Ханс Фаллада

Der Trinker


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getäuscht, nein, ich hatte diese Täuschung auch noch durch ein Geldgeschenk untermauert, um sie noch glaubhafter zu machen, etwas, das juristisch wohl ›Betrug‹ genannt werden würde. Aber das Juristische war ganz gleichgültig, das Menschliche allein war wichtig, und das Menschliche an dieser Sache war einfach furchtbar. Ich hatte zum erstenmal in unserer Ehe Magda wissentlich betrogen – und warum? Warum in aller Welt?! Für gar nichts – ich hätte ja von all diesen Dingen wunderbar schweigen können, wie ich bisher von ihnen geschwiegen hatte. Niemand zwang mich zum Sprechen. Niemand? Doch ja, der Alkohol hatte mich dazu gebracht. Als ich das erst einmal erkannt hatte, als ich in vollem Umfange erfaßt hatte, welch Lügner der Alkohol ist und wie er dazu aus ehrlichen Menschen Lügner macht, schwor ich mir zu, nie wieder einen Tropfen Alkohol zu trinken und auch auf das ab und zu bisher genossene Glas Bier zu verzichten.

      Aber was sind Vorsätze, was sind Entwürfe –? Ich hatte mir ja auch an diesem Morgen der Ernüchterung zugeschworen, wenigstens die gestern Abend zwischen Magda und mir aufgekommene wärmere Stimmung zu nützen und es nicht wieder zu einer Entfremdung oder gar zu einem Streit kommen zu lassen. Und doch vergingen nicht viele Tage, und wir stritten uns schon wieder. Es war eigentlich völlig unbegreiflich: vierzehn Jahre unserer Ehe waren praktisch ohne jeden Streit vergangen, und jetzt im fünfzehnten war es, daß wir nicht mehr ohne Streiten leben konnten. Manchmal schien es mir geradezu lächerlich, über was für Dinge alles wir miteinander in Streit gerieten. Es schien, als müßten wir uns zu bestimmten Zeiten streiten, ganz gleich warum. Auch das Streiten scheint wie ein Gift zu sein, an das man sich rasch gewöhnt und ohne das man bald nicht mehr leben kann. Zuerst bewahrten wir natürlich ängstlich die Form, wir suchten möglichst sachlich beim Streitgegenstand zu bleiben und alles persönlich Kränkende zu vermeiden.

       7.9.44

      Auch legte uns die Anwesenheit unseres kleinen Hausmädchens Else Hemmungen auf. Wir wußten, sie war neugierig und trug alles weiter, was sie erfuhr. Damals wäre es mir noch unaussprechbar schrecklich gewesen, wenn irgend jemand in der Stadt von meinen Sorgen und unseren Streitereien erfahren hätte. Nicht sehr viel später freilich war es mir vollkommen gleichgültig geworden, was die Menschen von mir dachten und sprachen, und, was das Schlimmere war, ich hatte auch alle Scham vor mir selbst verloren.

      Ich habe gesagt, daß Magda und ich uns an fast täglichen Streit gewöhnten. Freilich waren das eigentlich nur Quengeleien, kleine Sticheleien um ein Garnichts, etwas, das die zwischen uns immer wieder auftauchenden Spannungen ein wenig erleichterte. Auch das war eigentlich ein Wunder, aber kein schönes: viele Jahre hatten Magda und ich eine ausgesprochen gute Ehe geführt. Wir hatten uns aus Liebe geheiratet, damals waren wir alle beide sehr kleine Angestellte gewesen, jeder mit einem Handköfferchen, so waren wir zusammengelaufen. Ach, die herrliche entbehrungsreiche Zeit unserer ersten Ehejahre – wenn ich heute daran zurückdenke! Magda war eine wahre Haushaltskünstlerin, manche Woche kamen wir mit zehn Mark aus, und es kam uns vor, als lebten wir dabei wie die Fürsten. Dann kam die wagemutige, von immerwährender Anspannung erfüllte Zeit, da ich mich selbständig machte, da ich mit Magdas Hilfe mein eigenes Geschäft aufbaute. Es glückte – o du lieber Himmel, wie uns damals alles glückte! Wir brauchten nur etwas anzufassen, unseren Fleiß und unseren Eifer einer Sache zuzuwenden, und schon gelang sie, blühte auf wie eine gutgepflegte Blume, trug uns Früchte ... Kinder blieben uns versagt, so sehr wir uns nach ihnen auch sehnten. Magda hatte einmal eine Fehlgeburt, von da an war es mit allen Aussichten auf Kinder vorbei. Aber wir liebten uns darum nicht weniger. Viele Jahre unserer Ehe waren wir immer wieder frisch verliebt ineinander. Ich habe nie eine andere Frau als Magda begehrt. Sie machte mich vollkommen glücklich, und mit mir ist es ihr wohl auch nicht anders gegangen.

