Stephan Waldscheidt

Die Stimme: Leser verzaubern mit den Stimmen von Autor, Erzähler und Charakter


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für Ihren Roman ist entsprechend immens und betrifft jeden Aspekt vom Plot und der Dramaturgie über das Thema und die Charaktere bis hin zu Fragen von Spannung und anderen Emotionen, von Beschreibungen und Dialogen, von Sprache und Stil. Doch auch Charaktere und natürlich der Autor besitzen eigene Stimmen. Auch über diese gibt es im Folgenden viel Spannendes und Unverzichtbares zu entdecken, mit großer Bedeutung für Ihren Roman.

      Über die Stimme werden Sie eine Menge erfahren, vieles davon neu oder in einen neuen Zusammenhang gebracht. Wie nebenbei legen wir damit weitere Grundlagen für die Erzählperspektive. Eins ist sicher: Es wird aufregend. Meine Stimme hier schafft es hoffentlich, Sie davon zu überzeugen.

      Entscheidend für das Gelingen Ihres Romans ist, dass Sie sich zielgerichtet mit dem Thema Stimme auseinandersetzen, um dann Ihren eigenen Weg, Ihre eigenen Stimmen zu finden.

      Ich freue mich auf Ihre (noch besser klingenden und noch besser erzählten) Romane.

      Ihr Stephan Waldscheidt

      Hinweis für Roman- und Schreibanfänger

      Das Buch nennt sich aus gutem Grund »Meisterkurs«. Dennoch können auch Roman-Anfänger von ihm profitieren. Seien Sie sich jedoch gerade als weniger erfahrene Autorin oder Autor im Klaren darüber, dass wir viele Knackpunkte beim Schreiben ansprechen werden, denen Sie noch nicht begegnet sind und deren Bedeutung Sie daher kaum abschätzen können. Das ist, als würden Sie als Wasserhasser vor Ihrem ersten Segeltörn in einem Ratgeber über Achterliek, Großtrombe und Brüllende Vierziger lesen. Sie werden dort in jedem Fall Nützliches übers Segeln lernen, selbst wenn Sie noch nicht wissen, was da an Wind und Wellen auf Sie zukommt.

      Die Themen hier sind so essenziell, dass ich es für sinnvoll halte, wenn Autorinnen und Autoren jeden Reifegrads sich damit befassen. Immer wieder.

      Hinweis für mich

      Gerade weil wir hier gemeinsam Neuland betreten, bin ich Ihnen für Hinweise, Anregungen, Ideen zu den Themen dieses Buchs dankbar: [email protected]

      Übrigens ...

      Selbst der ursprüngliche Titel dieses Ratgebers wurde von der Stimme beeinflusst, genauer: ihrem Klang. Anfangs hieß das Buch »Erzähler & Stimme«, getreu der Reihenfolge der beiden Teile im Buch selbst. Laut ausgesprochen aber klang der Titel dann gar nicht mehr so gut – und wesentlich besser umgekehrt: »Stimme & Erzähler«. Probieren Sie es aus. Bei »Stimme und Erzähler« wechseln sich betonte und unbetonte Silben harmonisch ab: —◡ — ◡—◡. Anders bei »Erzähler und Stimme«: ◡—◡ — —◡.

      Weil es so viel Wichtiges über Stimme und Erzähler zu berichten gibt, habe ich das Buch zum schnelleren Durcharbeiten in zwei Bände aufgeteilt. Damit Sie bald wieder zurück zu dem kommen, was Sie eigentlich tun wollen: Schreiben.

      Um das meiste aus diesem Buch herauszuholen, sollten Sie Ihre Stimme und Ihre Ohren während der Lektüre immer mal wieder einsetzen.

      Die Stimmen Ihres Romans

      Die Stimmen im Kopf des Lesers

      »Ich will daran glauben, dass es wahr ist, also sorg dafür, dass ich es glauben kann«, beschreibt Joseph Bates eine zentrale Forderung der Leser an den Autor.[Fußnote 1] Mindestens so wichtig dafür wie der Inhalt sind die Stimmen, in denen der Roman zu den Lesern spricht.

      Sobald der Leser Ihren Roman zu lesen beginnt, drängen sich diese Stimmen in seinen Kopf, und das sind keineswegs nur die Stimmen der Romanfiguren. Je nachdem, wie sichtbar der Erzähler ist, ertönt auch seine Stimme im Leser. Und je nachdem, wie deutlich der Autor selbst unter der Erzählstimme hervorscheint, wird er vom Leser wahrgenommen.

      Ob der Leser sich einem wohltönenden Chor von Stimmen hingeben kann oder ob er in einer Kakophonie aus Stimmengewirr ertrinkt, bestimmen Sie.

