Hermann Christen

Balkany Knights


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des Zoos nicht reichen, dann bot sich der nahegelegene Wald als Reserve an.

      Möglicherweise war das eine Spur zu blutrünstig, zumindest für die Großeltern, und möglicherweise war es stattdessen ratsamer, die Pinguine dem Bären das Futter auf einem Tablett servieren zu lassen.

      Das Verfüttern der Überschusstiere würde er als integrativen, nachhaltigen und öko-gelabelten Ansatz vermarkten. 'Öko' war immer gut. 'Öko' konnte für 'ökologisch', was er nach außen vertreten würde, oder für 'ökonomisch', was seine Lesart sein würde, stehen.

      Tendenziell neigte er tatsächlich dazu, einen Bären zu beschaffen. Ein gefangener Bär demonstrierte die Überlegenheit des menschlichen Geistes über das größte Landraubtier. Außerdem waren Bären nicht wie die Tiger vom Aussterben bedroht und dumm genug, freiwillig einzuwandern. Aus diesen Kontingenten würde er sich bedienen. Es würde niemanden auffallen. Er plante, die Bestie mit Psychopharmaka handzahm zu machen, so dass die Enkel die Großeltern unter Androhung von Hungerstreik zwingen würden, hierherzukommen.

      Koller grinste: selbst das Problem mit den Initialisierungskosten war so gut wie gelöst. Schule und Kindergarten würden ihren Teil dazu beitragen und mit den Pfadfindern gleichziehen: was brauchten die IT-Infrastruktur, wenn die Kids schon zuhause problemlos mediensüchtig wurden? Und auch die Alterssiedlung brauchte keinen neuen Lift: ein bisschen Bewegung tut alten, müden Knochen gut und schützt vor Osteoporose. Das war leicht durchzusetzen. Alles in Allem waren das kleine Opfer für ein großes Ziel.

      Er riss sich von seinen Gedanken los und wandte sich an Gugger: "Vielleicht – und ich betone vielleicht - haben sie Recht. Vielleicht braucht es einen Bären. Aber es braucht nicht gerade DER Bär zu sein. Jeder andere tut's genauso und man könnte sich den richtigen Kandidaten gewissermaßen maßgeschneidert aussuchen und…", er schoss hoch, riss einen Zettel vom Notizblock und schrieb das Stichwort 'Bärencasting als eintrittspflichtiger Großevent' darauf und fuhr weiter, "…und außerdem gibt es da ein Problem: kein Mensch weiß, wo sich DER Bär aufhält. Und das erschwert die Sache doch ungemein, meinen sie nicht?"

      Gugger lehnte sich selbstgefällig zurück: "DAS Problem ist keines mehr: ich weiß, wo er steckt…"

      Koller blickte erstaunt, überlegte und winkte ab. "Trotzdem: er ist widerborstig und wird meine Sache nur mit verhaltener Euphorie unterstützen. Plan B ist nur erfolgreich, wenn er als Gemeinschaftsprojekt umgesetzt wird. Das gilt vor allem für die Attraktion, den Publikumsmagneten. Wie ich schon sagte, braucht es nicht dieser eine Bär zu sein. Warum also sollte ich Mühe aufwenden, ihn zurück zu holen, wenn ich dasselbe billiger und schneller erreichen kann?"

      "Wie wär's mit Rache? Blutrünstige, blindwütige Rache? Ihn für seine Hinterhältigkeit zahlen zu lassen."

      Koller sprang auf und nahm seine Runde durch das Büro wieder auf: Rache?! Gugger hatte unbewusst seinen Finger in die schwärende Wunde gelegt. Nur war nackte Rache zu wenig, da musste noch ein Zusatznutzen her. Sein umherschweifender Blick fiel auf ein Bild, wo er dem Präsidenten des regionalen KMU-Verbandes die Hände schüttelte. Er musste es entfernen, weil der Kerl gerade in den Schlagzeilen war. Er wollte nicht mit Leuten in Verbindung gebracht werden, die sich beim Korrumpieren erwischen ließen. Anfänger, Nestbeschmutzer. Er marschierte weiter. Auf der dritten Runde begann er zu nicken, auf der Achten war die Begründungskette nahtlos und stichhaltig: das Biest musste leiden und gebrochen werden. Dessen Leiden würde der Beweis sein, dass die freie Natur Bären überforderte und diese in fürsorgliche Obhut der Menschen gehörten. Die Leute im Dorf wären traurig, wenn sie erführen, was ihrem Bären zugestoßen war und sich mit einem Zweit-Bären, einer verstörten, verstoßenen Existenz, dem nur dank dem liebevollen Asyl im Streichelzoo geholfen werden konnte, begnügen. Die Hohlköpfe waren weich. Rede ihnen ein schlechtes Gewissen ein und sie knicken weg wie dürre Halme. Da lag sogar ein Budgetposten von der Gemeinde drin, um dieses arme Tier medizinisch zu versorgen und durchzufüttern. Die verkorkste Sache begann sich zu entwirren und wenn er es geschickt anstellte, dann könnte alles schneller und grösser realisiert werden, als er es erträumte. Und der nette Nebeneffekt war, dass eine offene Rechnung nachhaltig beglichen war.

