Alfred Bekker

Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018


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      „Eckart Krassow hat sein Büro in der Landgrabenstraße. Nummer habe ich vergessen. Aber er hat 'ne Homepage, da steht alles drauf. Übrigens, soweit ich gehört habe, wäre es nicht das erste Mal, dass die MEAN DEVVILS solche Aufträge ausführen. Allerdings haben sie das bisher eher für das Rotlichtmilieu, Drogenhändler oder Inkasso-Büros getan. Nur will Ihr ehemaliger Kollege meinen diesbezüglichen Hinweisen nicht nachgehen. Den hat das gar nicht interessiert, diesen Ignoranten. Stattdessen wollte er dafür sorgen, dass bei mir jetzt häufiger Streifenwagen vorbeifahren, aber das glaube ich ihm nicht. Wäre ohnehin auch Blödsinn, weil ich ja ständig auf Achse bin. Ja, aber so ist das: Da wird man mit dem Tod bedroht und bekommt noch nicht mal anständigen Personenschutz! Das sind eben Beamte. Die haben ja ihre Sicherheit von der Wiege bis zur Bahre, und was für Sorgen ein Selbstständiger wie ich so hat, das können die sich nicht mal ansatzweise vorstellen. Ich sage Ihnen, schon unser Steuersystem und die Pensionen ...“

      Nein, bitte nicht!, dachte Berringer. Nicht diese Leier! „Sie sagten, mein Ex-Kollege war rothaarig. Hieß der zufällig Anderson?“

      „Ja, so hieß er.“

      „Sie haben Glück.“

      „Als ich mit diesem Kerl zu tun hatte, hatte ich den Eindruck nicht gerade. Das ist ja einer der Gründe, warum ich zu Ihnen gekommen bin.“

      „Kriminalhauptkommissar Thomas Anderson, früher Kripo Düsseldorf, jetzt Kripo Mönchengladbach“, murmelte Berringer. „Ich kenne ihn gut. Wir waren zusammen in der Ausbildung, und Sie sollten wirklich nicht zu schlecht über ihn denken.“

      „Wieso?“

      „Als ich Paul Paukes Stalkerin überführt hab, brauchte ich ein paar Informationen, an die ich ohne Anderson nicht herangekommen wäre.“

      „Na ja ...“, gab sich Marwitz nun etwas kleinlaut. „Ich will ja nichts gesagt haben. Und ganz bestimmt will ich Ihren ehemaligen Kollegen nicht schlechter reden, als er ist ...“

      Berringer lächelte kühl. „Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen, Herr Marwitz.“

      „Aber Sie müssen auch mich verstehen. Ich bin mit den Nerven ziemlich am Ende.

      Tja, und heute Abend muss ich natürlich wieder megagut drauf sein, wenn die ergrauten Achtzigerjahre-Teenies abfeiern wollen und so tun, als wäre die Zeit an ihnen vorbeigegangen und nur sie selbst jung und geil geblieben.“ Da passt du doch ganz gut dazwischen!, dachte Berringer.

      „Klingt nach einem wirklich harten Job“, sagte er laut und mit einigermaßen überzeugend geheucheltem Mitleid.

      „Kann ich heute Abend mit Ihnen und Ihrer Truppe rechnen?“, vergewisserte sich Marwitz.

      „Ja, Sie können sich auf uns verlassen“, versprach Berringer. „Hundertprozentig.“

      „Ich rede mit dem Veranstalter, damit man Sie hereinlässt.“

      Wäre ja noch schöner, wenn ich für diesen Mist noch bezahlen müsste!, dachte Berringer. Alle Formen des organisierten Frohsinns waren ihm verhasst, und das hatte ausnahmsweise nichts mit seinem Trauma zu tun, sondern lag in seiner tiefsten Natur begründet. Das hatte er feststellen müssen, als es ihn vor Jahren aus dem heimatlichen, komplett frohsinnsfreien, von muffigen Sturköpfen dominierten Münsterland in das karnevalsverrückte Düsseldorf verschlagen hatte.

      Marwitz wandte sich an Vanessa. „Ich werde sogar versuchen, Sonderkarten für Sie aufzutreiben. Für den Backstagebereich und so.“ Er schenkte Vanessa ein öliges Lächeln, und zu Berringers Entsetzen schien Marwitz damit bei ihr sogar zu punkten.

      Jedenfalls kicherte sie.

      Bevor die Situation noch peinlicher werden konnte, meldete sich Marwitz’ Handy, indem es in reichlich scheppernden Akkorden den Triumphmarsch aus Aida schmetterte.

      Viel Schein, wenig Sein, dachte Berringer. Aber unglücklicherweise schien sich genau diese besondere Angeber-Spezies bestens zu vermehren.

