Лев Толстой

Kindheit


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anfangen.

      Was war diese Mimi doch für eine unerträgliche Person! In ihrer Gegenwart durfte man zuweilen gar nichts sprechen: sie fand alles unpassend. Überdies quälte sie uns mit ihrem unaufhörlichen: »Parlez donc français!« während wir, wie zum Trotz, gerade gern russisch geplaudert hätten; oder man wollte sich beim Mittagessen eine Speise eben so recht schmecken lassen und wünschte, von niemand gestört zu werden, da ertönt unbedingt ihr: »Mangez donc avec du pain!« oder: »Comment-c'est que vous tenez votre fourchette?« – »Was hat sie sich überhaupt um uns zu kümmern?« denkt man, »mag sie doch ihre Mädels schulmeistern, wir haben dazu doch Karl Iwanowitsch!« Ich teilte dessen Haß gegen »gewisse Leute« vollständig.

      »Bitt' doch Mama, daß man uns auf die Jagd mitnehme!« flüsterte Katjenka mir zu, indem sie mich beim Rock festhielt, als die Erwachsenen ins Zimmer vorangingen.

      »Gut, ich werde mir Mühe geben.«

      Grischa verzehrte sein Mittagbrot im Speisezimmer, aber an einem besonderen Tischchen; er blickte von seinem Teller nicht auf, seufzte von Zeit zu Zeit, schnitt entsetzliche Grimassen und sprach wie zu sich selbst: »Schade! – fortgeflogen – die Taube wird zum Himmel fliegen – ach, auf dem Grabe liegt der Stein!« usw.

      Maman war seit dem Morgen aufgeregt; die Gegenwart, die Worte und das Gebaren des Idioten verstärkten ihre Erregung merklich.

      »Ach ja, fast hätte ich vergessen, dich um etwas zu bitten«, sagte sie, indem sie meinem Vater den Teller mit Suppe reichte.

      »Was denn?«

      »Bitte, laß deine schrecklichen Hunde einsperren; sie haben beinahe den armen Grischa zerrissen, als er über den Hof ging. Sie können ebensogut die Kinder anfallen.«

      Als Grischa hörte, daß man von ihm sprach, kehrte er sich dem Esstisch zu, zeigte die zerrissenen Schöße seines Gewandes und sprach dabei kauend:

      »Wollte, daß totbeißen – Gott ließ nicht zu! Sünde, mit Hunden hetzen, große Sünde! Schlag' nicht, Großer, – warum schlagen? Gott wird verzeihen – die Zeiten sind nicht so –«

      »Was redet er da?« fragte Papa, ihn aufmerksam und streng betrachtend; »ich verstehe nichts.«

      »Aber ich verstehe ihn.« erwiderte Maman, »er hat mir erzählt, daß irgend ein Jäger absichtlich die Hunde auf ihn losgelassen hat, deshalb sagte er: wollte, daß totbeißen, aber Gott ließ nicht zu, – und er bittet dich, du mögest den Jäger dafür nicht bestrafen.«

      »Ach so!« sagte Papa; »woher weiß er denn, daß ich diesen Jäger bestrafen will? – Du weißt, ich bin im allgemeinen kein großer Freund dieser Herren«, fuhr er in französischer Sprache fort, »und dieser mißfällt mir ganz besonders und muß –«

      »Ach, sag' das nicht, mein Freund!« unterbrach ihn Maman fast erschrocken, »wie kannst du wissen?«

      »Ich denke, ich habe Gelegenheit genug gehabt, diese Gattung Menschen kennen zu lernen, – es kommen ihrer so viele zu dir, – alle nach demselben Schnitt! Ewig die gleiche Geschichte –«

      Man merkte, daß Mütterchen in dieser Angelegenheit völlig anderer Meinung war und nicht darüber streiten wollte.

      »Reich mir, bitte, ein Pastetchen«, sagte sie, »sind sie heute gut, wie?«

      »Nein, mich ärgert es«, fuhr Papa fort, indem er ein Pastetchen ergriff, aber so weit weghielt, daß Maman es nicht erreichen konnte; »mich ärgert es, wenn ich sehe, daß kluge und gebildete Leute sich betrügen lassen.« Und er schlug mit der Gabel auf den Tisch.

      »Ich bat dich, mir ein Pastetchen zu reichen«, wiederholte Maman, die Hand ausstreckend.

      »Und man tut gut daran, daß man solche Leute polizeilich einsperrt«, sprach Papa weiter, indem er seine Hand zurückzog: »sie tun nichts, als daß sie die ohnehin schwachen Nerven gewisser Leute noch mehr aufregen«, schloß er mit einem Lächeln, als er merkte, daß dieses Gespräch Maman durchaus nicht gefiel, und reichte ihr das Pastetchen.

