Martina Dr. Schäfer

Die Geschichte des Institutes für Ur- und Frühgeschichte an der Universität zu Köln


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Bergwanderer etwa zehn Stunden.

      Gelang Herbert Kühn in den dreissiger Jahren die Rückverfolgung der «Germanen» bis ins Jungpaläolithikum, so bringen ihn nun die Funde in den Höhlen ein ganzes Stück weiter, nämlich bis ins Mittlere Paläolithikum, das Mousterien. Alle drei Höhlen wurden, abwechselnd mit Höhlenbären, von den Neandertalern aufgesucht, deren Hinterlassenschaften dort von Emil Bächler ergraben wurden.

      Der Neandertaler in der Epoche des Mousterien, ... errichtete Opferaltäre. ...Der Neandertaler, verbunden mit Religion, verbunden mit Opfer, verbunden mit Kult, das ist eine der grössten Entdeckungen, die die Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte überhaupt haben bringen können. (KÜHN 1950, 6)

      Herbert Kühn vollzieht strukturell keinen Bruch zu seinen früheren Einstellungen. In den dreissiger Jahren glaubte man, das «Denken» der paläolithischen Menschen erschlüsseln zu können, in den fünfziger Jahren die «Religion». (KÜHN 1950, 6)

      Doch etwas Anderes, als «Religion» waren die oben dargestellten, mythischen Inhalte um «Mond-Frau-Erde» auch nicht. Ausserdem betitelte Herbert Kühn beispielsweise eine Vorlesung des Sommersemesters 1932: «Religion und Denken der Vorzeit.»

      Es folgt in Herbert Kühns Text eine kurze Darstellung der Fundplätze mit Zeichnungen, knapp vier Seiten, im Verhältnis zum Gesamttext von dreissig Seiten, woraus der Schwerpunkt seiner Arbeit gut erkenntlich ist.

      Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Steinplatten in der geschilderten Weise so, intentional von den Mousterienleuten gesetzt wurden, wenn man Herbert Kühn darin folgt, dass Schädel nicht per Zufall unter Felsbrocken oder in Moore geraten, also auch mit Intention niedergelegt wurden, so folgt daraus noch lange nicht, dass es nur eine deutbare Intention gegeben habe: Nämlich die Niederlegung als «Opfer». Es kann viele Gründe geben einen Rentier- oder Bärenschädel auf eine Stange zu spiessen.

      (zur Problematik dieser These siehe auch RABEDER et al 2000)

      Die Kurzschlüssigkeit von Herbert Kühns Interpretation verrät sich auch in der Formulierung: Die Lage der Kultplätze in den Höhlen in einem entlegenen Teile, da wo sie am verstecktesten sind, deutet auf den Kult, und so kamen die Ausgräber sogleich bei der Entdeckung auf den Gedanken, dass es sich um einen Opferkult handle, ...um einen Uropferkult zu Ehren einer Jagdgottheit, der das Opfer dargebracht worden ist. (KÜHN 1950, 10)

      Diese Grundthese wiederholt Herbert Kühn nun mehrmals, von den philologischen «Beweisen» zu ethnologischen und wieder zurück zu archäologischen aus anderen Regionen Europas springend. Die stetige Wiederholung, die übrigens diesen Text unübersichtlicher macht, wie seine oben zitierten Texte aus den dreissiger Jahren, wirkt wie eine Beschwörung, als müsse Herbert Kühn eine Wahrheit herbeten. Solche Beschwörungen sind Anzeichen seines verunsicherten Weltbildes in den fünfziger Jahren im Vergleich zum Weltbild zwanzig Jahre zuvor.

      Ein Satz aus Kühns Aufsatz von 1950 ist geradezu paradigmatisch: Eben nicht nur für das Denken der Menschheit allgemein, so, wie er es sich vorstellt, sondern viel stärker für sein Eigenes:

      Die Wirtschaftsform hat sich hier nicht geändert, das Denken hat sich nicht gewandelt, der Mensch ist innerlich der gleiche geblieben, wenn auch Jahrtausende, ja vielleicht Jahrhunderttausende zwischen den Menschen von damals und heute liegen. (KÜHN 1950, 10)

      Wissenschafts- und ideengeschichtlich ist Herbert Kühn in den Rahmen einer geisteswissenschaftlich orientierten Vorgeschichtsforschung einzuordnen. Die Traditionen seines methodischen Vorgehens ähneln eher einer kunstgeschichtlichen Interpretation, die nach den Bedeutungen vorgefundener ästhetischer Werke fragt.

      Dieses Fragen nach Bedeutungen geschieht bei Herbert Kühn auf der Basis von unhinterfragten Prämissen (symbolische Bedeutung gilt immer und überall, es gibt Indogermanen, es gibt Monotheismus ... etc.), deren Inhalte sich im Laufe der Zeit wandeln mögen, nicht aber die Struktur dieser Art Argumentation selber.

