Ханс Фаллада

Der Trinker


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Himmel, als mich ein Schreiben der Gefängnisverwaltung mit wenigen dürren Worten dahin unterrichtete, daß mein Angebot abgelehnt und daß die Lieferungen einer anderen Firma zugeschlagen worden seien. Mein erster Gedanke war der: daß nur Magda nichts davon erfährt! Dann nahm ich meinen Hut und eilte zu dem Oberinspektor, jetzt den Besuch zu machen, der drei Wochen früher sinnvoll gewesen wäre. Ich wurde höflich, aber kühl aufgenommen. Der Oberinspektor bedauerte, daß die alte Geschäftsverbindung nun unterbrochen sei. Er habe aber gar nicht anders handeln können, da ein Teil der von mir genannten Preise längst überholt gewesen sei, mal nach der höheren, mal nach der niedrigeren Seite hin. Im ganzen gleiche es sich wohl etwa aus, aber mein Angebot habe nun eben auf die maßgebenden Herren – ich möge seine Offenheit verzeihen – einfach einen schlechten Eindruck gemacht, als sei es meiner Firma ganz gleichgültig, ob sie den Zuschlag erhalte oder nicht. Ich erfuhr weiter, daß eine ganz junge, mit allen Mitteln aufstrebende Firma, die mir schon einige Male Ärger bereitet hatte, auch dieses Mal wieder als Sieger aus dem Rennen hervorgegangen war. Zum Schluss drückte der Oberinspektor noch in aller Höflichkeit die Hoffnung aus, in drei Jahren wieder mit meiner Firma in die alte Verbindung treten zu können, und ich war entlassen –!

      Ich wußte, ich hatte mir in dem Gefängnisbüro nichts von meiner Bestürzung, ja, meiner Verzweiflung über diesen Fehlschlag anmerken lassen; ich hatte meine Erkundigung halb mit Höflichkeit, halb mit Neugier nach dem Namen des glücklichen Gewinners frisiert. Als ich aber wieder draußen vor den schweren Eisentoren des Gefängnisses stand, als der letzte Riegel rasselnd hinter mir zugeschoben war, sah ich in den hellen Sonnenschein dieses wunderbaren Frühlingstages wie jemand, der soeben aus einem schweren Traum erwacht ist und noch nicht weiß, ob er nun wirklich wach ist oder ob er noch immer unter dem Alpdruck des Traumes seufzt. Ich seufzte noch unter ihm, umsonst hatte das eiserne Gittertor mich zur Freiheit entlassen, ich blieb gefangen in meinen Sorgen und Misserfolgen.

      Es war mir jetzt unmöglich, in die Stadt und auf mein Kontor zu gehen, vor allem aber mußte ich mich erst sammeln, ehe ich vor Magda trat – ich ging fort von der Stadt und den Menschen, ich ging in die Felder und Wiesen hinaus, immer weiter fort, als könnte ich mir und meinen Sorgen entlaufen. Ich habe aber an diesem Tage nichts von dem frischen Smaragdgrün der jungen Saaten gesehen, ich habe nicht das eilige Glucksen der Bäche und die Trommelwirbel der Lerchen in der blaugoldenen Luft gehört: ich war grenzenlos allein mit mir und meinem Missgeschick. Mein Herz war so übervoll davon, daß nichts anderes mehr hineinkonnte.

      Ich war mir ganz klar darüber, daß dies für mein Geschäft nicht mehr ein kleiner Fehlschlag war, der mit einem achselzuckenden Bedauern hingenommen werden konnte: die Lieferung der Nahrungsmittel für fünfzehnhundert Menschen war selbst bei bescheidenem Nutzen ein so wesentlicher Teil meines Umsatzes, daß sie nicht ohne einschneidende Veränderungen meines ganzen Betriebes hingenommen werden konnte. An einen Ersatz für diesen Ausfall war bei dem Mangel ähnlicher Gelegenheiten in unserer bescheidenen Provinzstadt nicht zu denken. Äußerste Tatkraft hätte die Zahl der Einzelgeschäfte um einige Dutzend steigern können, aber ganz abgesehen davon, daß dies noch lange keinen Ersatz für den Ausfall bedeutete, fühlte ich mich gerade jetzt zu dieser äußersten Tatkraft ganz unfähig. Aus irgendwelchen Gründen war ich schon seit fast einem Jahr unfrisch. Immer mehr neigte ich dazu, den Dingen ihren Lauf zu lassen und mich nicht zu sehr zu erregen. Ich war ruhebedürftig – warum weiß ich nicht. Vielleicht wurde ich früh alt. Es war mir klar, daß ich mindestens zwei Angestellte würde entlassen müssen, aber auch das berührte mich nicht einmal so sehr, obwohl ich wußte, wie sehr darüber geschwätzt werden würde. Nicht das Geschäft bekümmerte mich im Augenblick, sondern Magda. Immer wieder war mein Hauptgedanke, meine Hauptsorge: daß bloß Magda nichts davon erfährt! Wohl sagte ich mir, daß ich auf die Dauer die Entlassung von zwei Angestellten und den Verlust der Lieferungen überhaupt nicht vor ihr verbergen konnte. Aber ich log mir vor, daß alles darauf ankomme, daß sie nicht gerade jetzt davon erführe, daß ich in einigen Wochen vielleicht doch den einen oder anderen Ersatz gefunden haben könnte. Dann hatte ich wieder einen hellen Augenblick. Ich blieb stehen, stieß mit dem Fuß energisch gegen einen Stein im Staube des Weges und sagte zu mir: ›Da Magda doch davon erfahren wird, ist es besser, sie erfährt es durch mich als durch anderer Leute Mund, und es ist wiederum besser, sie erfährt es heute, als irgendwann. Mit jedem Tag, den du dies aufschiebst, wird das Geständnis schwerer. Schließlich habe ich kein Verbrechen begangen, sondern nur eine Nachlässigkeit.‹ Ich stieß wieder mit dem Fuß gegen den Stein: ›Ich werde Magda einfach bitten, mir wieder im Geschäft zu helfen. Das versöhnt sie mit meinem Misserfolg und bringt mir und dem Betrieb nur Nutzen. Ich bin wirklich nicht sehr frisch und kann eine Hilfskraft gut gebrauchen ...!‹ Aber diese hellen Augenblicke gingen schnell vorüber. Ich hatte stets so viel auf die Achtung der Leute und vor allem auf die Magdas gegeben. Ich hatte stets peinlich darauf gesehen, daß ich als der Chef respektiert wurde. Ich konnte es auch jetzt, gerade jetzt, nicht übers Herz bringen, von dieser Würde ein Jota abzulassen und mich gerade vor Magda zu demütigen. Nein, ich war entschlossen, die Sache selbst zu meistern, komme, was wolle. Ich mochte mir auch nicht von einer Frau helfen lassen, mit der ich mich fast täglich zankte. Es war klar vorauszusehen, daß sich diese Zänkereien bis ins Kontor fortsetzen würden – sie würde dort auf ihrem Willen beharren, ich würde widersprechen, sie würde mir meine Misserfolge vorwerfen – o nein, unmöglich!