      »Ich will dir darauf nur eines sagen«, erwiderte Maman, »es ist schwer zu glauben, daß ein Mensch, der trotz seiner sechzig Jahre Winter und Sommer barfuß geht und unter seinem Gewande, ohne sie je abzulegen, Ketten im Gewicht von zwei Pud trägt, der wiederholt das Anerbieten ausschlug, ruhig und mit allem versorgt zu leben, – es ist schwer zu glauben, daß ein solcher Mensch das alles nur aus Trägheit tut. Was die Weissagungen betrifft –« fügte sie mit einem Seufzer hinzu und schwieg ein Weilchen, »je suis payée pour y croire; ich hab' dir ja erzählt, glaube ich, wie Kirjuscha meinem seligen Papa Tag und Stunde seines Todes ganz genau vorhergesagt hat.«

      »Ach, was hast du mir angetan!« sagte Papa lächelnd und die Hand an der Seite, wo Mimi saß, vor seinen Mund haltend. (Wenn er das tat, horchte ich stets mit gespannter Aufmerksamkeit, weil ich etwas Komisches erwartete.) »Warum hast du mich an seine bloßen Füße erinnert? Ich hab' hingeschaut und kann nun nichts mehr essen!«

      Das Mittagsmahl näherte sich dem Ende. Ljubotschka und Katjenka machten uns unaufhörlich Zeichen, rutschten auf ihren Stühlen hin und her und verrieten überhaupt große Unruhe. Ihre Zeichen bedeuteten: »Warum bittet ihr denn nicht, daß man uns auf die Jagd mitnehme?« Ich stieß Wolodja mit dem Ellenbogen an, Wolodja stieß mich an, entschloß sich aber endlich: zuerst schüchtern, dann ziemlich sicher und laut erklärte er, da wir heute abreisen müßten, sei es unser Wunsch, daß die Mädchen zusammen mit uns auf die Jagd fahren dürften, und zwar auf der Liniendroschke. Nach einer kurzen Beratung zwischen den Erwachsenen wurde die Frage zu unsern Gunsten entschieden und – was das Schönste war – Maman sagte, daß sie selbst ebenfalls mitfahren wolle.

      Der Idiot

      Während des Desserts wurde Jakob gerufen; die Weisungen in Bezug auf die Liniendroschke, die Hunde und die Reitpferde wurden ihm mit größter Ausführlichkeit erteilt, wobei jedes Pferd beim Namen genannt wurde. Wolodjas Pferd hinkte; Papa befahl daher, für ihn ein Jagdpferd zu satteln. Dieses Wort »Jagdpferd« erschreckte Maman: es schien ihr, als müsse ein Jagdpferd so etwas wie ein wildes Tier sein, und als werde es ganz bestimmt durchgehen und Wolodja ums Leben bringen. Trotz des Zuredens meines Vaters und Wolodjas – der mit staunenswerter Courage behauptete, das mache ihm gar nichts, er habe es sehr gern, wenn das Pferd durchgeht, – hörte die arme Maman nicht auf zu versichern, daß sie auf der ganzen Fahrt Angst ausstehen werde.

      Das Mittagsmahl war zu Ende; die Großen begaben sich ins Kabinett Kaffee trinken, und wir liefen in den Garten, scharrten mit den Füßen in dem welken Laub, das die Wege bedeckte, und plauderten. Wir sprachen darüber, daß Wolodja auf dem Jagdpferde reiten werde, daß Ljubotschka sich schämen müsse, weil sie langsamer lief als Katjenka, daß es interessant wäre, Grischas Ketten anzuschauen usw.; über unsere Trennung aber wurde kein Wort gesprochen. Unser Gespräch wurde durch das Rollen der Liniendroschke unterbrochen, auf welcher an jeder Ecke ein Knechtsjunge saß. Hinter der Droschke ritten die Jäger mit den Hunden, hinter den Jägern der Kutscher Ignaz auf dem für Wolodja bestimmten Pferde, meinen uralten Klepper am Zügel führend. Wir stürzten alle zum Zaun, von dem aus diese interessanten Dinge zu sehen waren; dann aber liefen wir mit Gekreisch und Getrampel nach oben, um uns anzuziehen, und zwar so, daß wir einem Jäger so ähnlich sahen wie nur möglich. Eines der Hauptmittel zur Erreichung dieses Zwecks war das Hineinstecken der Hosen in die Stiefelschäfte. Ohne Zögern machten wir uns daran, um so schnell als möglich fertig zu sein, auf die Veranda hinauszulaufen und uns am Anblick der Hunde und Pferde sowie am Geplauder mit den Jägern zu ergötzen.

      Es war ein heißer Tag. Weiße Wölkchen von seltsamer Form hatten sich schon am Morgen am Horizont gezeigt; ein leichter Wind hatte sie näher und näher getrieben, so daß sie zuweilen die Sonne verdeckten. Doch wie auch die Wolken hin und her zogen und dunkler und dunkler wurden, – es war ihnen nicht vergönnt, sich zu einem Gewitter zusammenzuziehen und noch zu guter letzt unser Vergnügen zu stören. Gegen Abend zerstreuten sie sich wieder: die einen wurden blaß und lang und eilten dem Horizonte zu; andere, gerade über uns stehende, verwandelten sich in weiße, durchsichtige Schuppen; nur eine