Tilman Weysser

Ein Bild vom alten Gringo


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weder Jane Austen noch die Werke von Thomas Mann, die sie aufzählte. Er fand Asterix gut.

      “Kann mir mal ein starker Mann helfen?” Silke stand in der Tür. Sie wollte mit dem Projekt Magnus weiterkommen und ging der Sache unverblümt nach. “Ich hoffe ich störe nicht. Kann ich ihn mir mal ausleihen?” “Meinen Cousin soll ich dir leihen? Wofür brauchst du ihn denn? Er arbeitet sehr langsam.” “Macht nichts, dafür sieht er gut aus.” erwiderte Silke. “Hallo, ich stehe hier. Ich kann direkt angesprochen werden.” Magnus gefiel der Zuspruch. “Ich habe jetzt beide Schränke leer, ein paar Kartons müssten schon mal runter, sonst habe ich keinen Platz mehr. Hilfst du mir?” Sie verschränkte die Hände vor dem Schoß, stellte die Füße leicht nach innen, um besonders hilflos auszusehen und gab Magnus einen honigsüßen Augenaufschlag. Es war alles so klar. Eva fand es reichlich blöd. Wo blieb das Geheimnis, wo die Spannung, das Warten, langsame Annäherung, Kennenlernen, erste Missverständnisse, vielleicht sogar ein Streit, dann Versöhnung, der erste Kuss, all das. Silke ging es wirklich nur ums Rammeln. Sie schämte sich ein bisschen, so über ihre Freundin zu denken. “Kommst du hier ein paar Minuten ohne mich klar?” fragte Magnus. “Ich kann es mir nur schwer vorstellen, aber ich versuche es.”

      Magnus folgte Silke und verglich. Ihre kurze Hose ließ keine Fragen offen. Auch bei ihr war alles in bester Ordnung, und mit ihr war er nicht verwandt. Nichts sprach gegen ein näheres Kennenlernen. Silke war anscheinend aufgeschlossen und duftete fruchtig. Er war in Geberlaune.

      Vom Ende des Flurs war ein lautes Krachen zu hören.

       “Alles in Ordnung bei dir, Maik?” rief Magnus.

       “Alles unter Kontrolle!” Den Geräuschen nach kam Maik mit seinem Zerstörungsauftrag gut voran.

       “Hier.” sagte Silke in dem Ton, in dem ein Kind seiner Mutter verschüttete Milch präsentieren würde. Alles stand voll mit gefüllten Kartons. Sie waren so leicht, dass er zwei auf einmal tragen konnte. Während sie weiter packte, machte er sich auf den Weg nach unten. Als er die Tour ein paar Mal gelaufen war und wieder schwitzend bei Silke im Zimmer stand, reichte sie ihm eine Wasserflasche.

       “Sehr beeindruckend. Du bist keine zehn Minuten hier und alles ist weg.”

       “Ich bin ja nicht aus Zucker.”

       “Schade.” stellte Silke fest und klimperte mit den geschminkten Wimpern.

      *

      Julius fand ein Fach. Leider war nichts Geheimes darin, aber seine Neugier war geweckt. Er klopfte alle Kassetten der Vertäfelung ab. Dann wandte er sich dem Schreibtisch zu, zog alle Schubladen auf, fühlte mit der Hand hinein – vergeblich. Das Zimmer gab nichts mehr her. Im Flur sah er eine Luke in der Decke. An einer Öse konnte da ein Haken eingesteckt werden, vermutlich um eine Klapptreppe herunter zu ziehen. Der Speicher, das musste sofort überprüft werden. Wo war der Haken? Julius ging einer Ahnung folgend in das Zimmer, das direkt unter der Luke vom Flur abging und das er vorhin für leer gehalten hatte. Bei genauem Hinsehen stand in der Ecke genau der Holzstiel mit Haken, den er brauchte. Julius schnappte sich den Stiel, hängte ihn ein und zog.

      *

      Maik war fertig. Schweißgebadet stand er vor einem Haufen Bretter. In einer Ecke hatte er den Stapel alter Zeitungen und die Tücher platziert, die er in der Schublade gefunden hatte. Die Pistole, die auch darin gelegen hatte, steckte hinten in seinem Gürtel, das zusätzliche Magazin in die Hosentasche. Unter seinem Hemd konnte man davon nichts sehen. Hoffte er. Erst einmal zuvor hatte er eine echte Waffe in der Hand gehabt, einen Revolver seines Vaters. Der ging aber sehr restriktiv damit um. Diese Knarre hier vermisste sicher niemand. Er wollte seine Beute so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. Magnus und die anderen mussten nichts davon wissen. Es war ja so eine Art Diebstahl, aber wer brauchte das Ding? Magnus hätte damit bestimmt nichts am Hut, Eva und Julius sicher auch nicht, von Oma Bornwart ganz zu schweigen. Er schlenderte nach unten, ließ Pistole und Magazin in seinen Rucksack gleiten und holte ein Salami-Brötchen und Cola heraus. Seine Mutter hatte wie immer ordentlich Butter und Wurst dreilagig drauf getan. Gierig biss er hinein, kippte Cola nach und sah zufrieden schmatzend hinaus in den Garten. Maik, the man. Ein richtiger Kerl brauchte nun mal eine Waffe.

