Angelika B. Klein

Schuld, die dich schuldig macht


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schuldig macht

      von Angelika B. Klein

       www.facebook.com/AngelikaB.Klein

      Alle Handlungen und Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Sollten sich einzelne Namen oder Örtlichkeiten auf reale Personen beziehen, so sind diese rein zufällig.

      © 2014 Angelika B. Klein

      Für meine

      geliebten Eltern,

      die meine Erfahrungen

      leider nicht mehr mit mir teilen durften

      PROLOG

      Er spürt, wie das kalte Wasser an seinen Knöcheln emporsteigt. Das gläserne Gefängnis lässt keine Flucht zu. Seine Beine sind mit Fußfesseln am Boden verankert, seine Arme mit Gurten auf seinem Rücken fixiert. Panik kriecht in ihm hoch. Er schaut in ihr Gesicht und sieht, wie sich ihre Tränen einen Weg über ihre Wangen bahnen. Das Wasser steigt immer weiter, schnell und unerlässlich. Es hat bereits seine Knie erreicht. Er möchte ihr noch so viel sagen, aber ihm fallen nicht die richtigen Worte ein. Sie ruft ihm etwas zu, was er jedoch in der mittlerweile übermächtigen Angst, die ihn ergreift, nicht versteht. Das Wasser hat seine Hüfte erreicht.

      Er öffnet seinen Mund, jedoch entweicht lediglich ein schlotterndes Stöhnen seinen Lippen. Das Wasser ist so kalt! Sein ganzer Körper zittert vor Kälte. Ein letztes Mal unternimmt er den Versuch, seine Arme oder Beine von den Fesseln zu befreien. Vergeblich! Das Wasser steht ihm wortwörtlich bis zum Hals. Er würde ihr so gern ein letztes Mal sagen, wie sehr er sie liebt. Er öffnet den Mund und schluckt augenblicklich das einströmende Wasser. Es bleiben ihm nur noch Sekunden, dann bekommt er keine Luft mehr! Ein letztes Mal saugen sich seine Lungen mit Sauerstoff voll, dann steigt der Wasserpegel über seine Nase. Unter Wasser öffnet er die Augen und schaut sie weiterhin an. Plötzlich wird er ganz ruhig. Die Angst und die Panik fallen von ihm ab. Er akzeptiert sein Schicksal. Eine wärmende Ruhe umschließt ihn. Er lächelt sie ein letztes Mal erfüllt von Liebe an, dann schließt er seine Augen und wird von einem schwarzen Nichts umhüllt.

      Kapitel 1

      Laute Rufe reißen mich aus meinen Gedanken. „Mia, Mia!“, höre ich eine Jungenstimme aufgeregt meinen Namen rufen. Ich stürme aus der Hütte und sehe Kojo, der mit seinem jüngeren Bruder auf dem Arm auf mich zugelaufen kommt.

      Mein Blick fällt sofort auf das stark blutende Bein des kleinen Jungen. „Kojo, was ist passiert?“, frage ich besorgt. Ich nehme ihm den sechsjährigen Jungen ab und trage ihn schnell in die Steinhütte, welche als Krankenzimmer umfunktioniert wurde.

      „Tidjani ist auf einen großen spitzen Stein gestürzt. Zuerst wollte er weiterlaufen, aber es hört nicht auf zu bluten!“, erzählt Kojo besorgt. Er macht sich große Sorgen um seinen Bruder. Wenn er mit dem Jüngeren allein unterwegs ist, trägt er, obwohl er selbst erst zwölf ist, die alleinige Verantwortung. Das wurde ihm von seinem Vater eingeschärft.

      Ich lege Tidjani auf das lange Holzbrett, welches auf vier hohe stabile Füße genagelt als Untersuchungstisch dient und betrachte mir sein Bein genau. Oberhalb des rechten Knies klafft eine fünf Zentimeter lange und ziemlich tiefe Schnittwunde, die unaufhaltsam blutet.

      „Kojo, schnell bring mir die Tücher dort drüben.“ Kojo läuft zu dem kleinen Tischchen und reicht mir die frischen aufeinandergestapelten Wundkompressen. Ich bedecke die Wunde mit zwei Tüchern und weise Kojo an: „Drück fest drauf und lass nicht los!“ Kojo legt seine Hand auf die Kompressen und drückt zu. Ein leises Wimmern entweicht Tidjanis Lippen. Ich finde, dass sich der Jüngere ausgesprochen tapfer verhält, angesichts der schmerzhaften Verletzung. In seinen Augen erkenne ich Angst, aber keine Träne verlässt seinen Körper. Ich drehe mich zu meinem Instrumentenschrank um und hole eine Betäubungsspritze, Nadel und Faden sowie Jod. Vorsichtig steche ich links und rechts der Wunde in die Haut und injiziere 2 ml Lidocain. Danach säubere ich die Wunde großflächig mit Jod und beginne, den Schnitt zu verschließen.

