Dr. Wilhelm Bode

Goethes Lebenskunst


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viel besser gefallen als im engen Häuschen; da sieht man, wie in den Rosen, die seine Fenster umranken, Hänflinge und Grasmücken nisten; da blühen die Malven, Lilien und Kaiserkronen; hohe Bäume stehen in flüsternden Gruppen zusammen, und in ihrem Schatten genießen wir den Blick auf das anmutige Flußthal. „Es ist eine herrliche Empfindung, da haußen im Feld allein zu sitzen. Morgens früh, wie schön! Alles ist so still. Ich höre nur meine Uhr tacken und den Wald und das Wehr von ferne.“1 Das Schloß und die Stadt waren nahe, aber die Bäume des Parks verdeckten sie. Es war, „als sei man in der Nähe eines Waldes, der sich stundenweit ausdehnt. Man denkt, es müsse jeden Augenblick ein Hirsch, ein Reh auf der Wiesenfläche hervorkommen. Man fühlt sich in den Frieden tiefer Natureinsamkeit versetzt, denn die große Stille ist oft durch nichts unterbrochen als durch die einsamen Töne der Amsel oder durch den pausenweise abwechselnden Gesang einer Walddrossel.“2 Hier — auf dem Altan, der später abgerissen wurde — liebte der junge Goethe, in seinen Mantel gehüllt, die Sommernacht zu verschlafen oder, wenn der Schlaf ihn floh, zu den Sternen hinaufzuschauen:

      Euch bedaur‘ ich, unglückselge Sterne,

      Die ihr schön seid und so herrlich scheinet,

      Denn ihr liebt nicht, kanntet nie die Liebe!3

      Oder er sprach zu den Zweigen, die ihm entgegen blühten, von seinem Hoffen und Sehnen:

      Sag ich's euch, geliebte Bäume,

      Die ich ahndevoll gepflanzt,

      Als die wunderbarsten Träume

      Morgenrötlich mich umtanzt?

      Ach, ihr wißt es, wie ich liebe,

      Die so schön mich wieder liebt — —4

      Und hier im Grünen vergaß er rasch allen Ärger, den ihm die „Ekelverhältnisse“ mit seinen Neidern in der Stadt bereiteten; in der stillen Natur erfrischte er seine Seele immer wieder, wie den Leib in der Ilm, in deren damals näheren Krümmung sein Häuschen sich wiederspiegelte :

      Ich gehe meinen alten Gang

      Meine liebe Wiese lang,

      Tauche mich in die Sonne früh,

      Bad' ab im Monde des Tages Müh'.

      Hier im grünen Flußtale konnte er seinen Naturkultus nach Herzenslust betreiben. Als er zum erstenmale in seinem Garten geschlafen, nannte er sich „Erdulin“.5 Er spricht von seinem „Erdgeruch“ und „Erdgefühl“, ihm war wohl in Klüften, Höhlen und Wäldern. Und seine ganze Umgebung steckte er an. „Sauge den Erdsaft, saug Leben dir ein,“ riet Karl August in einer poetischen Epistel der Frau v. Stein, und er, der Landesfürst, hauste selber Tage und Wochen lang in einer Holzhütte des Parkes, dem Borkenhäuschen, das jetzt nur noch zur Aufbewahrung von Geräten gut genug erscheint. Auch Wieland, der früher von einem Erdgeist nicht geträumt hatte, schrieb nun: „Mir ist nirgends so wohl, bis ich meinen Stab in der Hand habe, um unter meinen Bäumen zu leben und den unendlichen Erdgeist einzuziehen.“ „Der Statthalter von Erfurt war einige Tage bei uns und ist auch nicht ohne Erdgeruch entlassen worden,“ meldet Goethe vergnüglich dem Freiherrn v. Fritsch. Schiller, der ein Stubenhocker war und am liebsten im Reiche der Gedanken lebte, war bei seinem ersten Besuche in Weimar ganz verdrießlich über „das bis zur Affektion getriebene Attachement an die Natur.“6 Auch für Goethe kam die Zeit, wo ihm der Garten fremder wurde: weil er eines großen Stadthauses bedurfte, weil er im Sommer in Bäder oder auf größere Reisen ging, weil er lieber in Jena arbeitete, wo ihn Familie, Hof und Gesellschaft nicht in seinen Gedanken störten. Aber einmal wohnte er doch auch als alter Herr wieder auf Wochen draußen, als er nicht mit dem Sohne und seinem Anhange täglich zusammentreffen mochte. Ein ander Mal (am 12. Mai 1827) fuhr er zum „untern Garten“, um eine freundliche Stunde zu verweilen: da übte der Frühling solchen Zauber über ihn, daß er da blieb und Wochen lang sich von den alten Zimmerchen nicht trennen konnte, bis ein vornehmer Gast seine Anwesenheit in der Stadt nötig machte. Nun kam er auch die folgenden Sommer häufiger. Und zuweilen hatte er Lust, im Gartenhäuschen, wo er „so tüchtige Jahre verlebt“, auch zu sterben.7 Eckermann hat uns einen Frühlingstag geschildert, an dem sie schon vor Tische hinaus gefahren waren.8 „Die Kaiserkronen und Lilien sproßten schon mächtig, auch kamen die Malven zu beiden Seiten des Weges schon grünend hervor.

