Dr. Wilhelm Bode

Goethes Lebenskunst


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offenbart. Diesem Ganzen verleiht das graue Haar einen noch größeren Zauber.“ Ganz ähnlich scheint Goethe selbst über sein Aussehen gedacht zu haben, denn 1818 schreibt er in dem Aufsatze „Antik und modern“: „Ein geübter Diplomat, der meine Bekanntschaft wünschte, sagte, nachdem er mich bei dem ersten Zusammentreffen nur überhin angesehn und gesprochen, zu seinen Freunden: Voilà un homme qui a eu de grands chagrins! Diese Worte gaben mir zu denken. Der gewandte Gesichtsforscher hatte recht gesehen, aber das Phänomen bloß durch den Begriff von Duldung ausgedrückt, was er auch der Gegenwirkung hätte zuschreiben sollen. Ein aufmerksamer guter Deutscher hätte vielleicht gesagt: „Das ist auch einer, der sich's hat sauer werden lassen!“

      In den Tagebüchern des Grafen Platen finden wir eine Schilderung von 1821: „Er ist sehr groß, von starkem, aber garnicht ins Plumpe fallenden Körperbau. Bei seiner Verbeugung konnte man ein leichtes Zittern bemerken. Auch auf seinem Angesichte sind die Spuren des Alters eingeprägt. Die Haare grau und dünn, die Stirn ganz außerordentlich hoch und schön, die Nase groß, die Formen des Gesichts länglich, die Augen schwarz, etwas nahe beisammen, und wenn er freundlich sein will, blitzend von Liebe und Gutmütigkeit. Güte ist überhaupt in seiner Physiognomie vorherrschend.“ Imponierend erschien er wohl den allermeisten Gästen. Platen fährt fort: „Bei der Feierlichkeit, die er verbreitet, konnte das Gespräch nicht erheblich werden“, und der Theologe Stickel berichtet von seinem Besuche 1827: „Unwillkürlich verneigte ich mich so tief, wie sonst noch vor keinem Sterblichen; eine innere Gewalt beugte mich nieder.“

      Ebenso wie in Haltung und Auftreten, so war Goethe auch in der Kleidung das volle Gegenteil Friedrichs des Großen, von dessen verschabtem blauen Rock und buckliger Gestalt er einmal spricht. Zwar in jungen Jahren legte auch er wenig Wert auf seine Kleidung und namentlich fragte er nicht nach Mode oder Sitte und erregte dadurch in Frankfurt oft Anstoß. Wo alle andern in feierlichen Kleidern erschienen, war er nachlässig gekleidet, „er ist ganz sein, richtet sich nach keiner Menschen Gebräuche“, schreibt der Maler Kraus 1775 von ihm; daß er im Hause der vermeintlichen Schwiegermutter Schönemann elegant und modisch auftreten sollte, um zu ihrem Vermögen, ihrer Geselligkeit und ihren Möbeln zu passen, behagte ihm gar nicht; lieber ließ er sich von den Freunden Bär oder Hurone oder Westindier schelten. Am liebsten ging er in grauem Biberfrack mit lose geschlungenem braunseidenen Halstuch. Als er dann im Frühjahr 1775 mit den Grafen Stolberg seiner Braut und ihrer Mutier entfloh, trugen sie alle „Werther-Uniform“, d. h. blauen Frack mit Messingknöpfen, gelbe Weste, Lederhose und Stulpenstiefel; namentlich die Stiefel waren ganz gegen die damalige Kleiderordnung, die in besserer Gesellschaft seidene Strümpfe und Schuhe vorschrieb. Auch nach Weimar kam er in dieser Kleidung und entzückte die „Miesels“, d. h. die zum Kokettieren bereiten jungen Damen. Auf einer Silhouette von 1779 sehen wir ihn mit Haarbeutel, Spitzenkrause, eng anliegendem Rock, der bis zum Knie reicht, und hohen Stiefeln mit Sporen. Matthisson schildert ihn 1783 als „stattlichen Mann in goldverbrämtem blauen Reitkleid“.

      Goethe wechselte offenbar gern zwischen sehr schlichten und sehr feinen Anzügen. Die Freunde sahen ihn im Alter zuweilen in Hemdsärmeln sitzen, wenn der Tag heiß war, oder im Winter im dicken wollenen Wams behaglich an seinem geliebten breiten Ofen stehen. Er empfing auch wohl Fremde im weißen flanellenen Schlafrock, und wenn ihn in diesem Kostüm gerade ein Bruder Napoleons überraschte, brachte ihn das auch nicht in Verlegenheit. Aber in der Regel trat er Fremden doch in der Kleidung entgegen, die zu seinem Range paßte. Weltzien notiert 1820: „Ganz in Gala, schwarzer feiner Frack, worauf der große Stern des Falkenordens prangte, schwarze Pantalons nebst Stiefeln, eine weiße Weste und sehr feine Manschetten, so daß ich nicht begreifen konnte, wie ein Mann in solchem Alter sich zu Hause solchen Zwang antut.“ Gustav Carus erwähnt 1821: „blauen Zeugüberrock, kurzes, etwas gepudertes Haar“. Der Pole Odyniec sah 1829 „einen dunkelbraunen, von oben herab zugeknöpften Überrock, auf dem Halse ein weißes Tuch, das durch eine goldene Nadel kreuzweis zusammengehalten wurde, keinen tragen.“ In zwei verschiedenen Gestalten erschien er 1826 dem Dichter Grillparzer. Zuerst in einer großen Gesellschaft: „schwarz gekleidet, den Ordensstern auf der Brust, gerader, beinahe steifer Haltung trat er unter uns, wie ein Audienz gebender Monarch.“ Ein paar Tage später gingen sie im Hausgarten auf und ab, und Goethe war viel gemütlicher und herzlicher. „Sein Anblick in dieser natürlichen Stellung, mit einem langen Hausrock bekleidet, ein kleines Schirmkäppchen auf den weißen Haaren, hatte etwas unendlich Rührendes. Er sah halb wie ein König aus und halb wie ein Vater.“

