Alfred Broi

Genesis I


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hier hatte er zum ersten Mal seit er denken konnte, einen Dämpfer in seiner Leidenschaft als Vollblut-Krieger bekommen, als er verwirrt erkennen musste, dass in diesem obersten aller Entscheidungsgremien, in der die Zukunft eines ganzen Volkes bestimmt wurde, Intrigen, Machtwahn und Arschkriecherei an der Tagesordnung waren und seine Ablehnung hiergegen ihn zu einem Außenseiter machten.

      Doch Mavis vertraute darauf, dass bei der Wahl zum nächsten Nuri, der er sich zu stellen beabsichtigte, ausschließlich militärische Führungsqualitäten bewertet werden würden und zumindest er sich gegen seine Widersacher Cassifu und dem äußerst ekligen und schleimigen Pantos würde durchsetzen können, um mit der Macht des Nuri die Geschicke innerhalb der Pandemi und letztlich auch seines gesamten Volkes in ehrliche, gradlinige und aufrechte Bahnen leiten konnte.

      Dieser Gedanke ließ ihn kaum noch los und führte eine Veränderung seines Wesens herbei. War er stets mit Freude an der Arbeit und konnte seine Untergebenen mit Herz und Leidenschaft für ihre Aufgabe begeistern, so entwickelte er sich fortan zu einem zunehmend harten, wenn auch weiterhin gerechten Noni, der seine Truppen verbissen führte.

      Mavis erkannte diese Veränderung selbst auch an sich, doch war ihm das Wohl seines Volkes viel wichtiger, als seine eigene Existenz. In seiner Familie wollte er niemanden mit seinen Gedanken belasten und auch von seinen Freunden gab es keinen, dem er dieses Geheimnis anvertrauen wollte.

      Er behielt es für sich und verlor so immer mehr den Anschluss an die Menschen, die er liebte oder die ihm etwas bedeuteten.

      Die Nachricht, dass sein Freund Vilo das Band der gemeinsamen Existenz mit seiner großen Liebe Kaleena knüpfen wollte, kam ihm da gerade recht und er beschloss, seine Abgeschiedenheit und seine Distanz gegenüber seinen Freunden zu beenden und durch diesen Anlass wieder den früheren Kontakt mit ihnen zu pflegen.

      Aus diesem Grunde hatte er sich mit Shamos in Verbindung gesetzt, einem Freund seit den Zeiten der zentralen Lehren, um mit ihm zu vereinbaren, dass sie gemeinsam zu der Zeremonienfeier fahren könnten.

      Shamos war das ganze Gegenteil von Mavis. Sechzehn Zentimeter kleiner und mindestens zehn Kilo schwerer als sein Freund, war es neben einem zerzausten Lockenkopf und schmuddeliger Kleidung in den unmöglichsten Farben, nicht nur das äußerliche Erscheinungsbild, das die beiden eigentlich meilenweit voneinander trennte.

      Shamos war ein klarer Gegner jeglicher Art von Waffengewalt und somit ein Verfechter von friedlichen Verhandlungen zur Konfliktlösung.

      Er selbst aber hatte für sich nicht den Weg in die Politik gewählt, sondern seine eigene Leidenschaft für die Wissenschaft zu seiner großen Ausbildung gemacht.

      Und es war genau dieser Umstand, weshalb Mavis immer an der Freundschaft zu Shamos festgehalten hatte.

      Mavis war sich natürlich der Tatsache bewusst, dass nicht jeder mit einer Waffe in der Hand herumrennen konnte. Er respektierte ohnehin jede andere Art von Ausbildung. Nur eines war ihm wichtig: Das jeder für sich so viel für das Wohl und die Zukunft seines eigenen Volkes tun sollte, wie ihm möglich war.

      Und das war bei Shamos absolut der Fall. Mochte sein Freund auch das offensichtliche Gegenteil seiner eigenen Existenz sein, so war sich Mavis immer absolut sicher, dass Shamos all sein Wissen und all sein Können stets in den Dienst ihres Volkes stellte, so wie er selbst es tat.

      Mavis hatte den höchsten Respekt vor Shamos, obwohl er sich dies nie anmerken ließ, er war stolz darauf, sein Freund zu sein und ganz nebenbei bewunderte Mavis ihn sogar ein wenig, denn seine Kenntnisse über die Wissenschaften ihrer Welt machten Shamos in seinen Auge zum verdammt besten Wissenschaftler, den er je gesehen hatte.

      Shamos seinerseits war immer etwas schüchtern und zurückhaltend, was Mavis anging.

      Das amüsierte Mavis regelmäßig, denn alle Versuche, ihn vom Gegenteil zu überzeugen hatten bis heute kläglich versagt.

