Tilman Weysser

Ein Bild vom alten Gringo


Скачать книгу

ion>

      Ein Bild vom alten Gringo

      Roman

      Tilman Weysser

      Alle Rechte vorbehalten.

       2. Ausgabe 2015 (e_r71)

       © 2012 by Tilman Weysser

       [email protected]

       www.tilmanweysser.de

      Prolog

      Frankfurt, Januar 1945

      Nach zwölf Jahren war das tausendjährige Reich am Ende. Aber er war es nicht. Wilhelm Bornwart hatte keineswegs die Absicht, dem Führer in den Untergang zu folgen. Er packte zusammen, was er tragen konnte. Den Butler hatte er nie ersetzt, die anderen Dienstboten hatten sich in den letzten Wochen davon gemacht. Treuloses Gesindel. Er musste selbst Hand anlegen.

      Die Beschwerden seiner Zwangsarbeiter hatten Bornwart nie gekümmert. Von seinen Eltern hatte er neben dem Vermögen auch das sichere Gespür für Prioritäten geerbt. Nur so konnte er das Familienimperium ausbauen und die Verbindungen knüpfen, die ihm jetzt helfen würden. Seine guten Freunde – sie alle konnte er motivieren mit den Informationen, die er gerade zusammenstellte. Bornwart schmunzelte. Bis vor kurzem hatten die Amerikaner an eine deutsche Bombe geglaubt. Hier habe ich sie! Wenn das hochgeht, zerspringen nicht nur in Frankfurt die Scheiben.

      Er verschloss den Koffer und schob den Schlüssel in die Tasche seiner Weste. Sie spannte bedenklich über seinem enormen Bauch. Helene war ein verlogenes Stück, aber kochen konnte sie. Erleichtert wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Das Wichtigste war nun getan. In Zürich würde er eine Weile kürzer treten.

       “Rudolf, was machst du hier?”, rief er verwundert, als er sich umdrehte und den Mann sah, der für ihn oft das gemacht hatte, was Unwissende als Drecksarbeit bezeichneten, spezielle Aufträge, die Diskretion und Skrupellosigkeit erforderten. Rudolf hatte beides. Er fackelte nicht und tat, was zu tun war. Leider nahm er den Rassen-Unfug zu ernst, das war schlecht fürs Geschäft. Man durfte keinen Profit ausschlagen, nur weil den germanischen Göttern ein Furz quer saß. In Bornwarts neuem Leben war kein Platz für die alten Methoden, daher konnte er Rudolf jetzt nicht mehr gebrauchen. “Wollte mal sehen, ob Sie vorankommen mit dem Zusammenpacken. Ich bereite dann alles vor.” Rudolf wirkte gelassen. Seine Unfähigkeit zu Emotionen hatte Bornwart oft bewundert. “Was willst du vorbereiten? Sieh zu, dass du wegkommst. Es gibt nichts mehr zu tun für dich.” “Das ist aber schade. Ich hatte so gehofft, dass wir gemeinsam reisen würden. Sicher brauchen Sie mich wieder.” Rudolf amüsierte sich. Auch wenn er Bornwart gelegentlich zur Hand ging, verdiente er mehr Geld damit, ihm zu schaden. Die meisten Zwischenfälle in den Bornwart-Werken gingen auf seine Rechnung. Sabotage wurde gut bezahlt und sein neuer Auftraggeber war sehr großzügig. “Rudolf, es ist gut. Du hast dein Geld, also sieh zu.” Bornwart griff den Koffer, ging an Rudolf vorbei durch die Tür und durchquerte den Flur. “Wissen Sie, was ich nie verstanden habe?” rief Rudolf ihm nach. “Nein.” Bornwart hielt nicht an. “Warum man Skrupel hat … solche Marotten, da käme ich ja zu nichts, verstehen Sie, Bornwart? Sie verstehen das doch, ich meine, auf den Rücken zu schießen.” Bornwart stutzte.

      Er hatte die Treppe fast erreicht, als Rudolfs erster Schuss ihn traf. Die zweite Kugel schlug höher ein, als er schon nach vorn taumelte. Kopfüber fiel er hinunter. Erst platzte die Weste auf, dann seine Stirn, als sie zum ersten Mal auf die Marmorstufen prallte. Rudolf eilte zum Geländer der Galerie. Er machte sich einen Spaß daraus, Bornwart fünf weitere Male zu treffen.

      Die große Standuhr unten in der Halle schlug einmal zur halben Stunde, dann war das Haus still. Das heftig schlagende Herz im zweiten Stock konnte Rudolf nicht hören. Er hielt einen Moment inne, atmete tief durch und ließ die Erregung abklingen.

      Er warf die Walther PP zur Seite, zog ein zweites Magazin aus der Manteltasche, ließ es fallen, streifte die Handschuhe ab und ging langsam die Treppe hinunter. Spielerisch wich er den Blutflecken aus. Rudolf ahnte, dass etwas mit ihm nicht stimmte. In einer unzugänglichen Region seines Verstandes regte sich das, was andere vermutlich als Gewissen bezeichneten. Er hatte oft versucht, diesem merkwürdigen Gefühl nachzuspüren, das ihn ganz unvermittelt traf, wenn er seiner Arbeit nachging. Ohne Erfolg. Auch heute war es nur ein Moment. Leichten Herzens stieg er über Bornwart hinweg und ging gemächlichen Schrittes hinaus. Die schwere Haustür ließ er offen, wie vereinbart.