      „Marwitz, Agentur Event Horizon – Motto: Wir machen alles möglich, aber Wunder dauern fünf Minuten länger. Was kann ich für Sie tun?“ Berringer überlegte, wie oft Marwitz diesen Spruch wohl schon heruntergerattert hatte, um ihn in dieser exorbitanten Geschwindigkeit fehlerfrei und immer noch deutlich akzentuiert über die Lippen zu bringen. Da zeigt sich der wahre Profi, dachte Berringer.

      Marwitz schien das größte Schnellsprechtalent seit Dieter Thomas Heck zu sein, doch der Fluch der späten Geburt hatte dafür gesorgt, dass seine Zeit schon vorbei gewesen war, bevor er seine Karriere hatte starten können. Der Mantel der Geschichte hatte diesen Moderatorentyp gestreift und war an ihm vorbeigegangen, und nun mussten Männer wie Frank Marwitz auf Ü-30-Partys grölende Massen unterhalten anstatt eine Samstagabendshow im ZDF zu moderieren.

      Marwitz sagte ein paar Mal knapp, zackig und ganz gegen seine ansonsten ausschweifende Diktion „Ja!“ und beendete dann das Gespräch. Dann stand er auf und sah gewichtig auf seine Armbanduhr, die zwar aussah wie eine Rolex, aber nur ein preiswertes Imitat war, wie Berringer auf den ersten Blick erkannte. In der Zeit, als er noch mit einer Polizeimarke gegen das organisierte Verbrechen gekämpft hatte, hatte er unzählige solcher Fälschungen sichergestellt. Sie wurden von kriminellen Banden über die EU-Grenzen geschleust und dann für einen Bruchteil des Preises angeboten, den ein Originalprodukt kostete.

      „Ich muss leider weg. Ich habe wider Erwarten jemanden gefunden, der mir eine PA-Anlage liefern kann.“

      „Wie ...?“, fragte Berringer.

      „PA – Public Adress. Eine Anlage zur Beschallung einer öffentlichen Veranstaltung – also mit genügend Leistung.“

      Marwitz hatte Berringer gründlich missverstanden. Berringer wusste durchaus, was eine PA-Anlage war. Er wunderte sich nur, dass sie Marwitz plötzlich wichtiger war als seine Sicherheit. Jedenfalls schien er auf einmal keinerlei Furcht mehr davor zu haben, dass man noch einen weiteren Anschlag auf ihn verüben könnte.

      „Wir sehen uns also heute Abend in der Kaiser-Friedrich-Halle“, sagte Marwitz und eilte schon Richtung Tür.

      „Wann fängt die Party denn an?“, fragte Berringer schnell.

      „Um acht. Aber ich bin schon um sieben da, und es wäre schön ...“ Den Rest bekam Berringer nicht mehr mit.

      „Seltsamer Typ“, sagte Berringer, als der Event-Manager weg war.

      „Ich fand ihn nett“, meinte Vanessa.

      „Na ja ...“ Berringer bemühte sich, nicht mit den Augen zu rollen.

      Als nächstes versuchte er Mark Lange anzurufen, um ihm zu sagen, dass er ihn am Abend unbedingt brauche. Aber Mark war nicht erreichbar. „Hat bestimmt das Handy abgestellt, damit ich ihn nicht belästige“, brummte Berringer.

      „Schreib ihm doch 'ne SMS“, schlug Vanessa vor.

      Berringer seufzte. „Bleibt mir wohl nichts anderes übrig“, knurrte er. Er hoffte nur, dass sich Mark die Nachricht auch rechtzeitig ansah. „Mit dir rechne ich natürlich auch ganz fest“, fügte er an Vanessa gerichtet hinzu.

      „Kein Problem.“

      Na, da hat der Charme des Möchtegern-Medienstars aber volle Wirkung gezeigt!, ging es Berringer durch den Kopf, denn ansonsten brachte Vanessa ganz obligatorisch ein paar Widerworte vor, wenn er eine Aufgabe für sie hatte.

      Die nächste Nummer, die Berringer wählte, gehörte Kriminalhauptkommissar Thomas Anderson. Sie war im Adressbuch der Telefonanlage gespeichert.

      „Kann ich gleich mal vorbeikommen?“, fragte der Detektiv. „Wie, was heißt hier: Es ist im Moment gerade schlecht? Die Sache ist sehr wichtig, und eine Hand wäscht die andere, das weißt du doch.“

      Berringer lauschte der Antwort, sagte dann „Ja, ja – schon gut“ und legte auf.

      „Na, meiden dich jetzt schon alte