Johann Heinrich August Leskien

Balkanmärchen auf 251 Seiten


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und in kurzer Zeit wurde der Alte reich.

       Einmal fragte ihn der Alte, was er für seine Arbeit

       haben wollte. Der Junge antwortete: »Etwas Geld, so

       viel, um in die Fremde zu gehen.« – »Schön«, sagte

       der Alte, wollte ihn aber nicht allein gehen lassen und

       suchte ihm einen Gefährten. Da begegnete ihm ein

       Neger, der sagte, er möge ihn nehmen. »Nein,« erwiderte

       der Alte, »du wirst ihm nicht gefallen.« –

       »Nimm mich nur,« sagte der Neger, »und wenn er

       mich nicht mag, werde ich schon wieder gehen.« So

       nahm der Alte ihn mit, und als der Junge ihn sah, gefiel

       er ihm.

       Am nächsten Morgen machten sie sich auf die

       Reise. Als sie zu einem Brunnen kamen, sagte der

       Neger zu ihm: »Höre, Bruder, wir wollen jetzt in die

       Fremde gehen; laß uns hier einander schwören, daß

       keiner dem andern etwas verheimlichen wird, daß wir

       immer zusammen bleiben, Tag und Nacht, und wenn

       wir künftig mit Gottes Hilfe zurückkehren, daß wir

       bei diesem Brunnen alles, was wir erworben haben,

       aufs Haar gleichmäßig und brüderlich teilen.« Das

       beschworen sie und zogen weiter.

       Unterwegs kamen sie an eine Einöde, und die

       Leute, die ihnen begegneten, sagten ihnen, sie möchten

       nicht dahinein gehen, sie würden umkommen.

       Aber der Neger hörte auf niemand. Am Abend kehrten

       sie in einer verlassenen Herberge ein, der Junge

       legte sich in eine Stube und schlief ein, der Neger

       aber ging durch alle Stuben und fand eine Lamia mit

       drei Köpfen, die die Menschen fraß, die sich dort aufhielten,

       ihr Geld nahm und die ganze Stube damit anfüllte.

       Der Neger erschlug sie, verschloß das Zimmer

       mit dem Gelde und sagte dem Jungen nichts. Am

       Morgen zogen sie weiter und kamen in die Hauptstadt

       eines Zaren.

       Dort war eine Tochter des Zaren, die war vielmal

       verheiratet gewesen, aber die Männer waren nicht am

       Leben geblieben, sie waren alle schon in der ersten

       Nacht gestorben. Der Neger ging nun zum Zaren und

       bewarb sich im Namen des Jungen um die Tochter.

       Der Zar sah sich den Jungen an und richtete sogleich

       die Hochzeit an. Viele Leute sagten ihm, er möge sie

       nicht nehmen, denn er werde in seinen jungen und

       blühenden Jahren sterben – der Junge war nämlich

       sehr schön –, aber der Neger sagte ihm, er möge unbesorgt

       sein, er sei ja bei ihm. In der ersten Nacht, als

       sich das junge Ehepaar schlafen legte, verlangte der

       Neger, in derselben Stube zu schlafen. Der junge

       Mann bat ihn, für sich zu schlafen, aber der Neger erinnerte

       ihn an den Schwur, und er schwieg.

       Sie waren eben eingeschlafen, da machte die junge

       Frau den Mund auf und fing an zu schnarchen. Der

       Neger stand auf, zog seinen Säbel und stand über sie

       gebeugt still. Nach kurzer Zeit, sieh da, kam eine

       große Schlange aus dem Munde der Frau heraus und

       schickte sich gerade an, den Mann zu beißen, als der

       Neger ihr ein Stück abhieb, ungefähr eine Spanne

       lang, soweit sie herausgekommen war, samt dem

       Kopf. Das übrige Stück aber kroch wieder hinein. Als

       sie am Morgen aufgestanden waren, freute sich das

       ganze Schloß, daß der Schwiegersohn am Leben geblieben

       war.

       Nach einiger Zeit rüsteten sie sich zur Abreise und

       nahmen von dem Zaren nichts als vierzig Maultiere

       und vierzig leere Säcke. Als sie zu der verlassenen

       Herberge kamen, belud der Neger die Maultiere mit

       dem Gelde der Lamia, und sie zogen nun mit der jungen

       Frau der Heimat zu. Eines Tages gelangten sie an

       jenen Brunnen. »Jetzt«, sagte der Neger, »müssen wir

       teilen.« Da teilten sie die Maultiere und alles andere

       zur Hälfte. »Jetzt also«, sagte darauf der Neger, »wollen

       wir auch die Frau teilen. Faß du das eine Bein, ich

       nehme das andere, und wie du willst, teilen wir quer

       durch oder der Länge nach.« »Bewahre Gott,« antwortete

       der junge Mann, »laß ab, nimm du sie ganz,

       wir wollen sie doch nicht umbringen.« – »Nein,«

       sagte der Neger, »denk an den Schwur!« Es blieb

       nichts übrig, der Mann ergriff das eine Bein, und

       sowie der Neger das Messer zog, schrie die Frau auf,

       erbrach sich vor Schrecken und spie das übrige Stück

       der Schlange aus. »Da hast du sie jetzt,« sprach der

       Neger, »das wollte ich gerade, daß auch dies Stück

       der Schlange herauskäme.« Dann erzählte er ihm alles

       und auch, daß er der Mensch sei, den er ehrenvoll begraben

       hatte. Damit verschwand er.

       Der junge Mann bekreuzigte sich und sprach:

       »Fürwahr, eine gute Tat geht niemals verloren.« Dann

       stieg er zu Pferde und brachte seinem Vater vierzig

       Lasten Gold. Später wurde er Zar und in der ganzen

       Welt berühmt.

       3. Der neidische Arzt

       Es war einmal ein Zar, bei dem war ein Arzt; der

       konnte viel, war aber sehr neidisch und hielt nicht einmal

       einen Diener, damit niemand von ihm lernen

       könnte. Es gab aber einen klugen Burschen, der stellte

       sich stumm, ging in die Welt, sein Glück zu suchen,

       und kam auch zu dem Arzt. Als der sah, daß der Bursche

       stumm war, sagte er zu sich selbst: »Ah! das ist

       ein Diener für mich, und wenn er auch die Kunst

       lernt, kann er mir doch nicht gleichkommen, da er

       stumm ist.« Und so behielt er ihn bei sich.

       Der Bursche blieb sieben Jahre bei ihm, und niemand

       merkte, daß er sprechen konnte. Der Arzt hatte

       kein Geheimnis vor ihm, so daß er gelehrt wurde wie

       der Arzt und fast noch mehr.

       Der Zar hatte eine Tochter, die schon eine Zeitlang

       an Kopfschmerzen litt. Da befahl der Zar dem Arzt,