Michel Tapión

Mord Legal


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weißen Mantel saß am Ende des Raumes vor mir. Ich nannte meinen Namen, bedankte mich noch einen Ordinationstermin zu so fortgeschrittener Stunde erhalten zu haben und machte einen Schritt in den Raum. Ich hatte die Adresse von einer Bekannten erhalten und kam aus dem Staunen nicht heraus. „Nehmen Sie dort drüben Platz!“ Die Stimme, die mir entgegenschallte, war energisch und befehlend. „Haben Sie Ihre Geschichte dabei?“ wurde ich gefragt. „Ja, ich kann sie erzählen.“ Ich war erstaunt über die mir zugewiesene Sitzgelegenheit. Der Raum hatte etwas Unheimliches, Beklemmendes an sich. Seitlich, rechts der Eingangstür, befand sich eine große Tafel, ihr gegenüber waren erhöhte Sitzreihen angebracht. Vom Hörensagen vermutete ich, dass dies ein Hörsaal sein musste, in dem ich jetzt meine Geschichte erzählen sollte. Ich hatte davor noch nie einen Hörsaal gesehen. In der Folge arbeitete mein Hirn auf Hochtouren und die Gedanken überschlugen sich beinahe. Welchen Titel hatte dieser Arzt? Wie sollte ich ihn nun anreden? Wieso fand die Ordination in einem Hörsaal statt? Diese Fragen hätte ein aufmerksamerer Blick auf die Messingtafel geklärt, doch ich war zu sehr mit mir beschäftigt. Etwas seltsam schien dieser Ort dennoch. Warum musste ich acht Meter entfernt platznehmen, wenn ich mich doch bequem gegenübersetzen hätte können. Da sich mein Gegenüber in Schweigen hüllte, begann ich meine Geschichte zu erzählen, die sich aus der Liebe zu drei Frauen, entwickelte. Als ich noch ein Jüngling war verließ meine Mutter meinen Vater, denn sie lebten in Scheidung. Sie zog mit mir aufs Land. Dort hatte ich jede erdenkliche Freiheit und Spielräume ungeahnten Ausmaßes. Soweit mich meine Füße trugen, konnte ich durch Wiesen und Wälder streifen. Es gab nur Weite, die ich ausgiebig erkundete. Eines schönen Sommertages traf ich ein hübsches Mädchen meines Alters. Wir kamen sofort ins Gespräch und von nun an trafen wir einander jeden Tag. Wir vereinbarten keinen Zeitpunkt auch keinen Ort, wir fanden uns dort wo wir das letzte Mal auseinander gegangen waren, gänzlich ohne Absprache. Wir pflückten Heidelbeeren und Pilze, erkundeten die Lichtungen, die an die Wälder grenzten, weil wir leise waren störten wir das Wild nicht und sahen so manches scheue Reh am Waldrand. Uns genügte nicht nur der Anblick, uns genügte auch die Nähe des jeweils anderen und wir waren glücklich. Eines Tages entdeckten wir ein aufgelassenes Sägewerk und mussten es sogleich erforschen. Als der Besitzer uns bemerkte und uns eine Tracht Prügel verabreichen wollte, konnten wir gerade noch davonlaufen. Ein anderes Mal stießen wir auf eine Wasserschleuse, die Wasser aus einem Weiher an eine angrenzende Mühle leitete. Die Seerosen und andere Pflanzen am Rand unterstrichen dieses Idyll. Das Wasser war frisch, aber nicht zu kalt und da wir kein Badezeug dabei hatten zogen wir uns aus und genossen diese herrliche Erfrischung. Dabei kamen wir uns nahe und ganz scheu und ehrfurchtsvoll berührten sich unsere Lippen. Plötzlich explodierten unsere Gefühle und trafen uns mit erheblicher Wucht und wir glaubten uns auf einem Vulkan. Es wurde uns zu eng im Wasser und wir begaben uns auf die Wiese. Bald waren wir eng umschlungen und spürten unsere Körper bis zur Ekstase. Am nächsten Tag war ich wieder bei der Schleuse, doch das Mädchen kam nicht, auch am übernächsten nicht. So oft ich auch noch diesen Ort aufsuchte, ich sah es nie wieder. Wir zogen nochmals weg, wieder zurück in die Stadt. Ich hatte andere Weggefährten, die ich aber nicht so schätzte und so begann ich mich nach geeigneteren Freunden umzusehen. Da war einmal Justi, sie wohnte gleich nebenan. Wir kamen uns nahe beim Brunnen, von wo wir Wasser holten und trafen einander fast täglich dort, plauderten und waren uns gewogen. Obwohl ich um einiges jünger war als sie, hatte ich den Eindruck, sie beginnt mich immer stärker zu umgarnen und versucht mich in ihr Nest zu locken. Auch hatte ich oft Post von Mädchen, denen ich begegnet war, doch Mutter hatte den Schlüssel zum Postfach und gab die Briefe nicht heraus. So hatte ich keinen Kontakt zu Mädchen, nur Justi zog das Netz immer enger. Eines Abends klopfte sie an die Tür, begehrte mit einem simplen Vorwand Einlass kurz danach balgten wir uns, landeten zuerst auf dem Sofa und danach am Boden. Zu allem Unglück kam Mutter nach Hause, die uns beide in dieser Lage sah und uns aus der Wohnung wies. Des Daches über dem Kopf entledigt, suchte ich zuerst Unterschlupf bei Justi, doch das war mir bald zu gefährlich. Sie hatte Panik keinen geeigneten Mann mehr zu finden, um noch Mutter zu werden und ich wollte mich nicht mit Justi vermählen. So zog ich auch bei Justi aus und suchte eine Garçonnière. Schuftete jeden Tag in einer Werkstätte. Da fiel mir ein blondes Mädchen auf. Es trug ein schwarzes Kostüm, kam gerade von der Rauchpause und ich dachte mir: Nur nicht diese Schlampe! Es kam anders. Das Mädchen lud mich etwas später zum Fünfuhrtee zu sich und ich fand es sehr attraktiv und sympathisch. Wir tranken Tee, knabberten Kekse und erzählten so vor uns hin. Es kam der Mai und es blieb bei dieser einen Einladung. Ich fühlte, wie die Gedanken zu kreisen begannen und mich immer mehr beherrschten. Ich bedrängte das Mädchen, machte ihr einen Heiratsantrag, doch es ließ mich abblitzen. Ich wurde daraufhin von unsagbar qualvollen Herzschmerzen befallen und die Gedanken waren nicht mehr zu ertragen. Ich glaubte mich davon befreien zu können, wenn ich mich in der Werkstätte vor meine Maschine kniete und betete, denn ich war zu dieser Zeit sehr gläubig und in der Glaubensgemeinschaft praktizierten wir öfters diese Form des Kniens beim Beten. Der Meister fand mich, als er noch seine Runde ging und da ich in dieser Haltung verharrte, rief er den Sanitäter, der mich in die Klinik brachte. Die Herzschmerzen sind heute zwar verschwunden, doch die Gedanken an dieses Mädchen nicht. So nehme ich seit Jahren Medikamente gegen diese Sehnsucht, die von enormen Herzschmerzen begleitet war und infolge eine Bipolare Störung hervorrief.

