Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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Betbruder zuckte nicht mit der Wimper. »Gesegneter Bruder, wir wollen keineswegs zur Ruine. Wir sind gekommen, um den Teppich in Empfang zu nehmen.«

      Hormoz ließ das Fladenbrot sinken und runzelte die Stirn. »Einen Teppich? Ich bin Schäfer. Handle ich etwa mit Teppichen?«

      Zugleich fing sein Puls an zu rasen. Woher konnten sie es wissen?

      Von abgestandener Cola war ich auf den mit Tränen verdünnten Geburtstagssekt meines Bruders umgestiegen. Und zu dem Schluss gekommen: Das konnte ich mir nicht bieten lassen.

      Die Tür zu Ruchlings Büro war nur angelehnt. Ich streckte den Kopf hindurch und sah seine bärenhafte Gestalt über den Schreibtisch gebeugt. Neben ihm stand ein Rollkoffer mit einem Mantel darüber und er kritzelte etwas auf einen Block. Letzte Anweisungen für Frau Hambrecht, die Bürovorsteherin. Mein Chef war auf dem Sprung zu einem Großverfahren in Freiburg.

      »Haben Sie eine Sekunde?«

      Ruchling sah hoch und hörte auf zu schreiben. »Kommen Sie rein. Ich wollte sowieso mit Ihnen sprechen, ehe ich fahre.«

      Natürlich sah er mir an, worum es ging. Trotzdem schaute er wie ein Unschuldslamm.

      Ich setzte mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und lehnte mich mit gekreuzten Armen zurück. »Jan, Herr Seitz, hat mir gerade gesagt, dass Sie ihn zum zweiten Coretech-Verteidiger machen wollen. Er hat aber keine Ahnung vom Fall und ich arbeite daran seit Wochen!«

      »Ich weiß.« Ruchling schob die Kappe mit einem Klick auf den Füller. »Aber in meinen Augen sind Sie noch nicht so weit.«

      Was folgte, waren die Gründe, die ich mir gedacht hatte, nur angereichert um Begriffe wie gravitas und eine spezielle Auslegung von Jans Golfconnection: »Anwalt zu sein, ist eine Kontaktsportart, das sagte ich Ihnen, glaube ich, bereits bei der Einstellung.«

      »Ich habe nun einmal keine Kontakte ins Milieu. Das sagte ich Ihnen, glaube ich, auch.«

      Ruchling verzog das Gesicht. »Wenn Sie es so ausdrücken wollen, ist es mir sogar lieber.«

      Der Sekt ließ den nächsten Satz leicht wie einen Korken zwischen meinen Lippen hervorploppen. »Wie wäre es, wenn ich kündige?«

      Er touchierte kurz mit dem Handrücken die Nase und zog ihn wieder zurück. Ich erkannte die Geste – ein Boxer, der einen Treffer kassiert hatte. Ruchling hatte es als Amateurboxer bis zum baden-württembergischen Jugendmeister im Weltergewicht gebracht. Wie sein Faible für Strafverteidigung war es Teil seiner Jugendrevolte gegen den vermögenden Unternehmervater gewesen.

      »Das wäre schlecht«, sagte er, als er sich gefangen hatte. »Wer bereitet dann den Prozess vor? Herr Seitz und ich haben noch andere Mandate. Und ich nur einen Kopf und zwei Hände.«

       Das war alles?

      »Haben Sie denn schon was?«

      »Campbell, Trigniac & Associates haben mir ein Angebot gemacht«, bluffte ich. In der Großkanzlei in Montreal hatte ich einen Teil der Anwaltsstation des Referendariats absolviert. Wie jetzt war ich in Arbeit versunken und hatte das zweite Staatsexamen auch deshalb ein bisschen in den Sand gesetzt.

      »Was muss ich Ihnen anbieten, damit Sie bleiben? Außer Coretech?«

      Für den Anfang keine zu heiß gewaschene Besenkammer als Büro, flüsterte mir mein innerer Trotzkopf zu. »Ein eigenes Mandat«, sagte ich jedoch vernünftig.

      Ruchling lehnte sich zurück und dachte nach. Und je länger sich die Sekunden zogen, desto heftiger schlug mein Puls. Hatte ich mich verkalkuliert?

      Er seufzte. »Eigentlich kann ich mir so eine Erpressung nicht bieten lassen.«

      Doch dann zog er eine Handakte aus einem Stapel hinter seinem Schreibtisch. »Das ist ein untypischer Fall, den wir sonst kaum annehmen. Vielleicht wäre das ja was für Sie.«

      Er schob mir den prall gefüllten, flaschengrünen Hefter zu und ich schlug ihn auf, erleichtert wie ein Roulettespieler, der alles richtigerweise auf Rot gesetzt hatte. Zuoberst lag das Foto eines soignierten Herrn im Anzug, zwischen sechzig und siebzig. Gepflegter, weißer Vollbart und ein gütiger Blick aus rehbraunen Augen.

