Markus Roentgen

"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile


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aufgelöst – selbst die Einheit und Einung wird ins Bildwort von Einöde und Wüste überformt, Bildwort, das zum Einen offener ist als der klassische philosophische Begriff, offener und radikaler in der existenziellen Aneignung – zum anderen aber auch schillernder ob der vorstellbaren Bildhaftigkeit hinter dem gefundenen Wort.

      Unendliche Weite, begriff- und namenlos – aber eine Art sichtbares Nichts, sichtbare Finsternis. Vgl. Psalm 139, 11 f.: „Dächt‘ ich: Stockfinsternis wird mich bedecken/ und Nacht mich rings umhüllen:/ Auch die Finsternis macht dir nicht finster,/ dir leuchtet die Nacht wie der Tag (Finsternis ist dir wie Licht).“ (Übersetzt von Friedrich Nötscher)

      Eckhart treibt diese Begriffe und Bilder weiter, bis er ans Abgrund-Wort gelangt, das er lange vermeidet, bis es dann doch fällt als einziges, das der Denk-Erfahrung im Seelengrund Genüge gibt: Nichts.

      56 Dw I, 401, 3 ff.

      Also ist auch die Rede von Wahrheit in der Gottrede sekundär (der Rede von der Liebe wird es nicht anders ergehen).

      So geht es in dieser Predigt (Predigt 23) dann folgerichtig weiter: „ Wenn er nun weder Güte noch Sein noch Wahrheit noch Eins ist, was ist er dann? Er ist gar nichts, er ist weder dies noch das.“ (Dw I, 402, 1ff.)

      Reine Negativität – „nichtes Nichts“ (Bernhard Welte).

      Verlassen aller Begriffe, kein Denken von oder an oder durch „etwas“. Der abgeschiedene, gelassene, selbst-entwordene Mensch versinkt in der Weite und Stille und Leere und Offenheit des Nichts.

      Metaphysik wird gesprengt durch diese Nichtserfahrung, die zugleich als Höchsterfahrung unbegrenzter reiner Weite sich erweist.

      Selbst der Name „Gott“ verschwindet ins Namenlose. Und dennoch ist diese Reinerfahrung des Namenlosen im Abgeschiedenen die je größere Anwesenheitserfahrung dessen, was mit dem Wort und Namen „Gott“ genannt wird seit je.

      Die Predigt 52 „Beati pauperes“ tritt auf den Plan.

      Disputatio

      Predigt 13 von Meister Eckhart „Qui audit me...“ und Impuls zu Predigt 52: „Beati pauperes spiritu“ zu Mt 5,3: „Beati pauperes spiritu, quia ipsorum est regnum coelorum“ – „Selig sind die Armen im Geiste, das Himmelreich ist ihrer.“

      Eckhart hält diese Predigt um 1320 in Köln, der damals reichsten deutschen Stadt. Zugleich gab es ein ungeheures Armutsproblem dort mitten in der Stadt. Das Jahrhundert der „Mystik“ ist auch das Jahrhundert der Pest – eine ungeheure Verelendung von Menschen wird sichtbar. Damit einher ging die erste große soziale und ökonomische Ausweitung, die Europa vor dem Zeitalter der Industrialisierung erlebt hat. Armut wird als Normalzustand für viele Menschen, die nicht mitkommen, alltäglich sichtbar. Sie wird als ethisch-religiöses Problem empfunden. Franziskus entdeckt Jesus Christus als diesen Armen.

      Eckhart wertet die äußere, die freiwillig und solidarisch gewählte Armut deshalb (als Mitglied des Bettelordens der Dominikaner) hoch. Das betont er auch nochmals zu Beginn seiner berühmtesten Predigt.

      Dennoch: Hier geht es ihm um einen anderen, einen höheren Begriff von Armut:

      „Nichts wollen/Nichts wissen/Nichts haben“

      Höhepunkt dessen: Keinen Gott haben.

      „Ein geflickter Strumpf besser als ein zerissener; nicht so das Selbstbewusstsein“.

      ( Georg Wilhelm Friedrich Hegel)

      „Dieses Zerissene ist durch seinen Riss offen für den Einlass des Absoluten.“

      (Martin Heidegger zu Hegels Aphorismus : Ders., Was heißt denken?)

      Lectio III

      Eckhart der Seelsorger und Sprachschöpfer

      Gottes Einwohnen in der Seele, der Seele Einwohnen und Mitwohnen in Gott ist überall und stets gegeben und angeboten zugleich. Jede und jeder ist Gottes Tochter und Gottes Sohn und kann dies, in der Dynamik dieses Erfahrungsdenkens, jederzeit werden. „Sohn ist, wer liebt.“ (Eckhart leitet „filius“, das lateinische Wort für „Sohn“ vom griechischen Wort „philia“ „filia“, d.h. „Liebe“ ab!)