       Trink aus!

      Julie ergreift nach meiner Erzählung das Wort: „Ich habe ja gewusst, du bist ein Steiger. Aber jetzt sollst du kräftig essen.“ „Du machst mir ein Essen, Julie? Fein, was gibt es heute?“ „Ich mache dir eine Eierspeise aus 5 Eiern.“ „Warum das?“ „Ich bereite dir jetzt deine Henkersmalzeit, damit du für deine Reise über den Fluss Lethe gerüstet bist. Heute Abend wirst du sterben! Zumindest wollen wir es versuchen. Wir machen es dieses Mal ganz anders.“ „Wie?“ „Das wirst du dann schon sehen. Zuerst musst du gut essen, es ist deine letzte Mahlzeit.“

      „Ich dusche mich noch vorher.“ „Ja tu das. Damit du als Leiche rundherum schön bist. Ich möchte mich nicht mit dir blamieren müssen. Setz dich aufs Bett und dann leg dich auf den Rücken! Ja so ist es gut. Lege deine Hände an, so wie die Haltung der Soldaten bei der Befehlsausgabe. Hände an die Hosennaht, damit ich mich bequem auf dich setzen kann und du dir nicht weh tust und nicht herumfuchteln kannst. Ich setze mich, wie eine Spinne auf dich, du brauchst keine Panik haben, es ist gleich vorbei. So, ist das angenehm für dich? Spürst du jetzt meine Mitte? Spürst du den heißen Kelch, ja noch etwas mehr zu mir. Trink jetzt daraus, er schmeckt ein bisschen bitter, aber das ist gleich vorbei. Spürst du die ausströmende Glut? Gib mir ein Zeichen indem du versuchst den Kopf zu heben. Ja, so ist es gut Ich drücke mich noch fester an dich. Du sollst dich nicht mehr bewegen können. Gib noch ein Zeichen, ja, das geht gut. Herrlich das Gefühl dich so nah bei mir zu spüren. „Trink!“ „Ahh“ „Trink ihn leer, den Kelch.“ „Schluck. Grumpf!“ „Ja, das macht Spaß. Soll ich dir ein bisschen Verschnaufpause lassen? Nein eher nicht, das wäre nur Quälerei. „Schlürf! Ja, so ist es schön. Schlürf wie eine Auster.“ „Grumpf. Grumpf.“ „Komm, ein bisserl geht schon noch!“ „Grumpf. Grumpf. Grumpf.“ „Das ist schön, deine Bauchmuskeln reichen nicht aus, um mich abzuwerfen. Ich bin auch ein bisschen durchwachsen und du bist untrainiert, darum geht es recht flott ins Grab. Wir alle müssen dorthin, aber wir haben es nicht so schön wie du. Du kannst mir dankbar sein.“ „Gru. Gru.“ „Ja, gleich sind wir am Ende, deine Beine zappeln noch fuchtig, doch gleich ist es vorbei. Was hast du nur, ist er nicht schön, dein letzter Akt. Nur noch ein bisschen durchhalten und die Spinne leert dich aus. Ein ganz kleinwenig noch und es kehrt Ruhe ein in deine Beine. So es ist vollbracht.“ „Chahaha.“ „Nicht mehr. Du zappelst nicht mehr. Ausgezappelt, Zappelphilipp. Du gibst dich auf. Herrlich! Das Projekt ‚Mord Legal‘ ist geglückt. So mag ich es gerne. Ein Mann, der vor mir sein Leben darbietet. Das ist schön und ergibt eine tolle Geschichte. Ich habe dir ja gesagt, es ist bald vorbei. Nun, zum Abschied kommt, was ich dir versprochen habe, ich tätschle dich noch ein aber ganz liebevoll, du kleiner Hampelmann. Auch wenn du nichts mehr fühlst und spürst, das Klatschen meiner ‚Nippeln‘ soll dir Ersatz für die Totenglocken sein. Dein Leben war schön, hat dir Freude bereitet und dein Sterben war fast schmerzlos und vor allem sehr kurz, du wolltest doch immer gesund sterben.“ Ich möchte auf die Straße laufen und vor Freude Heureka in die Nacht hinausschreien und tanzen. Ich habe mir das Projekt „Mord Legal!“ ausgedacht und dann wurde es, wie ein Kind, einfach geboren.