Stephan Waldscheidt

Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen


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Sturzes verspottet werden.

      4. Niko muss Hindernisse überwinden: den Spott, den Matsch, die Ente.

      5. Die Hindernisse nehmen an Bedrohlichkeit zu: erst Spott, dann Matsch, dann die Ente. Auf Deutsch: Es gibt eine klare Eskalation.

      6. Die Geschichte enthält eine Überraschung. Denn der Leser oder Zuhörer rechnet damit, dass Niko ins Wasser fällt. Denn wie jeder von uns zumindest instinktiv weiß, gehört das Schiefgehen zu einer Geschichte. Wir erwarten das Misslingen. In Nikos Fall hingegen überrascht uns das Gelingen. Und genau das kann ebenfalls eine Geschichte ausmachen: dass etwas auf überraschende, unerwartete Weise gelingt. Ein guter Geschichtenerzähler weiß, was seine Leser erwarten, nur so kann er sie überraschen.

      Etwas Entscheidendes aber fehlt dieser Geschichte noch: ein für den Leser oder Zuhörer befriedigendes Ende. Das Ende hängt auch von den Erwartungen ab und damit, bei Romanen, vom Genre. Sprich: Genreleser erwarten bei einer Liebesschnulze ein Happy End, bei einem Horrorroman ein Ende, bei dem das Grauen noch weiterwirkt ... Und was erwarten die Kids bei einer lustigen Story über ihre Ferien? Wie wäre es damit:

       Niko kommt sicher auf der anderen Seite an. Er verbeugt sich spöttisch zu seinen Klassenkameraden. Darauf aber hat die Ente nur gewartet. Sie fegt schnatternd von hinten heran. Niko erschrickt sich so, dass er stolpert, nur weg von dem Federviech – und ins Wasser klatscht.

      Sie sehen, eine funktionierende Geschichte zu erzählen, ist ganz einfach – und zugleich das Schwerste auf der Welt. Wann immer Sie im Zweifel sind, ob Sie mit Ihrem Roman noch auf dem richtigen Kurs steuern, treten Sie einen großen Schritt zurück und fragen Sie sich, ob Sie diese Basics mit den aktuellen Szenen noch erfüllen.

      Im Zweifel lassen Sie einfach noch etwas schiefgehen.

      Die Drei-Akte-Struktur und warum Sie für Ihren Roman so sinnvoll ist – Ein kurzer Überblick

      Manche Autoren fürchten sich vor Struktur. Dabei wird das Chaos der Kreativität erst durch Struktur lesbar – und erst durch Struktur kann eine Geschichte ihr volles Potenzial entfalten. Das Gleiche gilt übrigens auch für das Potenzial des Autors.

      Die Drei-Akte-Struktur ist eine von vielen möglichen Strukturen, die in Ihrem Roman Ordnung schafft. Wenn Ihnen die Sache mit den Akten zu viel Respekt einflößt oder gar Angst macht, nennen Sie die Akte einfach um: in Anfang, Mitte und Schluss. Wer würde bestreiten, dass eine Geschichte diese drei Elemente braucht?

      Die Struktur hat kein Schreibratgeber erfunden, um Autoren zu ärgern. Sie hat sich im Lauf der Menschheitsgeschichte, die immer auch eine Geschichte von Geschichten war, als bewährte Strukturierung entwickelt. Sprich: Sie war schon lange vor den Schreibratgebern da. Und nach vielen tausend Jahren der Entwicklung sollte sie doch recht ausgereift sein.

      Das ist sie.

      Das heißt: Wann immer Sie von dieser Struktur abweichen, betreten Sie ein Risikogebiet. In den meisten Fällen gehen Autoren dieses Risiko ohne Grund ein. Die meisten Romane jedweden Genres funktionieren wunderbar bis optimal mit der Drei-Akte-Struktur.

      Manche Autoren sehen die Struktur als ein Korsett. Das ist sie nicht. Betrachten Sie diese Ordnung vielmehr als das Knochengerüst Ihres Romans. Sie brauchen die Knochen, damit der Körper sich bewegen kann, ja, damit er überhaupt lebt und funktioniert. Doch in welches Fleisch Sie ihn hüllen, in welche Klamotten Sie ihn kleiden und wie Sie ihn schminken, das alles bleibt Ihnen überlassen – und damit alles, was die Leser von Ihrem Roman zu lesen bekommen. Struktur ist für den Leser unsichtbar. Und das ist gut so.

      Eine Struktur sorgt für formelhafte Romane? Wie viele Menschen kennen Sie, die genau gleich aussehen, sich genau gleich kleiden, sich gleich schminken, gleich reden, gleich gestikulieren? Die das gleiche fühlen und denken? Obwohl wir alle das gleiche Skelett haben, so ist doch keiner von uns wie der andere. So ist das auch bei Romanen.

