Thay Phap Nhat

Da sein, Erkennen, Lieben


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versuchen, dann werden wir die wahre Natur der Dinge erkennen können. Dann können wir die erleuchtenden Lektionen lernen, die das Leben uns in jedem Moment zu bieten hat.

      Wenn wir die Dinge weder festzuhalten noch wegzuschieben versuchen, dann fließen wir mit dem Strom des Lebens. Wir werden nicht mehr in den drei vergiftenden Geisteszuständen gefangen genommen. Diese drei vergiftenden Geisteszustände sind Gier, Hass und Verblendung. Wenn wir alle gegenwärtigen Phänomene bewusst anschauen, dann erlangen wir klare Einsicht. Diese Einsicht kann die Energie der Gier und der Verblendung transformieren. Wenn Gier in unserem Geist aufkommt, dann haben wir die Tendenz, dies leugnen zu wollen. Wenn wir die Dinge nicht länger festhalten und auch nicht vermeiden, dann werden wir die Geisteszustände der Gier und des Hasses transformieren können. Wenn die Energien der Gier, des Hasses und der Verblendung schrumpfen, dann werden unser Mitgefühl und unsere Weisheit wachsen. Menschen, die viel Mitgefühl und Weisheit haben, sind mit Sicherheit glücklich.

      Wenn wir zum gegenwärtigen Moment zurückkehren und die Dinge, die gerade geschehen, bewusst wahrnehmen, dann praktizieren wir in diesem Moment Meditation.

      Eine schwierige Meditation ist keine echte Meditation.

      Sei achtsam beim Stehen und Gehen,

      Halte nichts fest und schiebe nichts weg!

      So brauchst du vor nichts mehr zu fliehen.

      Das Tod-lose Selbst

      Wenn wir bereits in der Lage sind, alle Phänomene achtsam und bewusst wahrzunehmen, dann werden wir den Strom von Geburt und Tod erkennen. Wir werden die Wandlungsprozesse in unserem Körper, in unseren Empfindungen und in unseren Geistesformationen erkennen und wir werden sehen, wie sie in unserem Bewusstsein erscheinen und wieder verschwinden. Wir werden den kontinuierlichen Wandel der Dinge sehen. Wir werden ganz bewusst beobachten, wie unsere Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist in Berührung kommen mit den sechs Arten von Sinnesobjekten, welche da sind Form, Klang, Geruch, Geschmack, Berührbares und Geistesobjekte.

      Genau inmitten der Dinge, die sich da ständig ändern, die in jedem Moment sterben und neu geboren werden, erkennen wir noch etwas anderes, etwas, das nicht geboren wird und nicht stirbt. Dieses Etwas bildet die Grundlage für alles Geboren-werden und Sterben, für alles Kommen und Gehen in den Fünf Skandhas [Anmerkung der Übersetzerin: Die Fünf Skandhas sind Körper, Gefühle, Wahrnehmungen, Geistesformationen und Bewusstsein. Sie sind die Bestandteile unseres „Selbst“, welches jedoch eine Illusion ist]. Genau dieses Etwas, das nicht geboren wird und nicht stirbt, das jedoch jederzeit genau weiß, was gerade passiert, ist in jedem von uns verfügbar. Es ist unser „Wahres Selbst“. Sterben geschieht, weil Geburt geschieht. Unser wahres Selbst wurde jedoch niemals geboren – demzufolge kann es auch nicht sterben. Wenn wir dieses unsterbliche Selbst in uns erkennen, dann sind Geburt und Tod im Leben und in unseren Fünf Skandhas nur noch Objekte unserer Wahrnehmung, die wir beobachten wie alle anderen Phänomene auch. Wenn wir hier angelangt sind, dann haben wir die Quelle der Glückseligkeit und des Friedens in unserem Inneren gefunden. Wir sind ganz ruhig und still, und gleichzeitig strahlen wir beständig einen tiefen Frieden aus. Wir sind ganz still, doch wir können alle Dinge ganz klar erkennen. Wir schauen stets hin, wir wissen, was geschieht, und wir lassen das, was wir gesehen haben, sofort wieder los. Wir lassen es los, doch in Wirklichkeit müssen wir gar nicht loslassen, denn die Phänomene haben tatsächlich noch nie an etwas gehaftet, und sie wurden auch niemals an einem bestimmten Ort festgehalten. Stattdessen weilen alle Phänomene stets in sich selbst, vollkommen präsent, vollkommen rein.

      Wir brauchen nur die unsterbliche Person in unserem Inneren zu erkennen, dann werden wir immer glückselig und friedlich verweilen im Angesicht des Kommens und Gehens, im Angesicht der Geburt und des Todes der Fünf Skandhas.

      Wenn immer man im Geist erwägt

      Der Daseinsgruppen Auf- und Untergang,

      Erlangt Verzücken man und Glück:

      Der Kenner nennt‘s das todlos‘ Reich.