      »Das ist Herr Eschenbach«, sagte Ruchling. »Ein erfolgreicher Teppichhändler oder, besser, Galerist. Nur sind ihm in letzter Zeit ein paar unerfreuliche Dinge passiert. Es fing damit an«, zählte er auf, »dass er sich verfolgt fühlte. Erst hat ihn ein Auto von der Straße gedrängt, dann ist er angeblich im Schlaf überfallen worden.«

      »Wieso ›angeblich‹?«, hakte ich ein.

      »Weil es keine Zeugen und Spuren dafür gibt. Genauso wenig wie für die neueste Behauptung, seine Frau habe ihm den Tee vergiftet.«

      »Und … wie kommt er darauf?«

      »Weil … nun, Eschenbach hängt seit einiger Zeit sonderbaren Theorien an. Es hat zu tun mit außerirdischer oder, wie er es nennt, Extrinischer Mathematik in Teppichmustern. ›Extrin‹ steht übrigens für ›Extraterrestrische Instanz‹. Er glaubt anscheinend, den Urhebern sei es lieber, ihre außerordentlichen Möglichkeiten blieben der Menschheit vorerst weiter verborgen.«

      Ich riss die Augen auf. »Und seine Frau steht mit diesen … ›Extrins‹ im Bunde und hat ihn deshalb vergiftet?«

      »So ungefähr, obwohl er selbst das gar nicht behauptet. Er sagt, er kenne das Motiv nicht.«

      Ich hatte mich im Studium am Rande mit Unterbringungsrecht beschäftigt. Dort gehörten Außerirdische zum täglich Brot und bis jetzt klang die Geschichte nicht sonderlich bizarr. Es fehlten die Geheimdienste, Gedankenkontrollstrahlen und anderes Zeugs. Dafür war die Mathematik etwas Neues und, musste ich zugeben, ziemlich Interessantes.

      »Es ist nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint«, sagte Ruchling und unterbrach damit meinen Gedankengang. »Ich kenne Herrn Eschenbach von einem früheren Mandat und er wirkte auf mich weder damals noch heute psychisch krank. Der Teppich unter Ihrem Stuhl stammt übrigens aus seiner Galerie.«

      Ich sah zu Boden und fahndete im Gewebe des leuchtend blauen, prachtvollen Persers nach geheimen Formeln oder steganographischen Botschaften fremder Zivilisationen. Stattdessen machten mich der Sekt und die hypnotischen Muster nur schwindlig.

      »Zum anderen«, fuhr Ruchling fort, »wurden in seinem Tee immerhin Spuren von Pflanzenschutzmitteln gefunden. Allerdings laut toxikologischem Gutachten so wenig, dass es sich um Reste vom Anbau handeln dürfte.«

      »Wenn es so ist – was erwartet Herr Eschenbach dann von uns?«, fragte ich mit einer gewissen Enttäuschung.

      »Seine Frau hat inzwischen einen Psychiater eingeschaltet und sie und die Staatsanwaltschaft betreiben auf der Grundlage eines Attests seine Einweisung.«

      »Warum die Staatsanwaltschaft?«, fragte ich verblüfft. »Er ist doch keine Gefahr … nur wegen seiner Theorie.«

      »Aber beim Streit um den Tee hat er den Rechaud aus schwerem Kristall an die Wand geschleudert.«

      »Ojemine. Hat er auf seine Frau gezielt?«

      »Ihm zufolge nein, ihr zufolge ja.«

      Ich betrachtete das Bild des friedlichen alten Herrn und spontan überkam mich Mitleid. »Und jetzt?«

      Der Blick meines Chefs richtete sich auf die Tür. »Ihr Taxi ist da, Herr Doktor Ruchling«, hörte ich von hinten Frau Hambrechts Stimme.

      Er griff nach Stift und Block und stand auf. »Jetzt, Frau Pfennig, kümmern Sie sich um ein psychiatrisches Gegengutachten. Streuen Sie Zweifel und skizzieren Sie eine Theorie, dass alles auch anders gewesen sein könnte. So entgeht er noch einer Einweisung.«

      Meinte er damit, dass Eschenbach tatsächlich von Außerirdischen verfolgt wurde? Ich stand ebenfalls auf und hetzte Ruchling hinterher. »Und wie kann ich ihn erreichen? Ich meine, wohnt er noch bei seiner Frau?«

      »Nein. Ausgezogen. Zurzeit ist er im Iran und kauft Teppiche«,