Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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sie viel zu faul sind, etwas eigenhändig zu tun, fehlt ihnen die Fähigkeit, ihre Zuflucht zu verlassen und sich in unserer Welt zu bewegen, egal, ob sie auf ihren schwarzen Zossen unterwegs sind oder auf ihren geflügelten rasierten Riesendackeln. Also, Streichler: Wessen Hand werden sie sich bedienen? Wer sind ihre irdischen Paladine

      »Du wirst es nicht mehr verhindern können. Rette so viele du kannst.«

      »Blödsinn! Natürlich werden wir es verhindern können. Wir können es immer verhindern. Das ist so Tradition«, rief Schwurbelbart erbost.

      Streichlers Hände krallten sich in die staubigen Lehnen des gewaltigen Chintz-Sessels. Sein Kopf begann wieder haltlos hin und her zu pendeln. »Hüten Sie sich in Geldangelegenheiten vor Gebrauchtwagenhändlern«, murmelte er unbestimmt. »Die beste Zeit für die Liebe ist nächsten Donnerstagnachmittag zwischen der Tagesschau und dem Beginn des nachfolgenden Fußball-Länderspiels.«

      »Scheiß Horoskop«, knurrte Schwurbelbart. »Das habe ich nicht bestellt.«

      »Der Krieger Mars steht im Haus Jupiters. Doch keine Bange, liebe Astrologiefreunde, der Aszendent Rottweiler steht hinten im Garten und hält die Wacht. Er wird Mars den Pöter aufreißen.«

      »Mumpitz!«, rief Schwurbelbart. »Erzähl mir gefälligst etwas über die Naspuhl! Wofür bezahl ich dich?«

      »Und zum Schluss das Wetter: Nach Durchzug einer Gewitterfront in den Abendstunden ist das Hereinbrechen der Nacht nicht auszuschließen. Die weiteren Aussichten: leicht unbeständig.« Streichlers Augen verblassten allmählich. »Vielen Dank, dass Sie Dirk Streichlers Orakeldienst gewählt haben. Für die Nutzung des Dienstes nach 20 Uhr werden Spätzuschläge berechnet.« Streichlers Kopf sank zur Seite und kurz darauf verrieten gleichmäßige Atemzüge, dass er eingeschlafen war.

      Schwurbelbart ließ resigniert die Schultern fallen und seufzte. Er wusste, wenn Streichler erst einmal dieses Stadium fortgeschrittener Entspannung erreicht hatte, brachte ihn so schnell nichts ins Bewusstsein zurück.

      Was nun? Nervös zwirbelte der Direktor einzelne Strähnen seines lästigen Wallbartes zwischen den Fingern seiner Rechten. Mit einem letzten Blick auf das Orakel wandte er sich schließlich ab und eilte zur Tür. Es war Eile geboten. Das Beste wäre, für morgen früh sogleich den Schulrat einzuberufen und Gegenmaßnahmen zu beraten.

      Er hatte bereits die Hand auf die Türklinke gelegt, als Streichlers Stimme, diesmal ungewohnt kalt und präzise, ihn plötzlich erstarren ließ.

      »Es ist der Gelbe«, brachen sich die Worte aus Streichlers Mund Bahn. Eisig, scharf, so als seien es gar nicht seine. Er hatte sich aufgerichtet, die weit aufgerissenen Augen nach vorne gerichtet, starr, aber blicklos. Der Direktor ging langsam auf Streichler zu. Er wagte nicht, ihn anzusprechen, ihn anzurühren, oder sonst irgendwie zum Weiterreden zu bewegen, obwohl ihn die Anspannung schier die Luft anhalten ließ.

      »Ich sehe den Gelben«, wiederholte Streichler schneidend. »Er ist hierher unterwegs. Eile ist geboten! Du weißt, was du zu tun hast, Ambos Schwurbelbart. Das Land ist in Gefahr.«

      »Aber ich ...«

      »Hol den Jungen! Den Jungen ..., du weißt schon welchen. Den Jungen mit dem Blitz auf der Stirn. Und jetzt ...«, er fiel zurück in den Sessel, seine Stimme verschwamm, »jetzt, hlps, hätte ich gerne was zu trinken.«

      3

      Ambos Schwurbelbart, ausführender Direktor der Zaubererakademie Hochwärts, hob sein Frühschoppenbier vom Kneipentisch, hielt es ins diffuse Licht der staubverkrusteten Öllampen, und starrte sinnierend hindurch.

      »Dann ist es also wahr, Ambos?« Conserva McGummiball, stellvertretende Direktorin der Akademie, rückte nervös ihre Brille zurecht.