      Während ich zügig, aber sorgfältig einen Stich nach dem anderen durchführe, versuche ich Tidjani abzulenken: „Erzähl mir, wie das passiert ist, Tidjani. Wie schaffst du es, in einer Steppe übersät mit hohem Gras auf den einzigen großen Stein zu fallen, der rumliegt?“

      Tidjani schaut mich tadelnd an: „Das war mir vorherbestimmt! Vater sagt, wenn du dich verletzt, will dir die Natur damit zeigen, dass du bereit bist einen weiteren Schritt zu gehen, um ein Mann zu werden. Ich habe nicht geweint. Tapfere Männer weinen nicht!“

      Selbst jetzt, nachdem ich bereits zwei Jahre hier meinen Dienst verrichte, überrascht mich immer wieder die Tapferkeit und der Mut der Jungen und Männer, die zum Teil täglich ihr Leben riskieren, um die Familie und das Dorf zu ernähren.

      Ich bin gerade mit dem letzten Stich fertig und verknote die Enden des Fadens, als ich erneut meinen Namen höre: „Mia, bist du da?“ Abgehetzt erscheint Anna, die 18-jährige Studentin aus Hamburg, die hier ein freiwilliges soziales Jahr absolviert, in der Tür.

      Während ich die frisch genähte Wunde meines jungen Patienten verbinde frage ich: „Was ist los, Anna? Du bist ja ganz außer Atem.“

      Mit kurzen Worten erzählt sie: „Es ist Kefira, es ist bei ihr soweit, du musst schnell kommen!“

      „Kefira? Jetzt schon? Wo ist Mona?“

      Anna schüttelt den Kopf und antwortet: „Die ist in Samroni, bei einer schweren Geburt mit Steißlage“.

      Oh nein! Bitte nicht! Kefiras Geburtstermin ist erst in vier Wochen und Mona ist die einzige Hebamme im Dorf. Ausgerechnet heute ist sie in Samroni, das liegt zwei Stunden entfernt. Ich habe ihr zwar des Öfteren bei Geburten geholfen und auch einiges über die ausübende Kunst der Hebamme gelernt, aber ich war noch nie allein verantwortlich für die Gesundheit von Mutter und Kind.

      Schnell verbinde ich Tidjanis Bein fertig und schaue mich suchend in der Hütte um. Wo ist der Geburtskoffer? Mist, den hat natürlich Mona dabei. Dann muss es eben ohne gehen. Ich eile zur Tür hinaus und laufe zu Kefiras Strohhütte. Anna folgt mir mit ein paar Metern Abstand. Bereits von draußen höre ich das jammernde Stöhnen der werdenden Mutter und trete zügig in den dunklen Raum ein. Jamal, Kefiras Ehemann, steht neben dem Bett und hält besorgt ihre Hand. Sie sind beide erst 19 Jahre alt und es ist ihr erstes Kind, daher wissen beide noch nicht, was auf sie zukommt.

      „Kefira, es wird alles gut, atme ruhig ein und aus“, fordere ich sie auf. An Jamal gerichtet frage ich: „In welchen Abständen kommen die Wehen?“

      Jamal schaut mich mit großen Augen an. Klar, blöde Frage. Hier im Herzen Afrikas, einem kleinen Dorf namens Mandala in Sambia, 200 km von der nächsten größeren Stadt Kabwe entfernt, schert man sich nicht um die Uhrzeit. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als selbst den Abstand zwischen zwei Wehen festzustellen.

      Vorsichtig spreize ich Kefiras Beine und taste mit meinem Finger nach dem Muttermund. Oh mein Gott! Er ist bereits vollständig geöffnet und ich spüre auch schon das Köpfchen, wie es nach unten drückt. In diesem Moment kommt die nächste Wehe und Kefira fängt an zu pressen. Mit einem lauten Schrei hört sie auf und fällt erschöpft und mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihr Kissen. „Kefira, wie lange hast du schon Presswehen?“, frage ich besorgt. Kefira antwortet mir jedoch nicht. Mein Blick sucht Anna: „Anna, seit wann bist du da?“

      Hilflos antwortet sie: „Ich bin ungefähr seit einer halben Stunde da. Ich kam zufällig an der Hütte vorbei und habe sie schreien gehört. Der Dorfarzt war gerade bei ihr, hat aber nach einiger Zeit besorgt den Kopf geschüttelt und die Hütte wieder verlassen. Erst danach hat mir Jamal erlaubt Mona oder dich zu holen.“