Oliver Speier

Lykanta


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Daniel, du bringst Madame Lykanta zu Tisch vier. Danach kommst du direkt zu mir und nimmst die Bestellung auf. "

      Daniel bekam bei meinem Namen große Augen. Er wurde noch aufgeregter, was mich vermuten ließ, dass man wohl auch beim Küchenpersonal über die Vorkommnisse der letzten Tage gesprochen hatte. Mit zügigen Schritten eilte er durchs Lokal und ich hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten. Beim Tisch angekommen zog er den Stuhl nach hinten, um mir beim Hinsetzen zu helfen. Erst als er aufblickte, bemerkte er, dass ich eben dabei war meine Jacke auszuziehen. Erschrocken dies übersehen zu haben, verließ er seinen Platz, um mir zu helfen. Dabei blieb er jedoch am Stuhlbein hängen und stolperte aufschreiend auf mich zu. Total überrumpelt konnte ich den Zusammenprall nicht verhindern. Beide verloren wir das Gleichgewicht und stürzten zu Boden. Ich knallte recht unsanft auf meinen Hintern. Daniel kam auf mir zu liegen, sein Gesicht zwischen meinen Brüsten vergraben.

      Nach dem ersten Schrecken, drückte er sich nach oben und sprang panisch auf. Aufgeregt und mit hochrotem Gesicht versuchte er mich aufzurichten. Sämtliche Gäste blickten zu uns herüber und er wirkte durch all die Aufmerksamkeit immer verzweifelter, vor allem, da ich keine Anstalt machte aufzustehen.

      Mir war nicht viel passiert und beim Anblick seiner verzweifelten Mimik, musste ich plötzlich lachen. Im Gang entstand Unruhe, als Pierre mit hochrotem Gesicht auf uns zueilte. Seinem Gesichtsausdruck nach, hatte Daniel nichts Gutes zu erwarten. Bevor er uns erreicht hatte, rappelte ich mich auf und stellte mich schützend vor den jungen Kellner, der zitternd hinter mir Deckung suchte. Pierre blieb vor mir stehen und schaffte es dabei aufgebracht und zugleich zerknirscht zu erscheinen.

      " Madame, ist ihnen irgend etwas geschehen? Ich bin untröstlich über das Geschehen und werde umgehend dafür Sorge tragen, dass dieser unfähige Kerl aus dem Verkehr gezogen wird. Das Essen geht selbstverständlich aufs Haus. Sollten sie Schmerzen haben und ärztliche Behandlung benötigen, zögern sie nicht, diese in Anspruch zu nehmen und uns die Rechnung zu schicken. "

      Klang er bis jetzt noch besorgt und entschuldigend, änderte sich sein Tonfall schlagartig, als er um mich herumblickte und den Jungen ins Visier nahm.

      " Was dich betrifft. So etwas ist mir in meiner fast fünfzigjährigen Karriere noch nicht untergekommen. Du kannst dich auf einiges gefasst machen und von dem Job hier kannst du dich erst mal verabschieden. Du kannst froh sein, wenn ich dich noch bei der Küchenarbeit helfen lasse. "

      Pierre redete sich immer mehr in Rage. Das gesamte Lokal starrte mittlerweile in unsere Richtung. Daniel wirkte total eingeschüchtert. Blass und zitternd stand er hinter mir und zuckte bei jedem Wort von Pierre zusammen. Diese Seite an Pierre war mir neu. Wenn es wohl um Perfektion bei der Arbeit ging, kannte er kein Pardon und schien ein eisernes Regiment zu führen. Ich entschloss mich schlichtend einzugreifen. Beruhigend legte ich Pierre eine Hand auf die Schulter.

      " Pierre, sie deuten da etwas total falsch! Der arme Junge hat versucht mich vor einem Sturz zu bewahren, als ich das Gleichgewicht verlor. Dabei habe ich ihn mit umgerissen. So gesehen, bin eher ich Schuld an dem ganzen Dilemma. "

      Pierre blickte mich misstrauisch an, ehe sein Blick zu Daniel wanderte und diesen mit stechenden Augen fixierte. Der junge Kellner machte den Anschein gleich in Tränen ausbrechen zu wollen. Man sah Pierre an, dass er meiner Aussage keinen Glauben schenkte, doch er befand sich in einer Zwickmühle. Er konnte mir vor den anderen Gästen wohl kaum widersprechen. Dadurch würde er mich praktisch der Lüge bezichtigen. Er atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen.

      " Nun gut, dann entschuldige ich mich für meinen Ausbruch. Trotz alledem geht ihr Essen heute jedoch aufs Haus. "

      Er ratterte eine Bestellung herunter und ließ sie von Daniel wiederholen, ehe er ihn zur Küche jagte. Nachdem er mir beim Hinsetzen geholfen hatte, entschuldigte er sich noch mehrmals für das Geschehen, ehe er sich mit energischen Schritten in die Küche begab. Dort würde Daniel wohl doch noch einiges zu hören bekommen. Ich schaute unauffällig in die Runde. Die Gäste hatten sich wieder ihren Gerichten zugewandt, doch ich bemerkte den ein oder anderen Blick in meine Richtung. Da hatte ich wieder einmal unverschuldet für Gesprächsstoff gesorgt.

