Angelika Nickel

Das Mondmännchen


Скачать книгу

toll!«, rief sie begeistert aus.

      »Hab ich dir doch gleich gesagt«, freute Pelle sich, dass seine Schwester sich endlich getraut hatte, ebenfalls über den Rand zu schauen.

      »Warum wollen die Großen dann nur nicht, dass wir Kleinen das sehen, wenn es doch derartig schön ist?«, fragte sie.

      »Ach, was weiß ich. Vielleicht haben sie ja wirklich Angst, dass man über den Rand fallen kann.«

      Sie lächelte ihm zu. »Aber nicht, wenn man nur am Rand liegt und sich festhält.«

      »Endlich hast du es begriffen!« Pelle klopfte seiner Schwester voller Stolz auf den Rücken, während sie immer noch auf ihren Bäuchen lagen und über den Mond hinaussahen.

      2 – Ein schöner Stern

      Unter ihnen schwebten die Sterne. Manche von ihnen funkelten in goldenem Licht. Wieder andere rasten regelrecht unter ihnen hinweg.

      »Ist das schön«, freute Möhre sich, und hatte ihre anfängliche Angst, vollkommen vergessen.

      »Hab ich doch gleich gewusst, dass dir das gefällt. Angsthäschen«, lachte Pelle.

      Möhre hatte einen Stern entdeckt, der in vielen Farben leuchtete. »Schau mal den!«, rief sie erfreut aus. »Wie schön der leuchtet. Und wie viele Farben der hat.«

      »Soll ich ihn für dich fangen?«, fragte Pelle.

      Überrascht huschte ihr Blick zu ihrem Bruder hinüber. »Kannst du das?«

      »Weiß nicht. Kann’s versuchen.«

      »Ich weiß nicht. Ist das nicht gefährlich?« Möhre suchte erneut den bunten Stern mit ihren Augen. Toll wäre es ja schon, wenn Pelle mir den Stern holen würde, dachte sie.

      »Was soll denn daran gefährlich sein?« Pelle lachte laut. »Ich muss doch nur im rechten Moment danach greifen – und schon hab ich ihn.«

      »Wenn das dermaßen leicht ist«, überlegte Möhre erfreut, »dann fang ihn für mich.«

      Pelle beugte sich weiter über den Rand hinaus. Seine Hand fuhr nach unten. Einige Handlängen trennten ihn noch von dem bunten Stern. Er musste zugeben, dass der Stern tatsächlich ein wunderschöner Stern war.

      Pelle rutschte noch ein Stück weiter nach vorne.

      »Pass auf, dass du nicht runterfällst«, rief Möhre erschrocken aus.

      Doch Pelle hörte nicht auf sie. Der Stern war zum Greifen nah. Nur noch ein kleines Stück trennte seine Finger von dem Stern.

      Als Möhre merkte, dass ihr Bruder immer weiter über den Rand hinaus hing, grapschte sie nach ihm und hielt ihn am Hosenbein fest. »Damit du nicht runterfällst«, flüsterte sie.

      Und noch ein Stück rutschte Pelle nach vorne. Mit den Fingern erfasste er den Stern.

      Doch der Stern mochte nicht gefangen sein. Er beeilte sich, eilig weiterzufliegen. Doch darauf war Pelle nicht gefasst. Noch während der Stern an Geschwindigkeit zunahm, rutschte das Mondmännchen von der Mondkante herunter und fiel hinunter auf die Milchstraße.

      »Pelle!«, schrie Möhre, und wurde von ihrem Bruder mit in die Tiefe gerissen.

      Schreiend flogen die Mondmännchen nach unten.

      Den Stern hatte Pelle vor Schreck losgelassen.

      Möhres Finger rutschten von Pelles Hose ab und sie fiel weiter nach unten, dabei entfernte sie sich immer mehr von ihrem Bruder.

      »Möhre!«, rief Pelle ängstlich, als er seine Schwester an sich vorbeifallen sah.

      Möhre drehte sich immer wieder um sich selbst, während sie immer tiefer und tiefer fiel. Zwischen Sternen hindurch. Verzweifelt versuchte sie, einen davon zu grapschen und sich daran festzuhalten. Doch ihre Finger griffen daran vorbei.

      Pelle ruderte mit Armen und Beinen. Er tat alles, um zu seiner Schwester zu eilen. Doch das war nicht einfach, denn er hatte keinen Einfluss auf sein Fallen. Immer wieder rief er den Namen seiner Schwester. Doch von ihr kam keine Antwort.