      Der obere Teil des Gartens, am Abhange des Hügels, liegt als Wiese mit einzelnen zerstreut stehenden Obstbäumen. Wege schlängeln sich hinauf, längs der Höhe hin und wieder herunter ... Goethe schritt, diese Wege hinansteigend, mir rasch voran, und ich freute mich über seine Rüstigkeit. Oben an der Hecke fanden wir eine Pfauhenne, die vom fürstlichen Park herübergekommen zu sein schien; wobei Goethe mir sagte, daß er in Sommertagen die Pfauen durch ein beliebtes Futter herüberzulocken und herzugewöhnen pflege.

      Auf der anderen Seite den sich schlängelnden Weg herabkommend, fand ich von Gebüsch umgeben einen Stein mit den eingehauenen Versen des bekannten Gedichts:

      Hier im Stillen gedachte der Liebende seiner Geliebten ...

      und ich hatte das Gefühl, daß ich mich an einer klassischen Stelle befinde ...

      Wir traten um eine Baumgruppe herum und befanden uns wieder auf dem Hauptwege in der Nähe des Hauses. Die soeben umschrittenen Eichen, Tannen, Birken und Buchen, wie sie untermischt stehen, bilden hier einen Halbkreis, den innern Raum grottenartig überwölbend, worin wir uns auf kleinen Stühlen setzten, die einen runden Tisch umgaben. Die Sonne war so mächtig, daß der geringe Schatten dieser blätterlosen Bäume bereits als eine Wohltat empfunden ward. „Bei großer Sommerhitze,“ sagte Goethe, „weiß ich keine bessere Zuflucht als diese Stelle. Ich habe die Bäume vor vierzig Jahren alle eigenhändig gepflanzt; ich habe die Freude gehabt, sie heranwachsen zu sehen, und genieße nun schon seit geraumer Zeit die Erquickung ihres Schattens. Das Laub dieser Eichen und Buchen ist der mächtigsten Sonne undurchdringlich; ich sitze hier gern an warmen Sommertagen nach Tische, wo denn auf diesen Wiesen und auf dem ganzen Park umher oft eine Stille herrscht, von der die Alten sagen würden: daß der Pan schlafe.“

      * *

      *

      Auch das Stadthaus, das Goethe seit 1782 bewohnte, zuerst als Mieter und bald als Eigentümer, war nicht unländlich. Es war das dem „Frauenplan“ zugekehrte herrschaftliche Hauptgebäude eines größeren Grundstückes, an dessen Garten sich einige kleinere zugehörige Gebäude anlehnten. Eins davon, ein altes Chausseehaus, zeugt noch heute davon, daß hier einst die Landstraße begann. Hinter Goethes Besitztum waren zu seiner Zeit Gärten und freies Feld, mit wenigen Wohnhäusern und Scheunen besetzt; trat er aus der Hintertür des Gartens, so stand er an der „Ackerwand“, wo auch nur wenige Leute wohnten, am andern Ende freilich gerade die Frau v. Stein.

      Wenn wir in diesem Stadthause die Räume aufsuchen, die er am meisten benutzte, so behalten wir noch ganz den Eindruck des Gartenhauses. Das Arbeitszimmer und das daneben liegende Schlafzimmer sind sehr einfache, niedrige Räume. Nichts deutet auf einen vornehmen, reichen Besitzer. Die Studierstube, in der er seine unsterblichen Werke schuf, würde heute nur Wenigen genügen, die sich zum Mittelstande rechnen; für „standesgemäß“ würde sie niemand halten. Alles darin ist zur Arbeit bestimmt, zum Lesen, Schreiben ober Experimentieren: kein Sofa, kein bequemer Stuhl, keine Gardinen, sondern nur einfachste dunkle Rouleaux. Auch an den Büchern ist keine Pracht, seine gesammelten Werke sind auf das schlichteste eingebunden, er nahm ja auch seine berühmtesten Dramen oder Gedichte Jahrzehnte lang nicht wieder in die Hand. Nur ein Möbel hatte Goethe in dieser Stube, das wir nicht kennen: ein kleines Korbgestell, das sein Taschentuch aufnahm. Und auf dem Tische liegt ein Lederkissen, auf das er die Arme legte, wenn er dem gegenüber sitzenden Schreiber diktierte. Die einzige Schönheit dieser „Klosterzelle“, die der alte Herr oft Wochen lang nicht verließ, war, daß sie ebenso ruhig und friedlich war, wie wenn sie wirklich zu einem Kloster gehöre; kein Lärm von der Straße drang hieher und die Fenster gingen in den schlafenden „Klostergarten“.9 Hier stand er an frühen Winterabenden und blickte auf die Schneelast der Bäume, während sein geliebter großer Ofen die Eisblumen vom Fenster abwehrte. Am Tage freute er sich dann, wie die im Winter willkommene Mittagssonne