Michael Aulfinger

Der verschwundene Vater


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hast.“

      „Glaubst du wirklich, daß du deine Ungerechtigkeit dadurch festigst, indem du mich wie einen Verbrecher wegsperrst? Ich glaube nicht, daß da der Stubenarrest die richtige Erziehungsmethode ist. Aber gut. Ich beuge mich der brutalen Gewalt. Dadurch kommt Papa aber bestimmt nicht wieder.“

      „Es stimmt nicht, was du dir in deinem Hirn zusammen braust. Ich habe deinen Vater nicht verjagt. Im Gegenteil. Wir waren sehr glücklich miteinander.“

      „Das meinst du. Warum ist er wohl weg? Mach dir doch nichts vor. Und mir schon gar nicht, oder denkst du das ich blöde bin?“

      Wütend drehte sich Sonja um. Es war ihr anzumerken, daß sie für vernünftige Argumente nicht zugänglich war. Cordula versuchte es trotzdem, als sie erkannte, daß ihre Tochter eiligst die Treppe hinauf eilte.

      „Sonja.“

      „Pah.“

      Es war das einzige Wort, was noch aus dem ersten Stock hinunter hallte. Wütend über die ungerechte Beschuldigung, aber sich auch gleichzeitig hilflos fühlend, ging sie in die Küche zurück. Auto­matisch wischte sie die einzelne, verirrte Träne hinweg, die ihr an der Wange entlang lief.

      Zwei Tage später hatte sich ihr Verhältnis zu Sonja soweit geändert, daß sie gar nicht mehr miteinander sprachen oder auf andere Weise kommunizierten. Sie schritten einfach aneinander vorbei, ohne sich nur anzusehen, geschweige denn ein Wort miteinander zu wechseln. An Versöhnung war keineswegs zu denken. So sehr hatten sich die Fronten verhärtet.

      Der einzige, bei dem Cordula ein wenig Beistand fand, war ausgerechnet Dennis. Von Tag zu Tag lockerte sich seine Verschlossenheit, die er dennoch nicht vollkommen aufgab. Es geschah sogar an diesem Tage, daß er sich nach der Schule unvermittelt hinter seiner Mutter stellte, und sie von hinten mit seinen Armen an der Taille umarmte. Zuerst wirkte Cordula erstarrt, denn eine solche Zuneigung hatte sie schon seit langem nicht mehr erfahren. Dann spürte sie, wie es ihr gut tat, und sie ein wohliger Schauer übermannte. Sie drehte sich um, und sah ihn mit feuchten Augen an. Die Gefühle überwältigten sie. Die Tränen dabei konnte sie gerade noch zurückhalten. Das sprechen fiel ihr trotz­dem schwer. Ihre Freude war unbeschreiblich. Zärtlich strich sie ihm durch das Haar.

      „Wir schaffen das schon.“

      „Das glaube ich auch. Papa wird schon wieder kommen. Hoffentlich. Denn nicht nur wir warten auf ihn.“

      „Ja,“ bestätigte Cordula. „Nicht nur wir warten. Auch auf der Arbeit warten sie auf ihn. Ich habe gestern mit seinem Chef gesprochen. Papa ist solange beurlaubt. Sobald er wieder da ist fängt er ganz normal auf der Arbeit an. Als wäre es nur Urlaub gewesen. Es wird alles wieder gut werden, und so wie früher.“

      „Das ist gut.“ Dennis nickte. „Aber das meine ich nicht. Auch die zwei Männer warten auf ihn.“

      „Welche zwei Männer?“ Dennis Äußerung ließ Cordula aufhorchen.

      „Na, die zwei Männer, die seit Wochen oft auf der anderen Straßenseite in dem Auto sitzen. Sind sie Dir noch nie aufgefallen?“

      Irritiert schüttelte Cordula ihren Kopf. Das war ihr neu. Wegen ihrer nervlichen Anspannung war ihr das bestimmt nicht aufgefallen. Unter normalen Umständen würden ihr solche Details bestimmt nicht entgehen. Aber was war in diesen Tagen schon normal.

      „Nein. Wirklich nicht. Aber weißt Du, ich hatte in letzter Zeit viel um die Ohren.“

      „Sicherlich. Das weiß ich. Ich dachte ja nur, daß du wissen wolltest was die Männer von mir wollten.“

      Erneut lag es an Cordula irritiert drein zu schauen.