      Insofern gehört Herbert Kühn, trotz seiner Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime, in die Reihe jener rückwärtsgewandten Autoren, die nach dem zweiten Welttkrieg nicht nur in der Wissenschaft der Ur- und Frühgeschichte zu finden waren, sondern ebenso in anderen Fachrichtungen und gesellschaftlichen Bereichen.

      6. Das Institut für UFG in den Jahren 1935 – 1938

      6.1. 1935-1938 – Warten auf Buttler

      Fünf Tage nach der Entziehung der Lehrbefugnis von Herbert Kühn fragte der Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung bei der Philosophischen Fakultät in Köln nach, wie es denn nun mit dem Fach Vorgeschichte dort weiterginge?

      Nachdem durch Erlass vom 1. November d. Js. dem n.b.a.o. Professor Dr. Herbert Kühn die Lehrbefugnis an der dortigen Universität entzogen worden ist, ersuche ich um Bericht, welche Absichten dort für die künftige Vertretung der Vorgeschichte bestehen. Ich bemerke, dass nach der hier entworfenen Reichsplanung für die Universität Köln ein Lehrauftrag für Vorgeschichte vorgesehen ist. Es käme mithin hierfür gegebenenfalls auch ein an einem Kölner Museum tätiger Vorgeschichtler in Betracht. Ferner ersuche ich um Aeusserung, in welcher Weise nach dem Ausscheiden Kühns die Leitung der Vorgeschichtlichen Abteilung des Historischen Seminars geregelt worden ist. (UAK Zug 9/55)

      Am 26.11.1935 antwortete ihm der Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, dass der Fakultät das Habilitationsgesuch von Werner Buttler vorläge, der wissenschaftlicher Assistent am Museum für Vor- und Frühgeschichte sei:

      Die Vorgeschichte ist im Lehrbetrieb der Universität Köln an die Geschichte angeschlossen. Der derzeitige Direktor des Historischen Seminars, Herr Prof. Dr. Kallen, der selbst bereits seit Jahren schon in Münster die Vorgeschichte in seine Vorlesungen einbezogen hat, ist bereit, die Bibliothek der vorgeschichtlichen Abteilung zu überwachen. Die Sammlungen werden zweckmässig bis zur Neuregelung des vorgeschichtlichen Lehrbetriebes unter Verschluss gehalten und nur unter Aufsicht zugänglich gemacht, damit der Bestand nicht gefährdet ist. (UAK Zug 9/55)

      Werner Buttler leitete das Museum für Vor- und Frühgeschichte im Bayenturm seit 1934. Durch die Ausgrabung einer neolithischen Siedlung in Köln-Lindenthal hatte er sich in den frühen dreissiger Jahren bereits einen Ruf erworben.

      Schaut man sich die Daten seines Berufungsverfahrens an und vergleicht sie mit jenen der Entziehung der Lehrbefugnis von Herbert Kühn, so fällt die Überschneidung der Daten ins Auge. Es ist, als hätte Werner Buttler bereits in den Startlöchern gestanden, das verwaiste Institut zu übernehmen, nicht er persönlich vielleicht, aber doch wohl die Philosophische Fakultät.

      Bereits am 12.1.1935 hatte Heinrich Freiherr von Stackelberg, der Führer der Dozentenschaft der Universität Köln, Privatdozent für Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Statistik telefonisch Werner Buttler um die Noten bezüglich seiner Promotion sowie um Angabe von Referenzen gebeten. Noch am gleichen Tag übersandte ihm Werner Buttler die gewünschten Unterlagen, welche Heinrich von Stackelberg am 16. Januar dem Dekan Gerhard Kallen weiterreichte. (UAK Zug 44/112)

      Wobei ihm in der Datierung seiner Unterschrift ein fast freudianischer Fehler unterläuft, datiert er sie doch auf den 16.1.34. (UAK Zug 44/112)

      Werner Buttler teilte ihm mit, dass er mit dem Gesamtprädikat «sehr gut» promoviert worden sei, seine Dissertation wurde mit «gut» bewertet, die mündliche Prüfung mit «sehr gut». Des weiteren zählte Werner Buttler neun Referenzen auf, die sich wie ein Who is Who deutscher Vorgeschichte lesen: Gero von Merhart aus Marburg, Oswald Menghin aus Wien, Hans Zeiss und Paul Reinecke aus München, Behrens und Ernst Sprockhoff aus Mainz, Bolko von Richthofen aus Königsberg, Oelmann aus Bonn und Carl Schuchhardt aus Berlin, zum grossen Teil dem am 1. Juli 1935 gegründeten «SS-Ahnenerbe» nahestehend (Menghin, Zeiss, Richthofen) oder der von ihr vertretenen, weniger germanophilen Richtung (Schuchardt) (KATER 1997).

      KUNTER charakterisierte Gero von Merhart folgendermassen: Er war ein Ehrenmann – unpolitisch. (KUNTER 1998)

      Diese Referenzen, alle bereits im Januar 1935 geschrieben (Hans Zeiss` Referenz stammt vom 1.2.1935)