      Dhammapada - Vers 374

      Das Leben berühren

      Wir können die Last unserer Sorgen und unseres Grams sofort hier und jetzt loslassen!

      In unserem täglichen Leben gibt es viele Hürden, wir müssen uns oft sehr anstrengen und wir sind sehr beschäftigt. Wir haben nicht die Zeit, still zu sein und mit uns selbst in Berührung zu kommen, um unser wahres Selbst wiedererkennen zu können. Wir haben unser ganzes Denken und unsere Kraft in scheinbar nutzlose Dinge investiert.

      Oftmals bereuen wir Dinge, die wir in der Vergangenheit getan haben und machen uns Sorgen um das, was in der Zukunft kommen könnte. Aber was vergangen ist, ist schon vorbei, und was in der Zukunft passieren wird, ist ungewiss. Trotzdem lassen wir uns von diesen Sorgen davontragen, wir bedauern Dinge aus der Vergangenheit, wir leiden unter körperlichen oder emotionalen Schmerzen im gegenwärtigen Moment, oder wir beschäftigen uns mit unseren Projekten und Sorgen über die Zukunft. Auf diese Weise verpassen wir den wunderbaren, kostbaren gegenwärtigen Moment. Wir verpassen das Leben.

      Wir verpassen das Leben, weil wir nicht im gegenwärtigen Moment verweilen. Das Leben ist nur im gegenwärtigen Moment verfügbar, im Hier und Jetzt. Das Leben ist gegenwärtig in genau diesem Moment, während du diese Zeilen liest, bei vollem Bewusstsein, mit gesammeltem Geist. Wenn wir zum Leben zurückkehren, dann kehren wir zurück zu unserem wahren Selbst, zu unserem präsenten Ich, das niemals zerstreut ist, sondern stets gesammelt im gegenwärtigen Moment verweilt.

      Der gegenwärtige Moment ist das Tor, durch das wir in die Welt der Wirklichkeit eintreten. Die Wirklichkeit ist stets wundervoll und sehr lebendig. Der blaue Himmel, die weiße Wolke, die grüne Weide, das Rauschen des Windes in den Blättern eines Baumes sind alles Türen, durch die wir in den gegenwärtigen Moment eintreten können, Pfade, auf denen wir zur wunderbaren Wirklichkeit gelangen. Wir brauchen nur einen Moment, in dem wir uns entschließen, wirklich zu leben und die Tür zur Gegenwart zu öffnen – und schon werden wir die Welt mit völlig anderen Augen sehen.

      Selbst die kleinsten Dinge sind heilig und von glänzender Schönheit. Wenn du die Landschaft betrachtest, in der du lebst, wirst du plötzlich ein Paradies vor deinen Augen sehen. Du wirst in eine Welt der Freude und des Glücks eintreten. In dieser Welt gibt es keinen Kummer. Du wirst zu einer freien Person werden. Die Bürde deiner Sorgen und deines Grams werden ganz von selbst verschwinden.

      Das Leben mit liebevollen Augen betrachten

      In diesem unübersichtlichen, sorgenvollen Leben sind wir manchmal nicht mehr Herr unserer selbst. Manchmal werden wir von Schwierigkeiten, Trübsinn, Wut, Angst oder Unzufriedenheit davongetragen. Wenn diese emotionalen Energien an uns zerren, dann sind wir nicht mehr wir selbst.

      Ich unterrichte das Dharma [die Lehre des Buddha] an vielen Orten, ich komme mit vielen verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft in Kontakt. Von Inhaftierten in einem Gefängnis über Menschen des Bürgertums, Angestellte und erfolgreiche Unternehmer bis hin zu Politikern… jeder von ihnen hat den gleichen grundlegenden Wunsch: Glücklich und friedlich leben zu können. Welches Ziel auch immer sie verfolgen, sie hoffen alle, dass sie nach Erreichung dieses Ziels glücklich und zufrieden sind. Wenn sie jedoch erreicht haben, was sie wollten, dann empfinden sie oft lediglich eine kurzfristige Befriedigung. Sie werden nicht wirklich glücklich, und häufig erleben sie parallel zu dieser Befriedigung eine gewisse Energie der Unruhe in sich.

      Wenn ich mit den Menschen in Kontakt trete, schaue ich ihnen in die Augen. Oftmals sehe ich, dass in ihren Augen nicht mehr viel Aufrichtigkeit, Reinheit, Licht und Liebe zu erkennen ist. Stattdessen sehe ich Sorgen, Wut, Feindseligkeit, Unsicherheit und Zweifel.

      Ein altes vietnamesisches Sprichwort lautet: „Die Augen sind das Fenster zur Seele“. Aus meiner Sicht ist das absolut wahr. In den Augen spiegeln sich alle unsere Gedanken, Wünsche und Gefühle wie z.B. Angst, Zorn, Trauer, Kummer, aber auch Freude und Vergnügen. Sogar unsere Pläne, die wir in der Zukunft verwirklichen wollen, sind in unseren Augen