Stephan Waldscheidt

Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen


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kracht es in dieser Szene am lautesten. Alle Fäden laufen zusammen, von beiden Seiten wird das Letzte an Reserven mobilisiert.

      Das »direkte Aufeinandertreffen« wird in Filmen häufig dadurch gezeigt, dass alle Waffen leergeschossen sind, die Schwerter in den Abgrund gefallen – jetzt bleiben nur noch die nackten Fäuste. Direkter geht es nicht. Hier sehen Sie zugleich die Gefahr, im Klischee zu landen. Die wenigsten Leser wird das stören. Doch wenn es Sie stört, denken Sie darüber nach, wie ein möglichst unmittelbares Aufeinanderprallen der Gegner noch aussehen könnte.

      Alle noch nicht aufgelösten Subplots haben an dieser Stelle / in dieser Szene ebenfalls ihren Höhepunkt.

      Beispiel: Während die Heldin gegen den Oberschurken kämpft, kämpft ein Verbündeter der Heldin gegen den Adjutanten des Oberschurken, mit dem er noch ein Hühnchen zu rupfen hat.

      Die Protagonistin kann diesen Kampf nur deshalb gewinnen, weil sie sich verändert hat – sie ist nicht mehr dieselbe Person wie die, die im Katalysator der Krise verloren hat.

      Häufig nutzt sie hier Hilfsmittel oder Ideen, die im ersten oder zweiten Akt angelegt und vorbereitet wurden.

      Beispiel: In »Zoomania« (USA 2016) benutzt die Heldin Judy Hopps das in einem Kugelschreiber verborgene Aufnahmegerät, um das Geständnis ihrer Gegenspielerin aufzuzeichnen. Das Gerät wurde zuvor mehrfach in Aktion gezeigt.

      Emotionaler Höhepunkt (während des Höhepunkts oder direkt danach)

      Neben dem zentralen Plot (sagen wir, einer Geiselbefreiung) finden im Höhepunkt des Romans auch die Emotionen ihren intensivsten Moment. Das kann einen Liebessubplot abschließen (eine der Geiseln ist der Geliebte der Heldin).

      Beispiel: Die Protagonistin hat im Höhepunkt ihren Geliebten befreit. Jetzt sitzen sie auf der Stoßstange des Rettungswagens, der inmitten von Trümmern steht, und küssen sich – der frischen Wunden wegen aber seeehr vorsichtig.

      Dénouement (nach dem Höhepunkt, ganz am Ende des Romans)

      Hier fällt die Spannung ab. Insofern ein wichtiger Punkt, als dass dort die Stimmung gelegt wird, mit der der Leser den Roman am Ende zuklappt.

      Beispiel: Es wird gezeigt, wie die Heldin trotz ihrer im Höhepunkt erlittenen Verletzung im Alltag zurechtkommt und sie ihren neuen Hund erzieht, nachdem der alte im Höhepunkt des Romans sein Leben für sie ließ. Die Stimmung hier: melancholisch, aber hoffnungsvoll.

      Beispiel: In »Der Herr der Ringe« kann Frodo nach dem Höhepunkt keinen Frieden finden, zu tief sind die Wunden, die er als Ringträger erlitten hat. Gemeinsam mit Bilbo und Gandalf schifft er sich an den Grauen Anfurten ein, um Mittelerde zu verlassen.

      Gerade in langen Romanen oder Romanreihen, die die Leser in eine eigene Welt mitgenommen haben, kann ein Dénouement sinnvoll sein, um dem Leser den Abschied schonender erleben zu lassen und ihn sanft in seinen Alltag zurückzuführen.

      In vielen Fällen ist das Dénouement jedoch überflüssig, ja, es schadet sogar, weil es den Leser noch im Roman hält, obwohl die Geschichte zu Ende erzählt ist. Noch zu verknüpfende lose Fäden werden meist besser vor dem Höhepunkt zusammengeführt. Überhaupt müssen nicht alle Fäden verknüpft werden. Ein offenes Ende in dem einen oder anderen Subplot ist für den Leser oftmals die bessere Variante.

      Falls der Roman jedoch als Teil einer Serie oder Reihe fungiert, kann hier schon der Grundstein für den nächsten Teil gelegt werden.

      Beispiel: In der letzten Szene des Films »Iron Man« (USA 2008) nach dem Abspann taucht Nick Fury auf und bietet Tony Stark alias Iron Man eine Mitgliedschaft bei den Avengers an.

