Uve Kirsch

Gutland


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Isosorbitdinitrat-Nitro-Tablette und einem Rezept später wurde es interessant. Eulend erzählte von den Seewiesen. Er hatte große Pläne. Richtig große. Schöne Pläne. Wenn sie sich umsetzen ließen. Einen Horse and Rider Wellness Park. Für "Horse and Rider" war Eulend zuständig. Aber für das Thema "Wellness" suchte er noch einen geeigneten Partner. Ob ihm vielleicht etwas einfiele? Ralph Hofkrampe fiel etwas ein, natürlich. "Geht auch ‚Beauty‘?" hatte Hofkrampe gefragt und der Landwirt hatte geantwortet: "Klar, Beauty passt auch."

      Ein Surfer passierte seinen Kahn langsam in geringer Entfernung und das Segel verschattete für einen Moment sein Boot, das leicht schaukelte.

      Er reckte sich kurz und checkte, wohin er trieb. Beide Ufer gleich weit weg, nirgendwo ein anderes Boot und die Badestelle war auch außer Hörweite. Er ließ sich wieder auf den Bootsboden sinken. Eigentlich ging es ihm nicht schlecht. Gut, die Ex-Frau nervte und halb Deutschland versank unter einer Flüchtlingswelle, aber hier an diesem netten Flecken war die Welt noch in Ordnung. Und er hatte jetzt eine Perspektive. Er träumte, machte luftleichte Pläne, die für die Dauer eines Flügelschlags durch sein Bewusstsein zogen, um dann im Uferlosen aufzugehen.

      Er würde mit seinem alten Freund und Studienkollegen Klaus Sommerfeldt reden. Der war als Student zwar keine Leuchte gewesen und auch an der Universitätsklinik machte er keine besondere Karriere. Aber er konnte ausgezeichnet mit einer wohlhabenden und elitären Klientel umgehen, zu der Ralph Hofkrampe keinerlei Draht hatte. Klaus Sommerfeldt erkannte schon früh die Zeichen der Zeit. Anfangs - als junger Arzt gleich nach dem Studium - korrigierte er Nasen spät abends in der Praxis seines Schwiegervaters. Inzwischen hatte er es zu einer kleinen aber feinen Schönheitsklinik gebracht, mit deren Erfolg er bei ihrem Telefongespräch vor ein paar Tagen mächtig prahlte.

      "Vielleicht lässt sich das Konzept ausbauen. Ich kann ja mal mit dem Bürgermeister reden", antwortete Hofkrampe vage auf den Vorschlag des alten Eulend. Ließe sich die Idee durchsetzen, hatte sich der Samstag-Notdienst gelohnt. Wenn er es richtig anging, konnte es seine Rente bedeuten.

      Er beobachtete ein paar barocke Kumuluswolken über ihm, genoss das wohlige Schaukeln des Bootes und die Wirkung des Valurons und fand das Leben plötzlich wieder schön. Die sanfte Schaukelei trug ihn weit zurück in seine Zeit auf der Cap Anamur, wo er kurz nach dem Studium Mitte der achtziger Jahre im Chinesischen Meer "Boat People" aus dem Meer gefischt hatte. Er erinnerte sich an das Gefühl, wirklich helfen zu können. Eigentlich, stellte er fest, war es das letzte Mal, dass er etwas wirklich Befriedigendes tat. Er verscheuchte die Gedanken aus dieser Richtung, das lag alles weit zurück und die Zukunft schien Perlen für ihn parat zu haben. Sein Gespräch mit Klaus Sommerfeldt war wichtiger als alte Erinnerungen. "Kennen Sie einen, der Häuser bauen will?", hatte Eulend ihn am Ende des Gesprächs gefragt, aber Ralph Hofkrampe konnte nur mit den Achseln zucken.

      17. Alpenglühn

      " Ja, ja, so blau, blau, blau blüht der Enzian,

      wenn beim Alpenglühn wir uns wiedersehn", summte Katharina und Wulf Lindau gab seiner betrunkenen Frau einen Kuss. Katharina stolperte in der Mitte des Klassenzimmers und drehte ein paar torkelnde Pirouetten. Die Kerzen flackerten und warfen zuckende Schatten auf die alte Kreidetafel. Das Feuer im Kamin leckte und der Geruch von Rauch mischte sich mit dem Mief von Moder und Staub. Katharina drehte das alte Kofferradio lauter und sang: "Mit ihren ro-ro-ro-roten Lippen fing es an, die ich nie vergessen kann."

      "Nüchtern ist sie schüchtern, aber voll ist sie toll." Wulf Lindau goss sich zur Feier des Tages noch einen achtzehn Jahre alten Laphroaig-Malt-Whiskey hinter die Binde und schauderte, als sich der Hochprozentige seinen Weg den Rachen hinunter brannte. "Wieso betrinkt sie sich?", fragte er sich. Sie redete pausenlos nur davon, wie schön es mal werden würde, die Küche, der Garten, das Klassenzimmer, das einmal Wohnzimmer werden sollte, und immer wieder vom Garten. Sie feierte bereits den Bezug eines Gebäudes, das ausschließlich in ihrer Fantasie existierte. Überhaupt, seit wann hörte sie Schlager?

