ist eine Weile still, aber dann sagt sie doch: »Wir können doch hier nicht wohnen bleiben, Junge, das siehst du doch ein?«
»Versuch es doch, Lämmchen!« bittet er. »Erst mal nur die vierzehn Tage bis zum Ersten. Vor'm Ersten können wir ja doch nicht kündigen.«
Sie überlegt es sich, ehe sie zusagt. Sie späht in den Reitsaal, aber dort erkennt man jetzt nichts, es ist zu dunkel. Dann seufzt sie: »Nun gut, ich will es versuchen, Junge. Aber du spürst doch selbst, daß dies nicht auf die Dauer ist, daß wir hier nie und nie ganz glücklich sein können?«
»Ach Dank«, sagt er. »Dank. Und das andere wird sich finden, muß sich finden. Nur nicht arbeitslos werden!«
»Nur nicht«, sagt sie auch.
Und dann sehen sie noch einmal auf das Land, dieses stille, mondbeglänzte Land, und gehen ins Bett. Die Vorgänge brauchen sie nicht zuzuziehen. Hier gibt es kein Gegenüber. Und in ihr Einschlafen meinen sie ganz schwach die Strela plätschern zu hören.
Was sollen wir essen? Und mit wem dürfen mir tanzen? Müssen wir jetzt heiraten?
Am Montag morgen sitzen Pinnebergs am Kaffeetisch, Lämmchens Augen glänzen ordentlich: »Also heute, heute fängt es richtig an!« Und mit einem Blick auf die Schreckenskammer: »Ich werde den ollen Möl schon klar kriegen!« Und mit einem Blick in die Tasse: »Wie findest du den Kaffee? Fünfundzwanzig Prozent Bohnen!«
»Da du fragst, weißt du ...«
»Ja, Junge, wenn wir sparen wollen ...«
Worauf Pinneberg ihr auseinandersetzt, daß er sich bisher morgens immer »richtigen« Bohnenkaffee hat leisten können. Und sie erklärt, daß zwei eben mehr kosten als einer. Und er sagt, er hat immer gehört, in der Ehe lebt man billiger, das Essen für zwei in der Ehe stellt sich billiger als das Gasthausessen für einen.
Eine längere Debatte setzt ein, bis er sagt: »Donnerwetter, ich muß ja fort! Und eiligst!!«
In der Tür Abschied. Er ist die halbe Treppe hinunter, da ruft sie: »Jungchen, halt, Jungchen! Was wollen wir denn heute überhaupt essen?«
»Ganz egal«, tönt es zurück.
»Sag doch! Bitte, sag doch! Ich weiß doch nicht ...«
»Ich auch nicht!« Und die Tür unten klappt.
Sie stürzt ans Fenster. Da geht er schon, erst winkt er mit der Hand, dann mit einem Taschentuch, und sie bleibt so lange am Fenster, bis er an der Gaslaterne vorüber ist und verschwunden hinter einer gelblichen Hauswand. Und nun hat Lämmchen, zum ersten Mal in ihrem zweiundzwanzigjährigen Leben, einen Vormittag für sich allein, eine Wohnung für sich allein, einen Küchenzettel zu machen ganz allein. Sie geht ans Werk.
Pinneberg aber trifft an der Ecke der Hauptstraße den Stadtsekretär Kranz und grüßt ihn höflich. Dabei fällt ihm etwas ein. Er hat mit der rechten Hand gegrüßt und an der rechten Hand trägt er ja einen Ring. Hoffentlich hat Kranz den nicht gesehen. Pinneberg nimmt den Ring ab und steckt ihn sorgfältig in das »Geheimfach« seiner Brieftasche. Es widerstrebt ihm, aber was sein muß, muß sein. –
Unterdes ist man auch bei seinem Brotherrn Emil Kleinholz aufgestanden. Das Aufstehen ist dort an keinem Morgen erfreulich, denn direkt aus dem Bett ist man dort stets besonders schlechter Laune und geneigt, einander Wahrheiten zu sagen. Aber der Montag morgen ist meist besonders schlimm, am Sonntagabend neigt der Vater zu Eskapaden und die rächen sich dann beim Erwachen.
Denn Frau Emilie Kleinholz ist nicht sanft; soweit man einen Mann zähmen kann, soweit hat sie ihren Emil gezähmt. Und in der letzten Zeit ist es ein paar Sonntage auch gut gegangen. Emilie hat einfach die Haustür am Sonntagabend abgeschlossen, ihrem Mann zum Abendbrot einen Siphon Bier spendiert und ihm späterhin mit Kognak die nötigen Lichter aufgesetzt. Irgend so etwas wie ein Familienabend ist dann auch wirklich zustande gekommen, der Junge hat in einer Ecke gekauzt und gemauzt (der Junge ist Miesling), die Frauen haben mit Handarbeiten am Tisch gesessen (für Maries Aussteuer) und Vater hat die Zeitung gelesen und ab und an gesagt: »Mutter, laß noch einen sausen.«
Worauf Frau Kleinholz jedes Mal sagte: »Vater, denk an das Kind!«, aber dann doch einen aus der Buddel sausen ließ, oder auch nicht, ganz nach dem Gemütszustand des Gatten.
