Geraldine Haas

Der Hund mit den verlorenen Ohren


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einen sehr komischen Eindruck gemacht haben, denn er lachte und zeigte dabei sein Gebiss, mit den kleinen Eckzähnen.

      „Flöhe gehören zu einem Straßenhund, wie das Amen in der Kirche“, klärte Pedro ihn auf. „Wenn die dich erst einmal als ihr Wirtstier ausgesucht haben, hast du keine ruhige Minute mehr.“

      „Hast du noch nie daran gedacht, dir einen Herrn zu suchen?“, fragte Felix.

      „Ich sehe schon, du hast keine Ahnung von den Menschen, wie sonst würdest du mir eine so dumme Frage stellen. Ich sage dir, wenn die fertig sind, mit Urlaub machen, scheren die sich nicht mehr um unsereins. Du kannst mir glauben, die vergessen sehr schnell.“

      „Und dann?“

      „Reisen sie zurück in den Norden. Dort gibt es Heime für herrenlose Tiere. Mit gratis Essen. Ja, so ist das! Aber da lebe ich doch lieber unter freiem Himmel und bin Portugiese!“

      „Und warum kommen diese Touristen zu uns in den Süden?“

      Pedro lachte, dabei zeigte er wieder sein Gebiss. „Sie liegen in der Sonne und bräunen wie Grillfische. Zu komisch ist das. Ab und zu hüpfen sie auch ins Wasser. Am Abend dann findest du sie in den Restaurants und den Bars.“

      „Woher weißt du das?“

      „Weil ich das schon jahrelang miterlebe. Glaub‘ mir, Sommer für Sommer immer dasselbe.“

      „Du kennst die Menschen“, erwiderte Felix anerkennend.

      „So wahr ich Pedro heiße, habe ich schon so manches erlebt, das kannst du mir glauben. In meinem Alter ist man weise und erfahren.“

      Also war das mit dem Norden und der Unterbringung in einem Heim ja auch nicht erstrebenswert. Wenn die nur wegen der Sonne hier sind, dann muss es dort keine Sonne geben und Felix fragte Pedro danach.

      „Die schauerlichsten Geschichten habe ich gehört. Es kann eisig kalt werden und tagelang schneien. Die Fahrbahnen verwandeln sich dann in spiegelglatte Eisflächen und die Autos rutschen buchstäblich davon.“

      Felix stand vor Verwunderung das Maul offen.

      „Ich sehe schon, du bist erstaunt, mein guter Freund“, sagte Pedro.

      Erstaunt war wohl das richtige Wort, das musste er Pedro gestehen, als sie langsam neben dem Fahrbahnrand dahin trotteten. Plötzlich hob Pedro seine Schnauze in die Luft und schnupperte. „Die Konkurrenz war hier“, meinte er gewichtig.

      „Wer?“, wollte Felix wissen.

      Da setzte Pedro bereits seine Duftnote an einen Olivenbaum. „Das ist mein Revier“, sagte er mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch zuließ.

      Respektvoll schaute Felix ihn von der Seite an. „Verstehe!“, erwiderte er kleinlaut, obwohl er große Lust verspürte, seinen Urinstrahl an die gleiche Stelle zu setzen. Schließlich waren sie doch Freunde.

      „Wir müssen uns umsehen, bevor die Nacht hereinbricht, damit wir noch etwas zum beißen zwischen die Zähne bekommen.“

      „Das mit dem Fressen hört sich doch gut an, warum gehen wir nicht zu diesem, wie war der Name...?“, fragte Felix.

      „Club-Camping!“

      Pedro hatte recht gehabt, als er ganz zu Anfang ihrer Bekanntschaft sagte: „Du wirst dich an viele Menschentypen gewöhnen müssen, mein lieber Felix. Die einen geben freiwillig, bei den anderen musst du dir schon so manches leckere Stück Braten direkt vom heißen Grill stehlen.“ Felix hatte das beherzigt. Es wurde ihm deshalb schon so mancher Prügel nachgeworfen.

      Eines Tages lernte er eine junge Deutsche kennen. Tinta hatte ein Mobilheim bezogen. Mann, roch die gut. Felix verliebte sich sofort in sie. Die erste Nacht schlief er heimlich vor ihrer Türe. Sie musste ihn wohl am frühen Morgen entdeckt haben, denn aus ihrem Fenster flog eine Scheibe bester Schinken, direkt vor seine Nase. Das versprach gut zu werden. Er beschloss also, sein Quartier direkt unter Tintas Mobilheim zu verlegen. Aber warum nur war sie damit nicht einverstanden? Wegen der Katzenkinder, die dort auf ihr Fressen warteten? Felix schmeckte das Katzenfutter doch auch. Von der Milch, die Tinta in kleinen Schälchen aufstellte, konnte er nicht genug bekommen. Sie aber wurde böse und brachte ihn kurzentschlossen zu Philipp und Luisa.