      *

      Langsam stieg Julius hinauf. Erleichtert sah er einen Lichtschalter oben am Geländer, der die Finsternis über ihm in ein drückend warmes Halbdunkel verwandelte. Julius sah Regale und Schachteln, einen Fernseher mit fast runder Bildröhre, einen Kinderwagen, Schachteln mit Töpfen und Tellern. Besen und ein Teppichklopfer lehnten an einer Kommode. Alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Er machte ein paar vorsichtig knarrende Schritte auf eine Kommode zu. Bücher lagen darauf. Mein Kampf – erst als er den Namen des Autors las, konnte er das Buch einordnen. Daneben lag Rassenkunde des deutschen Volkes und ein Dolch, auf dessen Scheide ein SS-Emblem zu sehen war. Julius zog eine Schublade auf. Er warf nur einen kurzen Blick hinein, sah braunen Stoff und eine rote Armbinde, rannte zur Luke und rief seine Schwester. Sie antwortete nicht, also stieg er hinunter, lief ins Treppenhaus und rief erneut.

      “Eva?”

       “Ja?”

       “Kommst du mal?”

       “Muss ich?”

       “Ja.”

       “Was ist denn?”

       “Da ist … ich habe was gefunden. Komm halt.”

       Das Zeug war bestimmt illegal. Es musste verschwinden, was sollte die Umzugsfirma denken?

      Alle waren neugierig, was Julius entdeckt hatte. Das gefiel ihm überhaupt nicht, schließlich war der Ruf der Familie in Gefahr. Aber es war zu spät.

       “Auf dem Speicher, da hinten rauf. Keine Ahnung ob das … Kostüme sind oder was.”

       Eva ging voraus. Drei braune Hemden kamen zum Vorschein, eine Schublade tiefer eine Uniform mit SS-Abzeichen am Kragenspiegel. Sie war sorgfältig in Plastikfolie verpackt.

       Geil.” fand Maik.

       Eva sah ihn missbilligend an.

       “Was ist daran denn bitte geil? Ekelhaft ist das.”

       “Es muss vor allem weg.” stellte Magnus fest.

       “Wieso? Das nehm’ ich mit, wenn ihr wollt.” schlug Maik vor.

       Julius schüttelte ungläubig den Kopf.

       “Ihr nehmt gar nichts mit. Das packen wir ein und …” Eva war selten sprachlos, aber jetzt fiel ihr nicht ein, was sie machen sollten.

       “Und was?” Maik konnte Evas Widerwillen nicht verstehen.

       “Lass mal.” sagte Magnus. “Ich schlage vor, wir werden das Zeug los.”

       Eva war offenbar nicht einverstanden.

       “Ihr seid mir echt ein paar Schafsköpfe. Wir müssen uns erinnern.”

       Maik merkte, wie ihm noch wärmer wurde.

       “Ach du Schreck, geht das wieder los. Ich muss mich an gar nichts erinnern, ich habe keinem auch nur ein Haar gekrümmt. Und Nazi bin ich schon gleich dreimal nicht. Punk, wenn überhaupt. Das ist ja wohl das Gegenteil.” “Das sagt ja auch keiner.” erwiderte Eva. “Was sagt keiner?” “Dass du Nazi bist. Hat doch mit dem Erinnern nichts zu tun.” “Hat es doch. Heißt doch immer die Deutschen bla bla bla, Nazi-Schweine. Irgendwann muss mal Schluss sein. Jeden Tag kommt die Scheiße auf dem Dritten, ewig tun die so, als ob ich irgendeine Verantwortung hätte für irgendwas. Ich war noch nicht mal geboren.” Maik war sauer. Eva auch. Julius schlenderte auf dem Speicher herum. Er kannte die dunkle Seite seiner Schwester. Sie liebte Diskussionen. Magnus und Silke standen nur ratlos dabei. “Hast du auch. Es geht darum, dass es jederzeit wieder passieren kann.” “Hier? Nie! Glaubst du ernsthaft, hier würde auch nur ein Hund hinter dem Ofen vorkommen, wenn einer ruft: Gewehre raus, auf nach Frankreich?” “Ja, eben.” “Hä? Was heißt ja eben?” “Das heißt, dass nur wegen der ständigen Erinnerung, die dir so auf den Wecker geht, hier niemand einem Idioten glauben würde, der