      Als dann das Geschäft lief, als es jenen Umfang erreicht hatte, der ihm durch die Größe unserer Stadt und unseres Landkreises gegeben war, einen Umfang, über den hinaus eine Erweiterung nur durch völlige Änderung all unserer Lebensumstände und durch Wegzug von unserer Vaterstadt möglich war, als also das brennende Interesse etwas zu erlahmen begann, kam als Ersatz der Erwerb des eigenen Grundstücks vor der Stadt, der Bau unserer Villa, die Anlage unseres Gartens, die Einrichtung, die uns nun für den Rest unseres Lebens begleiten sollte – alles Dinge, die uns wieder eng aneinanderbanden und uns die Abkühlung, die in unseren Ehebeziehungen eingetreten war, nicht merklich werden ließen. Wenn wir uns nicht mehr so wie früher liebten, wenn wir nicht mehr so oft und heiß nacheinander begehrten, so empfanden wir das nicht als einen Verlust, sondern als etwas Selbstverständliches: wir waren eben allgemach alte Eheleute geworden, was uns geschah, geschah allen, war etwas Natürliches. Und, wie gesagt, die Kameradschaft beim Planen, Bauen, Einrichten ersetzte uns das Verlorene vollkommen, aus Liebesleuten waren wir Kameraden geworden, wir entbehrten nichts.

      Zu jener Zeit hatte sich Magda schon ganz von der tätigen Mithilfe in meinem Geschäft freigemacht, ein Schritt, den wir beide damals als selbstverständlich ansahen. Sie hatte jetzt eine größere eigene Haushaltung; der Garten und ein bißchen Federvieh erforderten auch Pflege, und der Umfang des Geschäftes gestattete ohne weiteres die Einstellung einer neuen Hilfskraft. Später sollte sich zeigen, wie verhängnisvoll sich das Ausscheiden Magdas aus meinem Betrieb auswirken sollte. Nicht nur, daß wir dadurch wiederum ein gut Teil unserer gemeinsamen Interessen verloren, auch stellte sich heraus, daß ihre Mithilfe eigentlich unersetzlich war. Sie war bei weitem aktiver als ich, unternehmungslustiger, auch war sie viel geschickter als ich im Umgang mit den Menschen und vermochte sie auf eine leichte, scherzhafte Weise gerade dahin zu bekommen, wo sie die Leute haben wollte. Ich war das vorsichtige Element in unserer Gemeinschaft gewesen, die Bremse gewissermaßen, die eine zu gewagte Fahrt hemmte und sicherte. Im Geschäftsverkehr selbst hatte ich die Neigung, mich möglichst zurückzuhalten, mich niemandem aufzudrängen und nie um etwas zu bitten. Es war demnach unvermeidlich, daß nach Magdas Ausscheiden die Geschäfte erst einmal im alten Gleise weitergingen, daß wenig Neues dazukam und daß dann allmählich, ganz langsam, Jahr um Jahr, ihr Umfang zurückging. Über alle diese Dinge bin ich mir freilich erst viel später klar geworden, zu spät, als es schon nichts mehr zu retten gab. Damals, als Magda ausschied, war ich eher etwas erleichtert: ein Mann, der seine Firma allein vertritt, genießt bei den Menschen ein größeres Ansehen als der, dem die Frau in alles hineinreden kann.

      3

      Erst, als unsere Streitereien begannen, merkte ich, wie fremd Magda und ich uns in den Jahren geworden waren, da sie ihre Hauswirtschaft besorgte und ich den Geschäften vorstand. Die ersten Male empfand ich wohl noch etwas wie Scham über unser Sichgehenlassen, und wenn ich merkte, daß ich Magda verletzt hatte, daß sie gar mit verweinten Augen umherging, schmerzte mich das fast so sehr wie sie selbst, und ich gelobte mir Besserung. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles, und ich fürchte beinahe, er gewöhnt sich am raschesten, in einem Zustand von Erniedrigung zu leben. Es kam der Tag, da ich beim Anblick von Magdas verweinten Augen mir nicht mehr Besserung gelobte, sondern mit einer mit erschrockenem Staunen untermischten Befriedigung mir sagte: ›Diesmal habe ich es dir aber ordentlich gegeben! Immer gewinnst du mit deiner raschen Zunge doch nicht die Oberhand über mich!‹ Ich fand es schrecklich, daß ich so empfand, und doch fand ich es richtig, es befriedigte mich, so zu empfinden, so paradox dies auch klingen mag. Von da an war es nur ein kleiner Schritt bis dahin, wo ich sie bewußt zu verletzen suchte.

      In jenem äußerst kritischen Zeitpunkt unserer Beziehungen waren die Lebensmittellieferungen für die Gefängnisverwaltung wie alle drei Jahre neu ausgeschrieben. Wir haben in unserem Ort (gerade nicht zum Entzücken seiner Einwohner) das Zentralgefängnis der Provinz liegen, das ständig etwa fünfzehnhundert Häftlinge in seinen Mauern birgt. Seit neun Jahren hatten wir diese Lieferungen schon, Magda hatte sich seinerzeit sehr darum bemüht, sie zu erhalten. Bei den beiden späteren Vergebungen hatte sie immer nur einen kurzen Höflichkeitsbesuch bei dem entscheidenden Oberinspektor der Verwaltung gemacht, und der Zuschlag war uns ohne weiteres zugefallen. Ich sah diese Lieferung für einen so selbstverständlichen Teil meines Geschäftes an, daß ich auch diesmal nicht weiter Aufhebens von der Sache machte: ich ließ das alte Angebot, dessen Preisgestaltung sich nun schon seit neun Jahren bewährt hatte, abschreiben und einreichen. Ich überlegte auch einen Besuch bei dem entscheidenden Oberinspektor, aber alles lief ja in seinen eingelaufenen Bahnen; ich wollte nicht aufdringlich erscheinen, ich wußte, der Mann