      »Ja, Conserva«, nickte Direktor Ambos Schwurbelbart, setzte sein Bierglas ab, sammelte einige verlorene Haare seines gewaltigen grauen Bartes heraus und schaute besorgt in die Runde. »Leider ist es wahr. Die guten Nachrichten, aber auch die schlechten. Es ist die Gemeinschaft der neun Übel, die sich gegen uns erhebt. Kein Leben wird vor ihnen sicher sein. Sie werden Finsternis und Verzweiflung über das Land bringen, Anwohnerparkzonen einrichten und, wenn es ganz dicke kommt, sogar die Öffnungszeiten für die Weihnachtsmärkte verkürzen und ›Gute Zeiten schlechte Zeiten‹ absetzen.«

      »Die neun Übel?«, fragte Professor Margarina Kraut, ihres Zeichens Fachhexe für magische Flora und Fauna an der magischen Akademie Hochwärts, dessen Schulrat hier an diesem sonnigen Mittag konferierte.

      »Huchnein«, machte Professor Zerberus Ziep, ein weiteres Mitglied des Schulrates, und hielt sich die Hände vors Gesicht.

      »Was waren jetzt eigentlich die guten Nachrichten?«, fragte Professor McGummiball.

      »Ähm, ich hatte gehofft, das ergäbe sich noch irgendwie.«

      McGummiball schnaubte missvergnügt. »Nun gut, belassen wir es dabei. Diese neun Übel, Ambos … Wer sind sie?«

      Alle am Tisch sahen den Direktor mit fragenden Gesichtern an. Das heißt, bei zwei Personen, die sich so weit auf ihren Stühlen zurückgelehnt hatten, dass ihre Gesichter unkenntlich im Schatten des Kneipendunkels lagen, und die ihre Teilnahme am Schulrat nur durch gelegentliches Nippen an ihren Getränken bekundeten, konnte man höchstens raten, ob ihre Gesichter gerade fragend waren. Dirk Streichler jedoch, des Direktors vielsagendes Orakel, der bisher mit auf den Armen liegendem Kopf fest geschlafen hatte, fuhr bei McGummiballs Frage hoch wie vom wilden Dämonen gebissen und starrte McGummiball mit irrlichternden Augen an. »Die Neun?«, schrie er hysterisch. »Wer die Neun sind, fragt Ihr?« Er schaute sich gehetzt um und dämpfte die Stimme. »Fürchtet Ihr euch?«, flüsterte er. »Nun, das solltet Ihr auch. Es sind die Nassguh... Nass..., nein, Naspuhl, ja, so war 's. Die Naspuhl! Einst waren sie, hlps – M...menschen, doch jetzt sind sie Geister ... Ring... Ringgeister, ähm, G-Geisterringer! Ja, Ringer. Die ringen und ringen und ... ähm, hauen Euch den Kopf zwischen den Ohren raus. Jawohl.« Er sank zurück auf die Tischplatte.

      »Huchnein«, japste Zerberus Ziep erneut. »Welch Auftritt! Wer ist dieser staubige Kerl eigentlich?« Der Professor rümpfte empfindsam die Nase.

      In der Tat war Streichler heute noch um einiges derangierter als am Vorabend, als er dem Direktor seine Weissagung über die dem Land drohenden Gefahren gemacht hatte. Er sah aus, als sei er zwischendurch weit und lange gereist, viel, viel länger, als die geringe Anzahl an Stunden, die seitdem vergangen waren, vermuten ließ, und als habe er während dieser Zeit weder Wasser und Seife noch ein Bett zu Gesicht bekommen: das schwarze Haar um mehrere Zentimeter gewachsen, lang und strähnig wie die Ohren eines Cockerspaniels, der im Regen gestanden hatte, die Bartstoppeln struppig und verkrustet, der lederne Reiseumhang an vielen Stellen eingerissen und so speckig, dass er im schummrigen Licht der staubigen Petroleumlampen glänzte. Jedes Mal, wenn er schnarchend einatmete, sog er außer rauchgeschwängerter Kneipenluft eine seiner langen Haarsträhnen mit ein und hustete im Halbschlaf.

      »Das ist Labergrog, Laberthrons Sohn«, erklärte Schwurbelbart mit gesenkter Stimme. »Er war in der vergangenen Nacht noch für mich unterwegs, um aktuelle Informationen zu sammeln.«

      »Das ist Labergrog, der Nachkomme Isoliers und Thronerbe Gondels?«, fragte McGummiball skeptisch.

      »Naja, davon ist er jedenfalls selbst felsenfest überzeugt«, sagte Schwurbelbart, »aber eigentlich ist er ein Nachkomme Klementines, der Wäscherin unten an der Ecke, und Thronerbe von Ostwestfalen. Und er ist staatlich geprüfter Waldläufer und der Betreiber des Orakelservices ›Mysteryscout24‹. Sein richtiger Name ist Dirk Streichler.«

      »Waldläufer? Sieht mir eher aus wie ein Quartalssäufer. Ist er denn überhaupt vertrauenswürdig?«

      »Unbedingt«, sagte Schwurbelbart im Brustton der Überzeugung. »Man sollte lediglich die Hand auf der Brieftasche lassen, wenn er wach ist.«

      »Na schön«, murmelte McGummiball und klang wenig überzeugt, »berichtigen Sie mich, wenn ich was Blödes sage, aber haben streng genommen