      Der einfachste Weg, einen Roman zu plotten

      Lassen Sie sich zu Beginn der Planung Ihres Romans nicht von Strukturideen oder Charakterentwicklungen leiten, die Sie in Lehrbüchern, Schreibratgebern oder Blogs finden. Nicht zu Anfang. Fragen Sie sich zunächst: Was will ich erzählen? Was bedeuten die Themen, mit denen ich mich in dem Roman befasse, was steckt dahinter? Gehen Sie offen und spielerisch in dieses erste Brainstorming hinein. Vielleicht erfordert Ihr Roman eine andere als die übliche, eine ganz individuelle Form.

      Aber täuschen Sie sich nicht, machen Sie es sich nicht zu einfach. In den meisten Fällen werden Sie feststellen, dass die bewährte Erzählstruktur nicht von ungefähr bewährt ist. Sie wird wahrscheinlich auch Ihrer Geschichte den besten Dienst erweisen. Aber vorher darüber nachzudenken, ob dem wirklich so ist, wird Ihnen bereits viel über Ihren Roman verraten. Und es wird Sie sicherer machen, wenn Sie an die Planung und ans Schreiben gehen.

      Falls Sie im Zweifel sind, ob Sie den einen oder anderen Meilenstein brauchen, machen Sie die Nagelprobe. Fungieren Sie als Ihr eigener Advocatus Diaboli und fragen Sie sich etwa beim Midpoint: »Was gibt es für einen guten, vom Roman indizierten Grund, an dieser Stelle nicht für eine große Wende zu sorgen, den Roman nicht mit neuer Energie aufzuladen, den Protagonisten nicht proaktiv das zentrale Romanproblem anzugehen?« Sie werden schnell feststellen, dass es fast immer einen überzeugenden Grund für die Verwendung eines der Meilensteine gibt – und nur selten etwas, was dagegen spricht.

      Gönnen Sie sich die Zeit, zunächst das Wesen Ihres Romans und seiner Themen näher zu erforschen, auch wenn diese Zeit Ihnen wenig fruchtbar erscheinen mag. Sie werden sehen, es zahlt sich aus. Vielfach. Nicht nur wird der Roman besser. Er gelingt Ihnen schneller und mit weniger Überarbeitungen.

      Versuchen Sie einfach mal, wie ein Muschelfarmer zu plotten. Manche Farmer spannen Seile vom Meeresboden zur Wasseroberfläche. Damit bieten Sie Muscheln die Möglichkeit, sich festzusetzen und sich so an den Seilen zu entwickeln. Mit der Zeit wachsen immer mehr Muscheln an den Seilen und sogar aufeinander.

      Stellen Sie sich vor, die Muscheln wären die Wörter Ihres Romans. Und die Seile die Meilensteine wie etwa die Plotpoints oder der Höhepunkt.

      Auch beim Plotten eines Romans können Sie zunächst solche Seile spannen oder Pflöcke ins Watt hämmern, indem Sie die wichtigsten Roman-Meilensteine einzeln durchdenken. Haben Sie diese erst einmal fest an Ort und Stelle, gruppieren sich die Wörter wesentlich einfacher darum. Tatsächlich ergeben sich viele der Ereignisse zwischen den Meilensteinen wesentlich einfacher und auch schlüssiger. Es fühlt sich beinahe an wie ein organisches Wachsen.

      Irgendwann wachsen die Wörter so dicht, dass Ihr Protagonist trockenen Fußes über die zusammengewachsenen Wörter gehen kann. Sein Pfad ist Ihr Roman!

      Es kommt weniger darauf an, nach welcher Methode Sie Ihren Roman plotten, ob nach einer festgelegten wie der Heldenreise oder der Schneeflockenmethode, oder nach einer eigenen, die Sie selbst im Lauf Ihrer Erfahrungen entwickelt haben. Wichtig ist, dass Sie sich eine suchen, die zu Ihnen und zu Ihrem Roman passt.

      Die Methode Ihrer Wahl sollte ...

      * Ihnen liegen und sich möglichst natürlich anfühlen;

      * genug Raum sowohl für eine Herangehensweise mit Herz und mit Verstand bieten;

      * Sie auch in schwierigen Phasen immer wieder motivieren;

      * Ihnen möglichst viele Ideen eingeben und neue Ideen erlauben;

      * Sie möglichst viel Text produzieren lassen;

      * Ihre Arbeit effektiv (hoher Grad an Zielerreichung) und effizient (hohe Wirtschaftlichkeit) machen.

      Falls Sie sich noch nicht für eine Methode entschieden haben, hier einige grundlegende Tipps für das stressfreieste Plotten Ihres Romans:

       0. Schreiben Sie auf, welche Ideen Sie für Ihren Roman haben.

       1. Notieren Sie sich die allgemeinen Meilensteine der Struktur.

       2.