      Tatsächlich sind Meilensteine im Roman für Sie als pragmatische Autorin oder effektiv arbeitender Autor vor allem eins: wunderbare Hilfsmittel. Sie sind wie rote Stangen, die in hohem Schnee stecken und die Straße markieren. Folgen Sie ihnen, können Sie zwar immer noch vom Weg abkommen und einen Abhang herunterrutschen, aber das Risiko ist deutlich geringer.

      Falls Sie zu den Autoren gehören, die sich nicht Trivialitätsverdacht aussetzen möchten und deshalb auf alles verzichten, was nur entfernt nach »Formel« riecht, kann ich Sie beruhigen: Kein Leser und kein Kritiker und nur wenige Lektoren werden es überhaupt bemerken, wenn Sie sich grob an solchen Meilensteinen orientieren (so wenig, wie sie erkennen, ob Sie mit Word oder Papyrus schreiben). Aber sehr viele von ihnen werden es bemerken, wenn Sie es nicht tun.

      Den Finger werden die Wenigsten genau auf die Wunde legen können, aber spüren, dass mit dem Roman etwas nicht stimmt, das werden viele.

      Die drei Akte heißen nach ihrer Funktion im Plot auch:

      1. Exposition: Stellt die Welt, den Protagonisten samt Bedürfnis, Motiv und Fehlern vor sowie weitere Charaktere und das zentrale Problem des Romans.

      2. Eskalation: Der Protagonist muss auf dem Weg zu seinem zentralen Ziel zunehmend größere Hindernisse überwinden. Er wandelt sich vom Wanderer zum Krieger und erlebt eine bittere Niederlage, die infrage stellt, was für ein Mensch er ist.

      3. Resolution: Nach dem Durchstehen eines Höhepunkts erreicht der Protagonist das zentrale Ziel. Oder er scheitert.

      In diesem Meisterkurs setze ich voraus, dass Sie die einzelnen Plotelemente (Meilensteine) zumindest vom Namen her kennen. Da jedoch keine einheitliche Nomenklatur existiert, gebe ich Ihnen hier kurz einen Überblick über die – nach meiner Auffassung – wichtigsten Eckpunkte.

      Diese Elemente sind die Basics. Die meisten davon sind wichtig bis essenziell, bei einigen ist sogar die (mehr oder weniger exakte) Lage im Plot bedeutsam. Ihr Roman kann durchaus mehr Akte, mehr Wendepunkte, einen komplexeren Erzählbogen enthalten.

      Weniger Meilensteine aber sollten es nicht sein, weil dann der Plot schlechter funktioniert. Oder gar nicht. Ein Mensch, dem der Schienbeinknochen fehlt, dessen Elle ihm aus dem Rücken wächst und dessen Nasenbein ihm mitten im Großhirn steckt, wird keinen Marathon laufen können. Oder leben.

      Was Sie hier neu finden, sind Punkte, die ich Katalysatoren nenne. Damit teile ich die wichtigsten Meilensteine auf – in eine Entscheidung des Protagonisten (den eigentlichen Plotpoint) und in ein Ereignis, das diese Entscheidung anstößt (den Katalysator). Auf diese Weise wird die Struktur anschaulicher und die Meilensteine sind einfacher zu verwenden. Dazu unten noch mehr.

      Ich unterscheide zwischen Plotpoints und Wendepunkten – ein Wendepunkt ist genau das: eine Wendung im Plot, groß oder klein, wichtig oder weniger wichtig. Eine überraschende Wendung nenne ich Twist.

      Die Plotpoints hingegen sind die zentralen Wendepunkte im zentralen Plot Ihres Romans. Sie betreffen den Protagonisten und sie betreffen keine Subplots, sondern die Kerngeschichte. Jeder Roman sollte sich auf diese Plotpoints stützen: den ersten PP am Ende des ersten Akts und den zweiten PP am Ende des zweiten Akts. Auch den Midpoint können Sie zu den Plotpoints zählen.

      Der Midpoint heißt bei mir deshalb nicht Mittelpunkt, weil das Wort »Mittelpunkt« mehrdeutig ist. Schreibe ich Midpoint, meine ich immer den Dreh- und Angelpunkt in der Mitte des Romans.

       1. Akt: Exposition

       Aufhänger (Haken, Hook; auf den ersten Seiten des Romans, am besten auf der ersten Seite)

      Hieran ziehen Sie den Leser in den Roman. Das geht besonders gut, wenn Sie eine dramatische Frage stellen.

      Beispiel: Ein kleines Mädchen