöhnte und keuchte seinen üblen Mundgeruch, seinen stinkenden Atem in meine Nase. Er hielt mich wie in einem Schraubstock fest und drang in mich, ich hatte keine Chance.
Als er fertig war, sagte er: „Du wiarst hiaz a wengl bluatn, pass auf, dass du de Matrotzn nit versaust.“
Er öffnete die Balkontür und schlüpfte hinaus. Nackt, mit seinen Boxershorts in der Hand.
Ich versucht mich aufzusetzen, taumelte. Mir war so schlecht. Irgendwie schaffte ich es bis zum Waschbecken. Kotzte hinein. Weinte. Röchelte. Versuchte ihn aus mir herauszuwaschen…
Da bemerkte ich seinen Vater draußen am Balkon. Der musste alles mit angesehen haben. Er stand schon auf meinem Teil des Balkons und schickte sich offenbar an, jetzt in mein Zimmer zu kommen. Zorn, Hass, Trauer …Angst… irgendwas gab mir die Kraft aufzuspringen, die Tür zu schließen und verriegeln und alle Schimpfwörter auszupacken, die ich jemals gelernt hatte.
Franz, das Schwein.
5
Ich fühlte mich schmutzig, besudelt und weinte die halbe Nacht bis ich vor Müdigkeit einschlief.
Am nächsten Tag ließ ich das blutbefleckte Leintuch verschwinden. Ich konnte nichts denken und nichts fühlen, wollte mich nicht mehr hinlegen und nicht hinsetzen. Die mir zugeteilten Zimmer reinigte ich wie jeden Tag. Dazwischen ging ich drei, vier Mal duschen. Am Abend nahm ich mir eine Flasche Whiskey mit aufs Zimmer. Ich wollte den Schmerz betäuben, wollte das elendige Gefühl loswerden. Diesmal kontrollierte ich dreimal, ob die Balkontür fest verschlossen war.
Tags darauf kam die Chefin zurück. Ich erzählte ihr nichts. Sie wunderte sich nur, weil ich im Stehen frühstückte.
Hatte ich ihn irgendwie dazu ermutigt? War ich zu naiv?
Nein… ich hab einfach nicht durchschaut, dass er aus demselben Holz geschnitzt war, wie sein Vater.
Auf die Idee zur Polizei zu gehen, kam ich erst gar nicht. Heute weiß ich, das war klug so. Wer hätte einem 19-jährigen Mädchen mit Restalkohol, ohne grobe äußerliche Verletzungen schon geglaubt? Außerdem wollte ich nicht ohne Arbeit dastehen. Ich tat, als wäre alles ganz normal, versuchte zu verdrängen.
Das war meine erste sexuelle Erfahrung.“
6
Gabi nahm ihr Glas, zittrig führte sie es zum Mund. Beim Trinken schluckte sie umständlich, wie bei starken Halsschmerzen. All die Jahre hatten nichts leichter gemacht. Tränen zeichneten Spuren über das dezent geschminkte Gesicht.
„Gut, dass es Anna gab“, erzählte sie dann leise weiter, „Ein Mädchen aus der Ortschaft, ungefähr in meinem Alter. Sie arbeitete in Innsbruck in einer Textilfabrik, Firma Steinbock Trachtenmoden. Nach der Arbeit kam sie gelegentlich noch auf ein Getränk in die Hotelbar. Wir verstanden uns ganz gut. Anna merkte, wie verstört ich in dem Moment war.
Ich machte aber nur einige Andeutungen. Sagte ihr, dass ich wegwollte, schnellstens, auf der Stelle, am besten keinen Tag länger bleiben. Von Franz’ Übergriff erzählte ich ihr nichts.
Anna wusste, dass bei Steinbock in Neu Rum immer wieder Näherinnen gebraucht würden. Es gäbe dort sogar Betriebsunterkünfte – die ‚Steinbockheimat‘ mit zwar kleinen, aber feinen Zimmern für Bedienstete. Sie versprach nachzufragen. Die Zusage folgte prompt, folgte viel schneller, als ich erhofft hatte. Schon wenige Tage später bezog ich so ein Zimmer und begann meine neue Arbeit in der Textilfabrik in Innsbruck.
Vom Gastgewerbe zum Fließband war eine ziemliche Umstellung. Ich arbeitete die nächsten Wochen zwischen brummenden und ratternden Maschinen anstatt mit gutgelaunten Touristen. Kollegen grüßten, aber der Lärm ließ keine echte Unterhaltung aufkommen. Irgendwie vereinsamte ich mehr und mehr. Sowohl am Arbeitsplatz als auch in dem kleinen Zimmer. Die Vergewaltigung tat ein Übriges, ich fühlte mich wie eine Aussätzige. Manchmal dachte ich andere Menschen würden mir ansehen, was passiert war. Mehr und mehr zog ich mich zurück und wurde in meiner Einsamkeit aber nur noch trauriger. Zum Wochenende war es besonders schlimm. Vom Fenster aus sah ich zu, wie fröhliche Menschen die Skier auf das Auto packten und loszogen. Ich aber saß deprimiert auf der Fensterbank und starrte durch das Glas.
Anna kannte meine Zimmernachbarin Marion und machte uns bekannt. Marion war aus Kärnten. Auch sie war allein hier und kannte kaum jemanden. Zu zweit war dann einsam sein nur mehr halb so schlimm.
Eines Tages erzählte sie mir freudestrahlend, dass ihr Bruder Martin als Montagearbeiter in Innsbruck auf einer Baustelle anfangen würde. Gleich in der Nähe. Plötzlich hatte ich Angst, dass sie für mich dann keine Zeit mehr haben würde. Es kam anders.
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