      Falls Sie es aktiv bestimmen.

      Viele Autorinnen und Autoren begehen den Fehler und lassen ihre Stimmen Stimmen sein. Stimmt (!) schon, die Stimme ist auch dann präsent, wenn Sie sich keine Gedanken über sie machen. Was eine miserable Idee wäre. Denn dann würden Sie auf ein gewaltiges Repertoire an Möglichkeiten verzichten, unter anderem:

      • Ihre Stimmen aktiv einsetzen und damit mit die mächtigsten und wirkungsvollsten Instrumente in Ihrem Orchester als Autor nutzen.

      • Ihre Stimmen bewusst verändern, um bestimmte literarische und erzählerische Wirkungen zu erzielen.

      • Ihre Stimmen verbessern und optimieren.

      • Eine neue Erzählstimme bewusst und zweckgerichtet aufbauen, insbesondere über die Komponenten der Stimme wie Haltung oder Ton.

      • Fehler aufspüren und beseitigen. Und aus diesen Fehlern lernen.

      • Ihren Lesern ein intensiveres Lese-Erlebnis verschaffen.

      • Ihre Chancen auf einen Agentur- und Verlagsvertrag erhöhen.

      • Ihre Chancen auf einen Bestseller vergrößern.

      • Ihr erzählerisches und sprachliches Know-how auf eine neue Ebene heben.

      • Mit anderen, etwa Ihrer Lektorin oder Kollegen, über Ihre Stimmen konstruktiv diskutieren.

      • Ein besserer Autor, eine bessere Autorin sein.

      Die Stimme in ihren vielen Formen gehört zu den Themen im Handwerk des Romaneschreibens, die am wenigsten greifbar sind. Weil die Stimme alles durchdringt, jedes Kapitel prägt, in jedem Satz zu Hause ist, sogar im Punkt am Ende, und weil sie sich in jedem Wort ebenso tummelt wie in jeder Pause zwischen Wörtern, Zeilen, Kapiteln oder gar Büchern einer Reihe. Sogar in jeder Silbe, jedem Echo eines Buchstabens klingt die Stimme an. Wer genau hinhört, findet sie sogar in dem, was zwischen und hinter den Zeilen steht.

       Stimmen sind der Stoff, der alle Elemente Ihres Romans verbindet und zusammenhält.

      Stellen Sie sich einen Ozean vor, der bunt mit Korallen und Seesternen bevölkert ist, in dem sich Riffe gegen die Wellen türmen und Vulkane das heiße Erdinnere ausspeien, wo Fischschwärme sich zwischen Tangwäldern tummeln mit Millionen winziger, schuppenglänzender Individuen, wo Haie in einen Fressrausch geraten und von Delfinen ausgelacht werden, wo Muränen lauern und Robben Pinguine jagen, um dann selbst von einem Orca verspeist zu werden, ein Ozean, in dem sich die intelligenten Kraken ebenso wohlfühlen wie die tumben Seegurken und die gruseligen Anglerfische der Tiefsee, ein Ozean mit Schiffswracks und Plastikmüll, auf dem riesige Tanker fahren und Seeleute schuften, wo Schnorchler ihren Sommer genießen und planschende Kinder ihre ersten Abenteuer erleben.

      Stellen Sie sich vor, der Ozean wäre Ihr Roman.

      Die Stimme? Sie ist das Wasser. Medium. Lebensgrundlage. Segen und auch Fluch. Überall und doch nicht fassbar. Mal in der Sonne glitzernd, mal jedes Licht verschluckend, erhebend und auch erdrückend. Ohne das Wasser gäbe es nichts von dem, was ich oben beschrieben habe.

      Ohne die Stimme gäbe es keinen Roman. Das gilt sogar für die Romane, in denen die Stimme versucht, nicht aufzufallen, in denen sie ist wie klares, lauwarmes, geschmackloses Wasser. Und doch ist das Wasser da.

      Entsprechend schwierig ist es, einen Aspekt aus der Stimme herauszugreifen, um ihn sich genauer anzusehen – in unserem Bild hätten Sie dann nur Wasser in Händen (und das nicht lange), welches genauso aussieht wie das Wasser ein paar tausend Ozeankilometer weiter westlich.

      Selbst Beispiele bringen ihre Schwierigkeiten mit: Denn sobald der Leser einen Aspekt der Stimme bemerkt, wird er aus dem Fluss der Story gerissen. Aber Sie sind ja als Autor hier im Buch und daher können und wollen Sie genauer hinsehen, mehr erkennen, mehr begreifen. Sie werden eine Menge Entdeckenswertes finden, um es zu analysieren und am Ende in Ihren