      Hier zeigt sich, dass es ihm nicht nur um Intellektualität geht. Er will ins Leben lehren. Leben ist alles.

      Leben ist aber nur in Gott und aus und durch Gott. Gott ist also keine Idee und erst recht keine Ideologie. Die meisten Menschen, so sieht es Eckhart, haben nur ihren gedachten Gott, den Gott frommer Einbildungen und Wünsche. Werden diese Einbildungen und Wünsche enttäuscht, löst dieser Gott sich auf wie ein Nebel.

      Eckhart will die Allgegenwart Gottes verdeutlichen. Wie Ignatius von Loyola lebt er aus der Erfahrung, Gott in allen Dingen und Zuständen, in allen Erfahrungen finden zu können, vor allem jedoch in dir selbst, in der eigenen Seele.

      Seine primäre Seelsorge besteht darin, Menschen Angst und Ängste vor Gott zu nehmen; Zeitgebundene, infiltrierte, kirchlich-, politisch-, ideologisch gesteuerte Ängste – vor Tod, Hölle, Entbehrungen, Mächten und Gewalten etc.

      Deshalb der ungeheure Zuspruch: Alles, was ist, ist gut! „Esse est Deus“; das Sein ist Gott, das Sein ist gut; „alle Dinge sind gut“.

      Das wird Hegel in seiner Dialektik aufgreifen: „Das Ganze ist das Wahre!“ Adorno wird dem, als geschichtsverhafteter Denker, im Ausgang von derselben Frage nach der Wahrheit am entschiedensten widersprechen in seiner Negativen Dialektik, der, in nuce, das Bilderverbot der Heiligen Schrift zugrunde liegt: „Das Ganze ist das Unwahre!“

      Eckharts Denken umgreift beides. Er wird Hegel im voraus bestätigen – und er wird im Fortlauf der Reduktionen ins Negative des Unsagbaren und Unsäglichen durch die Sprachauflösungen Hegel auch im voraus überbieten in eine geschichtslose Negativität, ohne Adornos (Hiobs) materiebehafteten, geschichts- und gesellschaftserlittenen Einspruch aus jüdischem Erbe ( Erlösung ist material, leibhaftig, sichtbar, spürbar – oder sie ist nicht) so recht ernstzunehmen.

      Das gute Sein schließt bei Eckhart als das Ganze auch das Böse und die Sünde und damit auch das Leiden ein. So ist ihm die Sünde (vgl. das „felix culpa“ der Osternachtliturgie) Dienerin des Seins, Dienerin Gottes, notwendiger Schatten, ohne den das Licht nicht strahlen kann.

      So lehrt der Seelsorger den Gleichmut allem gegenüber außer Gott, ja selbst in und mit Gott bis ins gott-los werden: „Nichts begehren“; „Um nichts bitten“; „Vom Himmel nichts begehren und die Hölle nicht fürchten“.

      Im lateinischen Johanneskommentar heißt es dazu: „Gott gibt auch dann, wenn er nicht gibt, etwa wenn ein Mensch um Gottes willen auf das zu verzichten weiß, was er zu empfangen wünscht, gemäß jenem Wort: ich möchte selbst von Christus verbannt sein für meine Brüder.“ (Lat. Werke III, 67, unter Einbeziehung von Röm 9,3).

      Es ist Seelsorge, den Menschen zu sagen: Greift nicht so gierig nach Gott! Solches übt fundamentale Kritik an jeglichem (also auch religiös-kirchlichen) Sicherheitsdenken der Menschen bis in unsere Tage, wo ein krankmachendes Sicherheitsbedürfnis im modernen Menschen wahrnehmbar ist.

      Gott ist nicht zu haben und nicht zu gebrauchen, Gott lässt sich nicht gängeln oder am Seil führen (wie Eckhart an einer schönen Parabel verdeutlicht).

      Zugleich kannst Du Mensch Gott überall haben, allerorten (Kirche, Straße, Markt und Einöde) – das Geringste, was Du in Gott schaust (etwa ein Wurm) ist edler als das größte aller Welt (ohne Gott).

      So geht Eckhartsche Dialektik.

      Und sie verbindet auf der Naht den Mystiker mit dem in der scheinbar banalsten Banalität lebenden Alltagsmenschen (Stichwort: Nazareth in der Tradition des Charles