      "In der ersten Hütte, da hab'n wir zusammen gesessen, in der zweiten Hütte, da hab'n wir zusammen gegessen, in der dritten Hütte hab' ich sie geküsst, keiner weiß, was dann geschehen ist!", sang sie und fiel ihm lachend um den Hals. Er nahm noch einen Schluck, einen kräftigen, denn den brauchte er. Heute war der Tag der Übergabe des Hauses, ein Grund zu feiern. Mit ein paar Kerzen und dem Feuer im Kamin hatte er versucht, ein wenig Glanz in die Bruchbude zu zaubern, die vielleicht einmal ihr neues Heim werden sollte. Doch schon der Weg bis hierher war steinig. Er hatte den Kaufpreis zwar ein wenig drücken können, aber das brachte nicht viel. Er war zu seiner Steuerberaterin gelaufen und hatte sie dazu gebracht, eine positive Zwischenbilanz zu erstellen, eine, die den aktuellen Auftragsbestand sehr optimistisch beurteilte und alle wirtschaftlichen Wagnisse diskret unter den Tisch fallen ließ. Das Risiko "Teichmann" verschwieg er geflissentlich, dafür waren sein Warenlager und die Summe seiner "geldwerten Vorleistungen" erheblich angewachsen. Das Ergebnis seiner kleinen Bilanzmaniküre konnte sich zwar sehen lassen, aber überzeugte den Kreditberater der Sparkasse Bahlenbrede dennoch nicht vollends. Mit seiner herablassenden Art gab er ihm zu verstehen, wie wenig er von kleinen, kreativen Selbständigen hielt. Für ihn waren sie nur ein Unsicherheitsfaktor, einer, der viel Arbeit und Aufwand kostete und er forderte - natürlich - zusätzliche Sicherheiten.

      Katharina und er mussten bei seinen Schwiegereltern antreten und um Geld betteln. Obwohl der Schwiegervater der Sache positiv gegenüber stand, blieb ein schaler Beigeschmack. Er war Bittsteller. Die Arroganz des Finanzberaters machte die Situation nicht besser und als der Finanzierungsvertrag unterschrieben war und sie den Kauf abwickeln konnten, war er schon ziemlich runter auf der Bereifung. Trotz der Kreditzusage waren sie vom Start weg völlig unterfinanziert. Wie die Kosten für den Umbau aufgebracht werden konnten stand in den Sternen. Aber vielleicht geschahen ja noch Wunder. "Wunda gibt es imma wieda, heute oda morgen ..." lallte seine Frau in sein Ohr und das Radio plärrte die passende Schlagerschnulze dazu.

      Ach was, es würde schon gehen, irgendwie. Er hatte sie, ihren Optimismus und zur Not noch den Laphroaig.

      18. Elfmeter für Bromberger

      Der Kunstrasen zwischen seinen Zehen fühlte sich seltsam an: es kribbelte an seinen Füßen, an denen er gleichzeitig schwitzte. Er stand am Elfmeterpunkt, das Tor vor sich, seine Schuhe lagen daneben und auf dem Kreidepunkt des Strafmals lag ein alter, lasch aufgepumpter Fußball. Er galt als sicherer Elfmeterschütze. Das war in der Schülerauswahl und so lange her, dass er sich kaum noch an die Namen seiner Kickerhelden erinnern konnte. Schatzschneider, Anders, Hayduk, Mileweski, die Fußballstars seiner Jugend gingen ihm durch den Sinn, aber die passenden Gesichter zu den Namen konnte er sich nicht mehr vor Augen rufen.

      Die überdimensionierte 100 kW-Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des riesigen Tribünenbaus reflektierte die Sonnenstrahlen und blendeten ihn. "Verdammt", dachte er, " das gibt Ärger mit dem Verband. Wegen dieser Scheißtribüne reißen mir jetzt dieselben Leute den Arsch auf, die damals diesen Mist verbockt haben. Die haben jede Menge Dreck am Stecken, aber jetzt spucken sie große Töne."

      Ärgerlich nahm er Anlauf und drosch den Ball weit über das Tor. Der flog bis zur Wurfanlage und blieb auf der Tartanbahn liegen. Seinen Vorgänger hatten die Probleme mit der Sportanlage den Job gekostet, die von einem Witzbold in der Lokalzeitung "Millionendusche" getauft wurde. Selten war ein Spottname so zutreffend. Aber wie war es so weit gekommen? Mit seinem Optimismus, was die zukünftigen Erfolge der Fußballmannschaft betraf, hatte der alte Bürgermeister den Stadionneubau schlicht größenwahnsinnig konzipiert. Er war Mitglied im Sozialen Bauernbund, derselben Partei wie Geert Breitholm, der Vorsitzende des Sportvereins, den er schon seit seiner Schulzeit kannte. Gemeinsam waren sie das Duo Infernale, die dieses Projekt gegen die Wand gefahren hatten. Der eine stellte Forderungen auf und der andere setzte diese mit seiner Partei durch. Die Sozialen Bauern, wie sie genannt wurden, regierten schon seit Wendezeiten mit großer Mehrheit und waren ein Sammelbecken von unbelasteten Altkadern der SED und konservativ eingestellten Leuten, deren Interesse in der Lokalpolitik darin bestand, dass alles beim Alten blieb und sie selbst immer oben schwammen. Hier traf man die Entscheidungen