      Der neue Platz ist auch nicht übel, sagte sich Felix. Luisa kaufte für ihn Hundefutter in großen

      Dosen. Sie bürstete sogar sein Fell, was ihm sehr gefiel. Er stöhnte vor Wohlbehagen. Sie hätte ihn stundenlang bürsten können.

      So ging das bis zu dem Tag, an dem Luisa und Philipp alles abbrachen. Felix ahnte, dass er sich einen neuen Platz suchen musste. Von Pedro wusste er, dass die Touristen nach ihrem Urlaub zurück in den Norden fuhren. Tinta war ja auch längst abgereist. Pedro hatte ihm gesagt, dass es im Winter von Vorteil sei, ein Dach über dem Kopf zu haben. Pedro hatte noch nie so ein Dach gehabt. Er war abgebrüht und mit jedem Wetter vertraut. Er hatte von Regenfällen und Sturm erzählt, der sich auf dem Atlantik zusammenbraute. „Aber es gibt immer ein Plätzchen, wo du geschützt schlafen kannst“, hatte er tröstend hinzugefügt. „Du musst dich nur umschauen.“

      Zu alledem Neuen kamen noch die verschiedenen Sprachen, die Felix verstehen lernen musste. Kaum konnte er sich mit den Deutschen verständigen, da wollten sie am nächsten Morgen schon wieder abreisen. Das traf ihn wie ein Faustschlag. Und niedergeschlagen verbrachte er die letzte Nacht unter ihrem Wohnwagen.

      Beim ersten Morgengrauen schon, kurbelte Philipp die Metallstützen hoch und hängte den Caravan an sein Fahrzeug an. Ein letztes streicheln von Luisa, mit Tränen in ihren Augen. „Leb‘ wohl, mein kleiner Liebling“, hauchte sie, bevor sie zu Philipp ins Auto stieg.

      Bellend rannte Felix vor dem Fahrzeug hin und her. „Nehmt mich mit, nehmt mich mit. Ihr könnt mich doch nicht einfach zurücklassen.“

      Das Gespann setzte sich in Bewegung. Felix bellte jetzt laut und fordernd und sprang neben dem Auto her. „Lasst mich nicht zurück! Nicht zurück...!“ Warum verstanden sie ihn denn auf einmal nicht mehr. Philipp bog nach dem Supermarkt links ab und stoppte nach etwa hundert Metern vor dem Kleinen Bungalow mit der Rezeption.

      „Wie oft hast du mir eine Dose mitgebracht und sie auf mich zugerollt? Soll das alles vorbei sein? Ich suche keinen neuen Herrn. Ich brauche dich, Philipp!“, bellte Felix flehend.

      Philipp versuchte ihn zu beruhigen, tätschelte ihm den Rücken und verschwand dann in dem Bungalow. Luisa entfernte den Aufkleber des Campings von der Windschutzscheibe. „Du wirst mir fehlen, mein Kleiner“, sagte sie dabei, und sie kraulte Felix hinter seinem Ohr, einmal links und dann wieder rechts. „Aber du hast ja hier ein sicheres Zuhause...“ Sie hielt inne, bevor sie hinzufügte: „Ich würde dich am liebsten gleich mitnehmen.“

      „Habe ich richtig gehört?“ Er drückte sich an Luisas Bein. „Du willst mich mitnehmen? Träume ich? Dann kneife mich, Luisa. Kneife mich in mein Hinterteil, damit ich erwache.“

      „Mein Kleiner!“ Luisa hatte sich vor ihn auf den Boden gekniet.

      Kleiner hatte sie ihn schon wieder genannt. Das passte Felix ganz und gar nicht. Er war doch nicht so einer wie Pedro, der mit seinem Fell den Boden fegen musste. Und ein sicheres Zuhause war das hier lange nicht. Also stellte er sich vor Luisa auf und schaute sie eindringlich an. Da sah er Pedro, der nur einige Meter entfernt, unter einem Orleanderbusch ruhte. „Pedro!“, rief er mit heiserer Stimme und sprang zu ihm hinüber.

      Pedro blinzelte ihn unter seinen buschigen Augenbrauen an. „Was hast du?“, fragte er. „Du siehst traurig aus.“

      „Das mag schon sein. Es trifft mich sehr hart.“

      „So erzähl‘ schon!“

      „Philipp und Luisa reisen ab“, brach es aus Felix heraus. „Und außerdem...“

      „Was außerdem?“

      „Ich habe dich vermisst.“ Er setzte sich neben Pedro auf den von der Hitze ausgedorrten Boden.

      „Meine