      Zurück blieb ein vermeintlich leeres Haus, der Leichnam des Industriellen Wilhelm Bornwart, der im nächsten Jahr fünfundsechzig geworden wäre und, kurz vor dem Treppenaustritt im ersten Stock an der Stelle, wo die erste Kugel getroffen hatte, ein brauner Koffer.

      *****

      1. Ordnung

      Frankfurt, August 1985

      Das Kopfsteinpflaster hatte den Wurzeln der stoischen Alleebäume wenig entgegen zu setzen. Da keiner der zumeist älteren Anwohner schnell fuhr, störte es niemanden, dass sich die Straße im Laufe der Jahrzehnte in eine wahre Buckelpiste verwandelt hatte. Günter Grobring von der Ecke Friedrichstraße freute sich sogar, wenn ein Auto vor seinem Haus aufsetzte, Funken flogen und ein Auspuff sein Leben aushauchte. Nur gerecht, fand Grobring, der jetzt im Sommer die Tage meistens am Fenster seiner kleinen Dachwohnung verbrachte. Er legte Wert auf Ruhe. Eine eingerollte Decke auf der Fensterbank diente ihm als Unterlage für die Ellenbogen. Er beobachtete, vergaß die Zeit und rauchte Kette.

      Einmal hatte er Anzeige erstatten wollen. Ein Fremdparker, vor seinem Haus. Am Kennzeichen hatte er mit dem Fernglas einen Kölner erkannt. Als die Polizei ihn höflich informierte, dass es ganz in Ordnung sei, dort zu parken, war er enttäuscht gewesen. Der Beamte wollte partout seinen Namen nicht nennen, redete von einem Taifun, sagte etwas mit Ö. Grobring hatte es nicht verstanden und seitdem nicht mehr angerufen.

      Der Transporter, der jetzt vorbei fuhr, war nicht schnell, aber vielleicht gab es trotzdem eine Chance. Grobring wartete gespannt. Es krachte nicht. Enttäuscht schob er den Unterkiefer vor und blies den Rauch aus.

      Auf dem Beifahrersitz des Transporters saß Eva Siebeling. Sie hatte die ersten zwei Wochen der Sommerferien mit Gleichaltrigen aus ganz Europa in einem Freiwilligen-Camp in der Nähe von Paris verbracht und ihr Französisch für das bevorstehende Abitur aufpoliert. Unter der Leitung eines bekannten Archäologen hatten Sie große Teile einer antiken Mühle freigelegt. Sie war müde gewesen nach der Rückkehr, erfüllt von Eindrücken, Gefühlen, Geschmäckern und Wortfetzen in unzähligen Sprachen. Volle vier Stunden hatte sie ihren Eltern vorgesprudelt. Julius hatte sich rechtzeitig verzogen. Wenn seine ältere Schwester von einem ihrer Sozialtrips zurück kam, neigte sie zu Missionierungsversuchen.

      Eva sah verstohlen rüber zu Magnus. Als Kind hatte ihr Cousin mit seiner Mutter ein paar Wochen bei ihrer Familie gewohnt. Nach der Flucht aus Ostdeutschland waren die beiden obdachlos gewesen, Siebelings hatten ein großes Haus. Seit damals hatte sie ihn nicht oft getroffen, das letzte Mal vor drei Jahren. Seitdem hatte sich viel verändert. Noch bis heute morgen hätte Eva geschworen, dass Stephane aus Aix en Provence der schönste Mann der Welt war.

      Magnus spielte Gitarre, soviel wusste sie. Der Rockstar-Look stand ihm gut – seine langen Haare fielen ihm immer wieder ins Gesicht, an der Hand trug er einen Totenkopfring, am Handgelenk ein Lederarmband. Nur die Segelschuhe fand Eva völlig ungeeignet für eine Hausräumung, sie passten auch gar nicht zu ihm.

      Er hatte den größten Transporter gemietet, den er mit seinem Führerschein fahren durfte. “Koffer mit Hebebühne”, hatte er erklärt. Eva vermutete, das sei eine Art Statussymbol, mit dem ihr Cousin seinem Kumpel Maik imponieren konnte, der ihnen in Magnus’ Auto zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Freundin Silke folgte.

      Sie schaukelten heftig auf und ab, obwohl Magnus jetzt selbst für seine Verhältnisse langsam fuhr. Als Musiker musste er unbedingt cool wirken. Nichts schlimmer als ein hektischer Rocker. Eva sollte denken, dass er ganz selbstverständlich mit dem großen Transporter rangierte. Glücklicherweise war ihr entgangen, dass er vor einigen Minuten mit dem Außenspiegel fast eine Hausecke gestreift hatte. Ihren langen Rock fand er völlig unpassend für eine Hausräumung. Immerhin war sie keins von diesen albernen Trend-Girlies, die einander alles nachmachten