So war auch dieser letzte Sonntagabend verlaufen und alles war ins Bett gegangen, um zehn herum.
Um elf Uhr wacht Frau Kleinholz auf, es ist dunkel im Zimmer, sie lauscht. Sie hört nebenan die Tochter Marie fiepen, die fiept im Schlaf, der Junge zieht seine Töne am Fußende des väterlichen Bettes, nur Vaters Schnarchen fehlt im Chor.
Frau Kleinholz faßt unter ihr Kopfkissen: der Hausschlüssel ist da. Frau Kleinholz macht Licht: der Mann ist nicht da. Frau Kleinholz steht auf, Frau Kleinholz geht durch die Wohnung, Frau Kleinholz geht in den Keller, Frau Kleinholz geht über den Hof (das Klo steht auf dem Hof): nichts. Schließlich entdeckt sie, daß ein Bürofenster nur angelehnt ist, und sie hat es bestimmt zugemacht. So was weiß sie stets bestimmt.
Frau Kleinholz ist kochende, siedende Wut: eine viertel Flasche Kognak, ein Siphon Bier, umsonst! Sie kleidet sich notdürftig an, sie wirft den lila wattierten Schlafrock um, sie geht, ihren Mann suchen. Sicher ist er an der Ecke im Krug von Bruhn, einen heben.
Es ist ein altes gutes Geschäft, das Getreidegeschäft der Kleinholzens am Marktplatz. Emil ist schon die dritte Generation, die es hat. Es ist reell gewesen, anständig, es ist ein Vertrauensgeschäft gewesen mit dreihundert alten Bauernkunden, Gutsbesitzerskunden. Wenn der Emil Kleinholz gesagt hat: »Franz, das Baumwollsaatmehl ist gut«, dann hat Franz nach keiner Gehaltsanalyse gefragt, er hats gekauft, und siehe, es war gut.
Aber einen Haken hat solch ein Geschäft: es muß begossen werden, es ist von Natur her ein feuchtes Geschäft. Es ist ein Saufgeschäft. Bei jedem Wagen Kartoffeln, bei jedem Frachtbrief, bei jeder Abrechnung: Bier, Korn, Kognak. Das geht, wenn die Frau gut ist, wenn ein Haushalt da ist, ein Zusammenhalt, eine Gemütlichkeit, aber es geht nicht, wenn die Frau ewig schimpft.
Frau Emilie Kleinholz hatte von eh und je geschimpft. Sie wußte, es war falsch, aber Emilie war eifersüchtig, sie hatte einen schönen Mann geheiratet, einen wohlhabenden Mann, sie war ein armes Ding gewesen mit sieben Zwetschgen, sie hatte ihn allen andern entrissen. Nun fletschte sie die Zähne über ihm, nach vierunddreißigjähriger Ehe kämpfte sie noch um ihn wie am ersten Tag.
Sie zottelt auf ihren Hausschuhen, in ihrem Schlafrock bis zur Ecke, zu Bruhn. Ihr Mann ist nicht da. Sie könnte höflich fragen, ob er dagewesen ist, aber das ist ihr nicht gegeben, sie überschüttet den Krüger mit Vorwürfen: Säufern zu saufen geben, solche Lumpen. Anzeigen wird sie ihn, Verführung ist das zum Suff.
Der olle Bruhn mit dem Vollbart bringt sie selber raus, sie tanzt neben dem Hünen einen Wuttriller, aber er hat einen sicheren Griff.
»So, junge Frau«, sagt er.
Da steht sie draußen. Dies ist ein Kleinstadtmarktplatz mit Buckelpflaster, zweistöckige Häuser, mal Giebel, mal Fronten nach dem Platz, alle verhängt, alle dunkel. Nur die Gaslaternen fackeln und wackeln.
Jetzt nach Haus? So siehst du aus! Daß der Emil sie tagelang aufzieht, zum Narren hält, sie ist auf der Suche nach ihm gewesen und hat ihn nicht gefunden. Finden muß sie ihn jetzt, aus dem besten Suff, der versoffensten Gesellschaft herausreißen – aus dem schönsten Vergnügen.
Dem schönsten Vergnügen!
Plötzlich weiß sie es: Im Tivoli ist heute Tanz, da ist Emil.
Da ist er! Da ist er!
Und so wie sie ist, zieht sie durch die halbe Stadt, Hausschuhe, Morgenrock, geht sie ins Tivoli, der Kassierer vom Verein Harmonie will eine Mark Eintritt von ihr, sie fragt nur: »«Willst 'nen Backs?«
Und der Kassierer will nichts mehr von ihr.
So steht sie im Tanzsaal, erst noch halb gehemmt, hinter einer Säule, spähend, aber dann