      Nur noch eine Haarspitze sah er von ihr. Sie wurde immer kleiner und kleiner. Irgendwann sah er sie gar nicht mehr.

      Die Geschwister fielen und fielen, und das alles eines schönen Sterns wegen.

      3 – Die Kuh von der Milchstraße

      Der Sturz der beiden Mondmännchen ging immer weiter. Während Pelle um sich selbst herumpurzelte, kam Möhres Fall immer mehr ins Stolpern bis hin ins Schweben.

      Die Geschwister wirbelten zwischen den Sternen hin und her. Die anfängliche Angst war in Begeisterung umgeschlagen. Pelle versuchte, nach einem der vorbeiziehenden Sterne zu langen, verfehlte aber jeden.

      Möhre hingegen merkte auf einmal, wie sie in der Luft zum Stehen kam. Verwundert schaute sie sich um. Überall standen Kannen mit Milch. »Das muss die Milchstraße sein«, murmelte sie überrascht. Und noch während sie sich umschaute, kam eine Kuh daher getrottet. Die Kuh hob den Blick und schaute sie verwundert an. »Wer bist du denn?«, fragte sie und ließ den Blick nicht von dem Mädchen. »Bist du gekommen, um meine Milch zu stehlen?«

      Möhre hockte unterdessen auf einer der Milchkannen. »Aber nein!«, rief sie empört aus. »Ich bin doch kein Dieb!«

      In den Augen der Kuh schimmerten Zweifel. »Wenn du kein Milchdieb bist, wer bist du dann?«

      »Ich bin Möhre. Ein Mondmännchen«, stellte Möhre sich vor.

      Die Kuh schüttelte träge den Kopf. »Niemals bist du ein Mondmännchen. Mondmännchen, nur damit du das weißt, die wohnen dort oben auf dem Mond.« Ihr Blick schlich hoch zum Mond.

      »Aber von dort komme ich doch!« Möhre stemmte ihre Ärmchen in die Seiten.

      Der Kopf der Kuh wanderte rauf und runter, und wieder rauf. Als sie erneut mit dem Kopf schüttelte, grunzte sie: »Niemals kommst du von dort. Wie willst du denn hier runter auf die Milchstraße gekommen sein. Du erzählst mir doch Märchen. Glaubst anscheinend, dass Kühe dumm sind!« Entrüstet hob die Kuh den Kopf. »Sehe ich vielleicht wie eine dumme Kuh aus!«, brummte sie böse.

      »Das habe ich doch gar nicht gesagt«, verteidigte Möhre sich. »Was kann ich denn dafür, dass du mir nicht glauben willst, dass ich vom Mond gefallen bin.«

      Die Kuh brummte. Wieder kroch ihr Blick von Möhre zum Mond hinauf. »Wie willst du denn von dort hierher gekommen sein?«

      »Das hab ich dir doch gerade gesagt. Ich bin heruntergefallen.«

      »Ich weiß nicht«, begann die Kuh, zu zweifeln.

      »Wenn Pelle da wäre, würde der dir schon sagen, dass ich nicht lüge«, klagte Möhre. Es fehlte nicht mehr viel, und sie fing zu weinen an.

      »Pelle?«, wunderte die Kuh sich. »Wer soll das denn sein?« Sie zwang sich, das Mondmännchen streng anzusehen. »Noch eine, wie du? Eine Lügnerin?«

      »Ich bin keine Lügnerin!«, schrie Möhre und stampfte mit ihrem Füßchen auf. In diesem Augenblick schwebte eine Wolke an ihr vorbei, und sie trat mit ihrem Fuß hinein. Bereits im nächsten Augenblick plumpste sie auf ihren Hintern und schwebte mit der Wolke davon.

      Die Kuh schaute ihr verwundert hinterher. »Wusst‘ ich’s doch, dass du nur meine Milch hast klauen wollen.« Ihre Nasenlöcher bebten. »Trau dich bloß nicht noch einmal hierher. Milchdiebe, die mag man in der Milchstraße nämlich gar nicht leiden«, brummte sie Möhre hinterher, als plötzlich etwas auf ihrem Kopf landete. Sie verdrehte die Augen und schaute nach oben. »Noch einer von euch?«, knurrte sie.

      »Entschuldigung. Ich bin Pelle. Ein Mondmännchen. Habe ich mich an einem Stern festgehalten gehabt. Doch als ich gesehen hab, dass du dich mit meiner Schwester unterhältst, habe ich mich einfach fallen gelassen«,