      Wieder stampfte ich mit dem Fuß auf, aber diesmal in den Staub des Weges. Ich sah hoch. Ich hatte keine Ahnung, wohin mich meine Füße getragen hatten, so sehr war ich in meine Sorgen versponnen gewesen. Ich stand in einem Dorf, nicht übermäßig weit von meiner Vaterstadt entfernt, einem Dorf, das wegen einiger reizender Birkenwäldchen und eines Sees ein beliebter Frühlingsausflugsort meiner Mitbürger ist. Aber an diesem Wochentag-Vormittag gab es hier noch keine Ausflügler, dafür ist man bei uns daheim zu fleißig. Ich stand gerade vor dem Gasthof, und ich spürte, daß ich Durst hatte. Ich trat in die niedrige, weite, aber dunkle Schankstube ein. Ich hatte sie immer nur erfüllt von vielen Städtern gesehen, die frühlingshaft hellen Kleider der Frauen hatten den Raum heller gemacht und ihm trotz seiner Niedrigkeit etwas Beschwingtes gegeben. Denn, wenn die Städter hier waren, hatten die Fenster offengestanden, auf den Tischen lagen dann bunte Decken, und überall gab es in hohen Vasen helle Sträuße von Birken. Jetzt war der Raum dunkel, auf den Tischen lag gelblich-bräunliches Wachstuch, es roch stickig, denn die Fenster waren fest verschlossen. Hinter der Theke stand ein junges Mädchen, dessen Haare schlecht zurechtgemacht und dessen Schürze schmutzig war, es flüsterte eifrig mit einem jungen Kerl, der nach seiner kalkbespritzten weißen Kleidung ein Maurer zu sein schien. Mein erster Impuls war der, umzukehren. Aber mein Durst und noch mehr das Gefühl, sofort wieder meinen Sorgen ausgeliefert zu sein, ließen mich statt dessen an die Theke treten.

      »Geben Sie mir was zu trinken, irgendwas, das den Durst löscht«, sagte ich.

      Ohne aufzusehen ließ das Mädchen Bier in ein Glas laufen, ich sah zu, wie der Schaum über den Rand troff. Das Mädchen schloss den Bierhahn, wartete einen Augenblick, bis der Schaum sich gesetzt hatte, und ließ noch einen Schuss Bier nachlaufen. Dann schob sie mir, wiederum ohne ein Wort, das Glas über den stumpfen Zink zu. Es machte sich wieder an sein Flüstern mit dem Maurerburschen, bisher hatte es mich noch nicht mit einem Blick angesehen.

      Ich hob das Glas zum Munde und trank es bedächtig. Schluck für Schluck, ohne einmal abzusetzen, leer. Es schmeckte frisch, prickelnd und leicht bitter, und indem es meinen Mund passierte, schien es in ihm etwas von einer Helle und Leichtigkeit zu hinterlassen, die vorher nicht in ihm gewesen war.

      ›Geben Sie mir noch einmal von dem‹, wollte ich sagen, besann mich aber anders. Ich hatte vor dem jungen Menschen ein helles, kurzes, gedrungenes Glas stehen sehen, das man bei uns eine »Stange« nennt und in dem gewöhnlich Korn ausgeschenkt wird.

      »Ich möchte auch solch eine Stange«, sagte ich plötzlich. Wie ich, der ich mein Lebtag keinen Schnaps getrunken, der ich immer eine tiefe Abneigung gegen den Geruch von Schnaps gehabt habe, dazu kam, weiß ich nicht zu sagen. In jenen Tagen änderten sich alle Gewohnheiten meines Lebens, geheimnisvollen Einflüssen war ich ausgeliefert, und genommen war mir die Kraft, ihnen zu widerstehen.

      Zum ersten Male sah mich jetzt das Mädchen an. Langsam hob sie die etwas körnigen Lider und blickte mich mit hellen, wissenden Augen an.

      »Mit