      „Wie? Du hast mit ihnen gesprochen? Was haben sie gesagt?“

      „Ja, der eine dünnere Mann sprach mich gestern nach der Schule hier vor dem Haus an. Er wollte wissen, ob ich weiß, wo mein Vater sei. Das war alles.“

      „Und was hast Du geantwortet?“

      „Ich weiß es nicht. Das ist ja die Wahrheit. Gelogen habe ich nicht. Nicht das er denkt, ich würde die Unwahrheit sagen.“

      „Richtig. Gelogen hast du nicht. Und was sagte er dann?“

      „Er fragte nur, ob ich wisse wann er wieder zurück sei. Er müsse mit ihm reden. Aber auch das wußte ich ja nicht. Dann dankte er mir, drehte sich um und ging zu seinem Auto zurück. Die beiden Männer fuhren dann später weg. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Aber ich habe von meinem Zimmer aus ein Foto von ihnen mit meinem Handy gemacht, als sie am Auto standen. War das richtig, oder falsch?“

      „Hast du gut gemacht. Wird wohl nichts wichtiges gewesen sein. Das waren wahrscheinlich Bekannte von Papa die hörten, daß er vermißt wird und netterweise wissen wollten ob er wieder da sei. Das ist doch lieb von ihnen.“

      Sie gab ihrem Sohn einen liebevollen Klaps, der darauf hin unbekümmert in sein Zimmer stürmte.

      Eine Stunde später klingelte das Telefon. Ihre Mutter rief an, um zu erfahren, ob es Neues gab. Sie wohnte in Berlin, so daß es selten Möglichkeiten eines Besuches gab. Zwei mal im Jahr, mehr sahen sie sich nicht. Als Cordula beinahe eine halbe Stunde ihr Herz ausgeschüttet, und die Mutter geduldig zugehört hatte, klingelte es an der Tür.

      „Ich rufe dich später nochmal an. Okay?“

      Die Mutter bejahte, so daß das Gespräch abrupt beendet wurde, und Cordula zur Tür ging. Nach dem obligatorischem quietschen der Tür, erspähte sie zwei Polizeibeamte. Sofort erschreckte sie sich, denn sie befürchtete das schlimmste. Zwar war den Beamten keinerlei Gefühlsregung an den Gesichtern abzulesen, doch konnte es nur eines bedeuten. Das wurde ihr sofort klar:

      Bernd war tot.

      „Frau Cordula Pfaff?“

      „Ja.“ Beim aussprechen des Wortes fühlte Cordula, wie ihr Blut direkt nach oben in den Kopf schoß. In diesem Moment wußte sie alles.

      „Treten sie bitte ein.“ Cordula konnte sich später nicht mehr daran erinnern, diesen Satz gesprochen zu haben. Zu unwirklich wirkte alles auf einem Mal.

      „Wir sind gekommen,“ sprach der ältere Beamte mit dem Schnurrbart als er im Wohnzimmer stand, „um sie bitten mit uns in die Gerichtsmedizin zu fahren.“

      „Warum?“

      Wieder eine Frage, die sinnlos daherkam, da sie die Antwort bereits wußte.

      „Es tut mir leid, es ihnen zu sagen, doch haben wir einen Torso eines männlichen Körpers gefunden, bei dem wir sie bitten diesen zu identifizieren. Es könnte sich um ihren Mann handeln. Einige Indizien weisen darauf hin.“

      Um Cordulas Kopf drehte sich alles. Schwindelig war ihr. Die Beamten sahen, wie ihr vorher aufrechter Körper hin und her schwankte, wie der eines zierlichen Menschen auf hoher tobender See auf den Planken eines kleinen Schiffes.

      „Setzen sie sich bitte.“

      Diese Worte bekam Cordula gar nicht mit. Es brauchte Minuten, bis sie die wieder klar denken konnten. Denn zuerst hatten sich die nebligen Zustände in ihrem Kopf verbreitet. Der geistige Nebelschleier hatte sich schließlich ganz gelichtet.

      „In Ordnung. Gehen wir.“

      In dieser Nacht war an einschlafen nicht zu denken. Ständig dachte sie an den Anblick, der ihr leider nicht erspart blieb. Es wurde zum schrecklichsten Moment ihres Lebens. Dieser leblose Körper ohne Gliedmaßen.

      Als man sie gebeten hatte einen Blick auf die Brust des Torsos zu werfen, zwang sie sich dazu nach einem bestimmten Punkt zu suchen. Nichts anderes wollte sie erblicken. Keine Stümpfe oder andere brutalen Stellen. Nur eine Pigmentstörung interessierte sie, die Bernd Zeit seines Lebens schräg unterhalb der linken Brustwarze gehabt hatte. Daran konnte sie sich gut erinnern.

      Sie zwang sich dazu konzentriert darauf zu achten, denn sie wollte sicher sein. Kein Fehler sollte ihr dabei unterlaufen. Es ging um die vollkommene Gewißheit. Nach Sekunden des Schweigens schnellte