      "Ich gehe mit ihnen einig, dass dem Untier – mit der notwendigen diplomatischen Zurückhaltung versteht sich - klar gemacht werden muss, dass wir etwas enttäuscht von seinem Verhalten sind. Wo steckt er?"

      "In Italien!"

      "Das liegt etwas außerhalb meines Einflussbereiches", sagte Koller enttäuscht, "da komm ich nicht an ihn ran."

      "Macht nichts. Für mein Vorhaben brauche ich nur ihre, sagen wir, moralische Unterstützung. Ich tue ihnen einen Gefallen, sie tun mir einen Gefallen."

      Koller überlegte. Das hatte etwas von Erpressung – falls er darauf einging. Andererseits…

      "Was planen sie konkret", sondierte er.

      "Aufstöbern und bestrafen…"

      "Und wie wollen sie das erreichen?"

      "Ich dachte, Geifer und Knack auf seine Fährte zu setzen. Die beiden brauchen etwas Bewegung und einen Anlass, sich aufzuheitern."

      "Ich hörte, der Fuchs kann kaum laufen…"

      "Fürsorge", konterte Gugger ohne zu Zögern, "es ist erstaunlich, was man mit aufopfernder Fürsorge alles erreicht."

      "Trotzdem", lenkte Koller das Gespräch auf das Thema zurück, "was wollen die beiden gegen den Bären ausrichten. Denken sie nur an die Wildschweine, die er erledigt hat."

      "Das war er nicht allein", knurrte Geifer verärgert auf, "ich habe kräftig mitgeholfen."

      Koller hob zweifelnd die Augenbraue: "Vielleicht. Aber deine Kraft genügt nicht. Oder kannst du mit einer Flinte umgehen?"

      Er wandte sich an Gugger: "Am besten, sie begleiten die beiden."

      Gugger schüttelte den Kopf: "Würde ich gerne, doch im Moment läuft mein Laden wie geschmiert – dank der neuen Schnellstraße. Es reicht, wenn ihn die beiden aufstöbern und uns Bescheid geben. Wir sorgen für die notwendigen finalen Schritte. Das spart Zeit und ist effizient."

      Geifer hob den Kopf: "Vergiss es: die 'finalen Schritte' mach ich selber. Wenn ich schon die ganze Arbeit habe, dann will ich auch das Vergnügen."

      "Womit wir wieder beim Problem der Chancengleichheit sind", sagte Koller, "der Plan geht nicht auf."

      Er erhob sich und nahm seinen Rundgang wieder auf und grübelte. Gugger war genervt. Er selber reinigte seine Waffe, wenn er grübelte.

      "Ihr Vorschlag mit der, nennen wir es 'Zurechtweisung', gefällt mir. Ich werde mich erkundigen, ob die Möglichkeit besteht, das Unternehmen mit guten Erfolgsaussichten aus zu statten…"

      Gugger hatte verstanden, dass die Audienz vorüber war. Er war zufrieden. Koller war angefixt. Er machte sich keine Illusionen, dass dieser auch nur andeutungsweise offiziell dazu stehen würde, aber der erste Schritt war getan.

      Er erhob sich. "Ok. Sie melden sich, nehme ich an. Und sie vergessen nicht, dass sie mir, Erfolg vorausgesetzt, einen kleinen Gefallen schuldig sind. Nichts was sie finanziell oder im Ansehen stören würde. Nur den Job als Jagdaufseher."

      "Mal sehen…"

      Koller verabschiedete seinen Gast und setzte sich ans Telefon, kaum schnappte die Tür ins Schloss. Ein, zwei Ideen wollte er kurz abklappern, bevor er sich dem wichtigeren Thema, dem Bärencasting, widmen wollte. Der Besuch von Gugger hatte sich gelohnt. Um dessen Anspruch machte er sich keine Sorgen. Es würde ihm rechtzeitig was einfallen, Guggers Ambitionen zu knicken.

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