Werner Karl

Druide der Spiegelkrieger


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zu ihren Füßen loderte, als wollte sie sie gemeinsam mit der sinkenden Sonne in Brand setzen. Mit einem Ruck setzte sich die Gestalt wieder in Bewegung und eilte den Hang hinab.

      Auch die Sonne schien in ihrem Lauf eine Pause eingelegt zu haben, und nun, als sich die Gestalt wieder bewegte, zog auch sie weiter und berührte endlich den fernen Waldrand.

      Die Krähen und Geier stoben wie eine Flutwelle auseinander, als die hochgewachsene Gestalt sich ihnen näherte, und gaben protestierende Schreie und heiseres Krächzen von sich. Ledersohlen traten mit großen Schritten über Blutpfützen, ausgetretenes Sekret und stinkende Körper hinweg, ohne nur eine Sekunde innezuhalten. Mit Schwung warf die Figur eine Seite ihres Umhanges auf, als sie sich zu den Überresten eines Kriegers niederbeugte, der neben einem römischen Soldaten lag. Ein muskulöser Arm wurde sichtbar, der nach dem Toten griff. Das rechte Knie der Gestalt versank tief im blutigen Morast, doch es schien sie nicht zu stören. Die Abendsonne sank hinter die Hügel und nahm mit dem letzten Tageslicht auch das Geheimnis mit sich, was der Mann dort tat. Was es auch sein mochte, es dauerte nicht lange. Dann erhob er sich, machte ein paar Schritte und kniete sich neben dem nächsten Toten nieder.

      Lucia und ihre Leibsklavin Inga erreichten im Schutz der Dämmerung das Schlachtfeld. Die beiden Frauen saßen im ersten Wagen der Kolonne römischer Heiler, gefolgt von annähernd fünfzig männlichen und weiblichen Sklaven zu Fuß. Einige der Wagen hatten ein Dach und Seitenwände, die meisten jedoch waren einfache Karren, die für den Transport von Waren aller Art gedacht waren. Kaum hatten sie den Rand des Schlachtfeldes erreicht, verteilten sich die Sklaven stumm zwischen den reglosen Körpern. Die Ankunft der Sklaven vertrieb die Aasfresser in der Nähe und verwandelte die Vögel, die nun ihren reich gedeckten Tisch verloren, zu übellaunigen Tieren, die sich mit ihren Nachbarn zu streiten begannen. Einige der Sklaven schwärmten aus und jagten die Vögel mit Rufen und drohendem Schwingen einfacher Stangen mit daran befestigten Stofffetzen immer weiter davon.

      Die Sklavin trug eine Tunika wie ihre Herrin, jedoch ohne Verzierungen. Der Stoff umspielte ihre vollen, weiblichen Formen und ließ nur wenig von ihrer Haut erkennen. Das blonde Haar wies sie als Germanin aus, die starken Muskeln und der Knochenbau unterstrichen die körperliche Robustheit. Ihr Gesicht strahlte die gleiche Helligkeit aus wie ihre Haut und wäre sie vor Jahren auf einem Sklavenmarkt verkauft worden, anstatt als Kriegsbeute in den Haushalt Lucias zu geraten, hätte sie sicher einen guten Preis gebracht.

      Die Römerin schob eine lange Strähne ihres schwarzen, lockigen Haares unter das lederne Stirnband, das sie trug. Nur mühsam konnte der schmale Streifen die Fülle ihres Haares bändigen. Ihre Augen funkelten im dunklen Braun einer Sizilianerin, die Nase war fein geschwungen, die Lippen breit und voll. Ihr Teint zeigte das helle Braun von leicht geröstetem Brot. Ihre blütenweiße Palla stand im starken Kontrast zum warmen Ton ihrer Haut.

      Inga spähte aus dem Fenster des Wagens auf die anderen Sklaven. Ihre Augen waren zwar vor Schreck geweitet, doch dies änderte nichts an ihrer Entschlossenheit, ihrer Herrin und Freundin auch dieses Mal zur Seite zu stehen. Zu oft hatten sie beide diese selbst auferlegte Aufgabe schon erfüllt. Es war nicht nötig, ihr dafür einen Befehl zu erteilen. Die kleine Gruppe der Heiler, welche die Kolonne, bestehend aus einem Dutzend flacher, vierrädriger Gespanne, begleitete, stieg dagegen ohne Eile von den Wagen.

      Mit gerunzelter Stirn verfolgte die Sklavin die lustlosen Bewegungen der Männer. Sie sah ihnen an, dass sie nur eine lästige Pflicht erfüllten, auferlegt durch den Garnisonskommandeur. Sie verachtete die Heiler für ihr offenkundiges Desinteresse, war es doch nach ihrem Verständnis eben deren Hauptaufgabe, Menschen zu helfen. Inga wusste, dass die Heiler viel lieber im Kastell geblieben wären, das wenige römische Meilen südlich lag, keine Stunde zu Pferd hinter dem Hadrianswall, gesichert durch Soldaten und ausgestattet mit Zelten, in denen sie den Verletzten wirkliche Hilfe hätten leisten können. Hier, mitten im Dreck, fürchterlichem Gestank und einfallender Nacht, fühlten sie sich anscheinend fehl am Platz. Nur widerwillig folgten sie den Sklaven und warfen hin und wieder einen gelangweilten Blick auf die toten Legionäre, die auf die Wagen gestapelt wurden. Nicht, dass sie kein Gefühl für ihre Landsleute empfunden hätten, das schon, wie Inga sehr wohl wusste. Aber sie hatten schon viel zu viele tote Männer gesehen, als dass sie dieser Anblick noch wie zu Beginn ihrer Dienstzeit auf dieser Insel schocken konnte.