      Nach einiger Zeit erschien Daniel mit einer Weißweinflasche. Zwar wirkte er noch immer recht mitgenommen, jedoch nicht mehr ganz so blass. Er entkorkte die Flasche und schenkte mir etwas davon in ein Glas ein. Ich hatte von Weinen absolut keine Ahnung, nippte jedoch daran und gab mein Ok. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass der Wein etwas säuerlich wäre, doch zu meinem Erstaunen schmeckte er recht süß.

      Als er mir das Glas nachschenkte, konnte ich sehen wie seine Hand dabei zitterte. Der arme Kerl war wohl noch immer durch den Wind. Um ihm zu zeigen, dass ich ihm nicht böse war, legte ich ihm meine Hand auf den Arm und lächelte ihn freundlich an. Hatte ich geglaubt ihn dadurch zu beruhigen, sah ich mich getäuscht. Er sog erschrocken die Luft ein und zuckte zurück. Dabei verschüttete er etwas Wein, was ihn ängstlich zur Küche blicken ließ. Schnell zog ich meinen Arm zurück, um ihn nicht noch mehr zu erschrecken. Das anschließende Essen verlief ohne weitere Zwischenfälle und war, wie erwartet, sehr gut. Ich hätte gerne verschiedene Gerichte hinterfragt, verzichtete aber darauf, um Daniel nicht noch mehr zu verunsichern. Als ich mit dem Essen fertig war, hatte ich drei Gläser Wein getrunken. Ich fühlte mich leicht und beschwingt. Nicht mehr ganz nüchtern, jedoch auch noch nicht betrunken. Doch ich spürte, wie mir der Alkohol langsam zu Kopf stieg. So hob ich schützend die Hand über mein Glas, als Daniel erneut nachschenken wollte. Belustigt kicherte ich.

      " Lieber nicht, sonst lande ich heute noch ein zweites mal auf meinem Hintern. "

      Daniel fand meine Äußerung wohl nicht so amüsant, denn er verzog dabei keine Miene. Um den Kerl nicht weiter zu quälen, verlangte ich die Rechnung. Wie Pierre schon angekündigt hatte, wurde dies jedoch von Daniel verweigert. Ich versuchte zwar mehrmals ihn umzustimmen, doch er blieb stur. Mit einem Kopfschütteln kapitulierte ich schließlich und stand auf, um meine Jacke anzuziehen. Daniel trat hinter mich und hielt sie mir. Dabei überraschte er mich, als er nach meiner Zimmernummer fragte. Mir war zwar nicht klar, wofür er sie brauchte, doch vielleicht musste die Ausgabe irgendwie verbucht werden. Ich nannte sie und er verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken von mir.

      Pierre schien auf mich gewartet zu haben, denn er eilte mir auf halbem Weg entgegen, um zu fragen, ob die Menüauswahl für das Geschehen entschädigt hatte. Bei meinen begeisterten Worten zu seiner exquisiten Speise- und Weinauswahl, reckte er sich zufrieden. Mein Lob vor den Gästen schien ihm mehr als gut zu tun. Er hatte schon fast Tränen in den Augen, als er meine Hand ergriff und einen Handkuss darauf platzierte.

      Lachend entzog ich sie, was ihn bestürzt aufblicken ließ. Vom Alkohol beschwingt beugte ich mich vor.

      " Wir sind doch Freunde Pierre. Da macht man das so! "

      Ich beugte mich zu ihm und gab ihm zwei Küsschen auf die Wange. Seine Bestürzung verschwand und machte einem erfreuten Gesichtsausdruck Platz. Gleichzeitig trat ein listiges Glitzern in seine Augen.

      " Nun, wenn das so ist, müssen wir bald mal Verbrüderung trinken! ", meinte er mit einem spitzbübischen Lächeln.

      Kichernd richtete ich mich auf.

      " Gerne, aber nicht heute. Ich fühle mich schon leicht beschwipst, da sollte ich nichts mehr trinken. "

      Er nickte verstehend und schien über meine ausweichende Antwort nicht böse zu sein. Gut gelaunt begleitete er mich zum Ausgang. Kurz bevor ich das Restaurant verließ, zog ich noch einen fünfzig Euroschein aus meinem Geldbeutel und stopfte ihn in das Glas mit Trinkgeld. Pierre wirkte recht Verlegen dabei, doch ich ignorierte ihn gekonnt. Bei meinem jetzigen Kontostand, war das ein Klacks. Beim Umdrehen bemerkte ich Daniel, der unbemerkt zu uns getreten war und das Ganze schweigend verfolgt hatte. Er wirkte noch immer recht verstört und blickte mich unsicher an. Ich zwinkerte und lächelte ihm beruhigend zu, doch er schien dadurch noch blasser zu werden.

      Tja, da war wohl nichts zu machen. Der Kerl hatte scheinbar richtig Angst vor mir, oder Vampiren im Allgemeinen. Kopfschüttelnd schlenderte ich davon. Wenn er so ein Problem mit Vampiren hatte, war er hier echt am falschen Platz. Vielleicht hatte er auch erst heute hier angefangen und wusste noch nicht viel über