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      „Und schreien kann er wie 10000 Streiter,“ schreibt Felix Mendelssohn in der Übertreibung, die die Jugend liebt, „einen ungeheuren Klang der Stimme hat er.“25 Alle Berichte sagen, daß Goethes Stimme ein sehr wohlklingender Baß gewesen sei, und daß er rezitierend oder deklamierend großen Eindruck machte. Uns Heutige würde es freilich sehr stören, daß der berühmte Dichter ebenso wie Schiller und fast alle Zeitgenossen seinen Heimatdialekt sein Leben lang beibehielt; eine Schulsprache gab es ja noch nicht und ebenso wenig hatte das Theater die Deutschen in dieser Hinsicht schon einiger machen können. So sprach Goethe „frankfortsch“, und dem Berliner, der sich über das Berlinische seiner Landsleute nicht wunderte, fiel das natürlich auf. Auch dem Dr. Parthey der am 28. August 1827 mit dem jungen Goethe nahe der Tür eines Zimmers stand, in dem der Dichter die Fürstlichkeiten, die ihm zum Geburtstag gratulierten, empfing. Goethe trat plötzlich heraus und sagte eilig zu seinem Sohne im echtesten Frankfurter Dialekte: „August, der König von Bayern will ä Glas Wasser habbe!“26

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      Wir haben schon bemerkt, daß Goethe im Umgang mit den Menschen sehr verschieden sein konnte; sein vorhin genannter junger Freund Felix Mendelssohn war von dieser wandelbaren und reichen Natur so betroffen, daß er meinte, man werde in Zukunft gar nicht an einen Goethe, sondern an eine Schar Goethiden glauben. Über seine Verkehrsformen gingen schon bei seinen Lebzeiten und selbst in Weimar die verschiedensten Gerüchte. Die einen erklärten ihn für stolz und patzig, steif und arrogant, und warnten die Neugierigen vor seinen „stummen Audienzen“; die andern wußten seine Liebenswürdigkeit nicht genug zu rühmen. Wir dürfen nicht erwarten, daß ein berühmter Mann, wenn wir ihn bei einer geliebten Arbeit stören, und wenn uns vielleicht schon hundert lästige Menschen als Räuber seiner Zeit zuvorgekommen sind, uns noch mit natürlicher Herzensgute empfängt und aufrichtige Freude über unsern Besuch wiederstrahlt. Wir dürfen auch nicht erwarten, daß sich uns der Fürst, dem wir uns als Fremde nahen, die etwas von ihm haben wollen, in seinem natürlichen Wesen zeigt. Goethe aber hat das nicht leichte Schicksal gehabt, sechzig Jahre einer der berühmtesten Europäer zu sein, den viele sehen und sprechen wollten, den Tausende aus Neugier oder Bewunderung oder zur Prahlerei belästigten. Er mußte wohl lernen, sich zu versteinern und einen Graben der Furcht um sich zu ziehen.

      Gern aber entfloh er dieser eigenen hochgebauten Festung und lebte in den Tälern als Mensch unter Menschen. Gegen seinen böhmischen Freund Grüner klagte er, daß er in Weimar abstoßend sein müsse, weil sonst jeder etwas von ihm wolle. Deshalb verbrachte er gern ganze Monate im nahen Jena, wo er ungestört arbeiten konnte, oder in Bädern; deshalb reiste er auch gern unter fremdem Namen. Er hatte schon als Jüngling viel Lust zu Mummereien und hat oft in Verkleidungen seinen Scherz getrieben; später ward die Verkleidung eine Notwehr gegen seinen berühmten Namen und eine gelegentliche Absonderung von sich selbst, wie er sie in seiner Verehrung der Objektivität liebte. Am wohlsten fühlte er sich, wenn er unerkannt reisen und behaglich unter dem Volke sich bewegen konnte. Nach Italien fuhr er 1786 als der Kaufmann Philipp Möller aus Leipzig, und schon aus Bayern schreibt er ganz vergnügt über seinen neuen Zustand an Frau v. Stein: „Da ich ohne Diener bin, bin ich mit der ganzen Welt Freund. Jeder Bettler weist mich zurechte und ich rede mit den Leuten, die mir begegnen, als wenn wir uns lange kennten. Es ist mir eine rechte Lust.“ Dann machte es ihm Spaß, daß er einem alten Weibe für einen Kreuzer Birnen abkaufen und sie publice „wie ein anderer Schüler“ verzehren konnte. „Herder hat wohl recht, daß ich ein großes Kind bin und bleibe, und jetzt ist mir so wohl, daß ich ungestraft meinem kindischen Wesen folgen kann.“ In Italien hielt er es ebenso. Er machte sich zum Italiener, trug die Kleidung der mittleren Bürger, gewöhnte sich ihre Geberden und Bewegungen an und lernte ihre Sprache so gut, daß er auf Märkten und Gassen