      So genoss Mavis die Unsicherheit seines Freundes sogar ein wenig, wirkte Shamos doch gerade so, als schämte er sich an seiner Seite, als wäre er nicht gut genug für Mavis.

      Doch das stimme nicht, hatte es nie und würde es niemals, denn auch wenn diese Vorstellung völlig absurd war, so wäre es Mavis eine große Ehre gewesen, Seite an Seite mit Shamos zu kämpfen – und zu sterben...

      ¤

      „Nach was sieht es denn aus?“ gab Shamos die Frage an Mavis zurück.

      Während er schon seit einigen Minuten vergeblich versuchte, sich eine Krawatte zu binden, wurde er zusehends nervöser, denn als Mavis vor gut zehn Minuten vor der Tür stand, war ihm schlagartig bewusst geworden, dass er doch glatt die Zeit vergessen hatte und nicht rechtzeitig fertig war.

      In Windeseile zog er seine Arbeitsklamotten aus und schlüpfte in den besten – und einzigen – Anzug, den er hatte.

      Mavis bot er etwas zu trinken an, was sein Freund jedoch ablehnte und damit ihm nicht langweilig wurde, zeigte Shamos ihm den Bildschirm und das, was darauf zu sehen war.

      Es war der Grund dafür, dass Shamos die Zeit vergessen hatte, denn es war in der Tat etwas Außergewöhnliches und zugleich Merkwürdiges, was er dort gestern Abend mit seinem Teleskop, mit dem er regelmäßig den Himmel absuchte, aufgedeckt hatte.

      Seither versuchte er es zu analysieren und zu verstehen, aber das war ihm bis jetzt noch nicht gelungen.

      Dass er es Mavis gezeigt hatte, diente nur der Ablenkung von seiner dummen Nachlässigkeit, doch als er aus dem Badezimmer wieder in sein Arbeitszimmer trat und erkannte, dass sein Freund noch immer interessiert auf den Bildschirm schaute, war er sichtlich erfreut.

      Es gab nicht viele Momente, in denen er Mavis Aufmerksamkeit hatte und diese Momente hatten regelmäßig mit der Wissenschaft zu tun.

      Shamos hatte nicht unbedingt eine wirkliche Ahnung davon, weshalb Mavis stets darauf bedacht war, die Freundschaft mit ihm zu pflegen, denn er hielt sich selbst für keine gute Gesellschaft für einen derart imposanten Mann wie ihn.

      Doch Mavis wollte davon nie etwas hören, ganz im Gegenteil, und so akzeptierte Shamos es als eine der wenigen Tatsachen, die er nicht verstand.

      Umso glücklicher war Shamos dann, wenn er Mavis durch seine Kenntnisse der Wissenschaften beeindrucken konnte - so wie gerade jetzt.

      Und wenn er sah, wie sehr sich Mavis für seine Arbeit interessierte, erfüllte es ihn jedes Mal mit Stolz, einen so aufrechten, ehrlichen und geradlinigen Mann zum Freund zu haben.

      „Ich weiß nicht...?“ Mavis wusste, dass das, was er sah, ein Bild dessen war, was das Hochleistungs-Teleskop, das Shamos sich von seinem ersten selbstverdienten Geld gekauft hatte und das auf dem Dach seines kleinen Hauses installiert war, gerade aufnahm.

      Neben dem üblichen Schwarz des Weltalls und dem obligatorischen Funkeln von Milliarden von Sternen hatte Mavis zunächst nichts anderes erkennen können.

      Doch wusste er, dass da etwas sein musste, sondern hätte Shamos ihn nicht darauf aufmerksam gemacht.

      Und als er sich einige Momente still davor gesetzt hatte und das Bild auf sich wirken ließ, erkannte er tatsächlich Bewegung auf dem Bildschirm.

      Es war eine Art Schimmern, ganz schwach nur und undeutlich, reflektiert von dem Licht der umstehenden Sterne. Und es bewegte sich, langsam, aber eindeutig, ein schmales, beinahe durchsichtiges Band. Es trat nahe der oberen rechten Ecke auf den Bildschirm hinaus und hatte etwa zwei Drittel in einer leicht geschwungenen Linie zur linken Hälfte der Bildschirmunterkante durchquert.

      Der Bildschirm war ein 25-Zoll-Gerät und dieses seltsame Etwas bewegte sich kaum wahrnehmbar mit einer Geschwindigkeit von etwa einem Zentimeter pro Minute über das Display.

      Mavis war fasziniert und irritiert zugleich von diesem Phänomen und hatte ganz sicher nicht die geringste Ahnung, um was es sich dabei handeln könnte.

      „...sieht aus wie eine Plasma-Schlange...!“ Er drehte sich zu Shamos um und