      »Halt an!«, befahl Lucia dem Mann an den Zügeln mit leiser, aber befehlsgewohnter Stimme. Ihre Freundin sprang als Erste aus dem Wagen. Wortlos hielt sie Lucia ihre Hand hin und half ihr herunter.

      Ihre Herrin hielt kurz inne und legte ihre zarte Hand auf die Schulter der Germanin. Nicht um Schutz zu suchen, sondern weil sie, wie bei jeder dieser Gelegenheiten, um Fassung rang.

      Seite an Seite mit Lucia huschte Inga von Mann zu Mann, achtete nicht darauf, dass der Saum ihrer Tunika durch Blut und Schlamm schleifte, und suchte verzweifelt nach Überlebenden. Oft mussten sie die Körper der Männer berühren und umdrehen, denn Verletzte lagen mitunter verdeckt unter ihren toten Kameraden oder waren manchmal in tiefe Bewusstlosigkeit gefallen. Leider viel zu selten, wie Inga fand. Sie beobachtete, wie behutsam ihre Herrin dabei vorging, wunderte sich aber schon lange nicht mehr darüber. Schon früher hatte sie – trotz gegenteiliger Vorhersage der Heiler – einigen Soldaten in letzter Minute das Leben retten können. Die Männer ihres Vaters liebten sie dafür und behandelten sie wie eine Mischung aus Göttin und Jungfrau. Viele – allen voran Trebius Servantus, die rechte Hand ihres Vaters – hatten schon um sie geworben und dies nicht nur aufgrund ihrer Barmherzigkeit, sondern auch wegen ihrer Schönheit. Die Germanin, die sie nicht zum ersten Mal auf ihrer Suche zwischen den Verstümmelten und Toten begleitete und wusste, dass Lucia einem heftigen, inneren Bedürfnis folgte, hätte ihre Herrin am liebsten sofort wieder in den Wagen gesetzt. Während sich ihre Hände von Blut und Schmutz dunkel färbten, warf sie einen Blick auf Lucia, die mit verdreckter Palla und hoffnungsvollem Blick durch die dichten Reihen der Gefallenen huschte und in ihrer Besorgnis und Verzweiflung nur noch schöner aussah. Inga war stets zugegen gewesen, wenn der eine oder andere Offizier ihres Vaters versucht hatte, Lucia davon abzuhalten. Allen voran ihr Vater selbst: Magnus Lucius, Praefectus Castrorum des Kastells hinter dem Wall. Doch seine Tochter – mit sturem Ausdruck im Gesicht und unbewusst die Beine in die Grundstellung für einen Kampf gestellt – gewann jede Diskussion mit dem Argument, dass sie nachweislich siebzehn Legionären das Leben gerettet hatte. Seit dem ersten Geretteten hatte sich die kleine, aber wachsende Schar dieser Männer zu einer informellen Leibgarde gebildet, von der auch jetzt zwei in Sichtweite auf sie achteten, obwohl sie außer Dienst standen. Es hätten weit mehr Männer zu ihrer Begleitung bereitgestanden, doch ihre Kommandeure hielten die Schwärmerei für Lucia für übertrieben und ungerecht, wie Inga aus dem Küchengeschwätz erfahren hatte.

      Lucia hob den Kopf. Ein feuchtes Schimmern in ihren Augen verriet Inga, dass ihre Herrin in dieser Nacht wieder viele Tränen vergießen würde. Gleichermaßen für Freund und Feind. Auch dieser Punkt gab stets Anlass zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen ihr, ihrem Vater und Centurio Servantus, seinem engsten Vertrauten. Doch auch hier gewann die junge Frau jedes Mal. Zum einen, da sie noch nie einen überlebenden Feind gefunden und somit vor dem Problem gestanden hatte, sich auch um ihn kümmern zu wollen. Zum anderen, weil Servantus Interesse an ihr zeigte und sich die vagen Chancen, die er sich bei ihr erhoffte, nicht durch Kritik zerstören wollte. Wenn die beiden Frauen allein waren, kicherten sie oft über Servantus’ vergebliche Versuche, Lucia näher zu kommen. Sicher, er war ein stattlicher Mann und bei allen geachtet. Doch genauso sicher war sich Inga, dass er in keiner Weise dem Bild entsprach, das sich ihre Herrin von ihrem zukünftigen Ehemann machte.

      Plötzlich hob Lucia erneut den Kopf und starrte in das letzte dunkelrote Schimmern der Dämmerung.

      »Was ist, Herrin?«, fragte Inga leise und wusste selbst nicht, warum sie dabei beinahe flüsterte.

      »Ich dachte, da hätte sich jemand bewegt … es war wohl nur eine Krähe«, murmelte ihre Freundin, blickte aber weiterhin ins Halbdunkel.

      Inga folgte ihrer Blickrichtung und spähte angestrengt in die rasch hereinbrechende Dunkelheit, konnte aber nichts erkennen. Sie sah nur den Schemen eines satt gefressenen Geiers, der sein Festmahl beendet hatte und zum Himmel aufstieg.

      »Herrin, meinst du nicht