Dr. Wilhelm Bode

Goethes Lebenskunst


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Boisserée rühmte er 1815, „was die Verhältnisse zu Fürsten teuer und wert macht,“ das sei: „das Beständige darin, wenn einmal ein Vertrauen entstanden.“ Und noch in seinem Todesjahre sprach er zu Eckermann einmal davon, wie sympathisch ihm ein echter Aristokrat sei, ein Mann wie Karl v. Spiegel, von dem gerade die Rede war. „Seine Abkunft kann er ebensowenig verleugnen, als jemand einen höheren Geist verleugnen könnte. Denn beides, Geburt und Geist, geben dem, der sie einmal besitzt, ein Gepräge, das sich durch kein Inkognito verbergen läßt. Es sind Gewalten wie die Schönheit, denen man nicht nahe kommen kann, ohne zu empfinden, daß sie höherer Art sind.“

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      Diese aristokratischen Neigungen hinderten ihn nicht, so freundlich gegen Niedrigstehende zu sein, wie er es ohne Gefahr sein durfte. Von seinen Inkognito-Reisen war schon die Rede, so bleibt namentlich sein Verhältnis zu Untergebenen und Dienern zu prüfen. Er war sich stets bewußt, daß sie an ihrem Platze ebenso nötig sind und ebenso vollkommen sein können, wie er an dem seinen. „So göttlich ist die Welt eingerichtet, daß jeder an seiner Stelle, an seinem Orte, zu seiner Zeit alles übrige gleichwägt.“ So sagte er 1810 zu Riemer, und „wenn der Größte ins Wasser fällt und nicht schwimmen kann, zieht ihn der ärmste Hallore heraus.“ Und „es ist ganz einerlei, vornehm oder gering sein: das Menschliche muß man immer ausbaden.“37 Den ihm unterstellten Beamten gönnte er ziemlichen Ellbogenraum. „Ich suche jeden Untergebenen frei im gemessenen Kreise sich bewegen zu lassen, damit er auch fühle, daß er ein Mensch sei; es kommt alles auf den Geist an, den man einem öffentlichen Wesen einhaucht.“38 Er wurde als junger Minister ein Vorbild des Fleißes und der Uneigennützigkeit, „das weimarische Faktotum“ nach Herders und „das Rückgrat der Dinge“ nach Knebels Ausdruck; so riß er die andern mit. „Wenn Sie es nicht machen wollen, so mache ich es selber,“ war ein Trumpf, den er gegen Untergebene gern ausspielte. „Und sie wußten, daß ich verrückt genug war, mein Wort zu halten und das Tollste zu tun,“ fügte er selber hinzu, als er von dem Schauspieler Becker erzählte, dem eine Rolle zu unbedeutend für seine hohe Persönlichkeit erschien.39 Als sein Diener Stadelmann immer noch keine Wischtücher zum Abstauben der Kunstmappen besorgt hatte, da schalt er: „Ich erinnere dich heute zum letztenmale! Gehst du nicht noch heute, die oft verlangten Tücher zu kaufen, so gehe ich morgen selbst, und du sollst sehn, daß ich Wort halte.“ Aus solchem Schelten hörte man schon heraus, daß Goethe es gut meinte. Er machte sich viele Gedanken um das gute Fortkommen seiner Diener und Untergebenen. Für den Bibliotheksdiener erbat er 1805 vom Herzog sogar die Erlaubnis, sich von den Personen, die die Bibliothek benützten, ein Neujahrs-Trinkgeld erbitten zu dürfen, denn „zur allgemeinen Bettelei dürfte wohl auch diese billig hinzukommen,“ und die Finanzen des Ländchens mögen in jenen Kriegszeiten ihre Verwalter nicht zu Stolz und Freigebigkeit gestimmt haben. Bei seinen eigenen Dienern wünschte er, daß sie das Rasieren, die Gartenarbeit oder dergleichen Leistungen lernten, deren er zwar nicht bedurfte, die ihnen aber später von Nutzen sein und sie jetzt schon vor Müßiggang bewahren konnten.40 Als er nach Karl Augusts Tode auf der Dornburg an sein eigenes Ende viel dachte, da fragte er sich auch, was aus seinen Bedienten dann werde, und er sprach darüber mit dem Gärtner und dem Barbier, den er reichlich belohnte. Ebenda war es, daß sein Sekretär John und sein Diener Friedrich Krauße mit dem Gärtner sich einen fröhlichen Nachmittag machten, wobei ihnen der Dornburger Wein so sehr zu Kopfe stieg, daß sie nach der Heimkehr sogleich in schweren Schlummer sanken. Goethe rief ein paarmal vergebens nach ihnen, als sie zu ihren gewohnten Diensten nicht kamen. Am andern Morgen erschraken sie sehr, als sie ihre Pflichtvergessenheit bemerkten. Ganz besonders war Friedrich erschrocken; er wollte sich gar nicht beruhigen lassen. Als ihn bald darauf Goethe rief und den Kaffee zu bringen befahl, wurde er totenbleich und wankte mit schlotternden Gliedern die Treppe hinauf. „Neugierig, was Goethe wohl sagen werde, schlich ich mich hinter dem Bedienten her“ — so erzählt Skell — „und blieb horchend an der Tür stehen. Als der Bediente eingetreten war, sagte Goethe: „Na, na, Friedrich! du zitterst ja wie ein armer Sünder. Setze nur das Kaffeebrett ab, sonst lassest du es noch fallen. Nicht wahr, du glaubst, ich werde dich recht auszanken? Das tue ich nicht; du hast ja deine Strafe wohl so schon bekommen? Wie sieht es denn heute hier aus?“ fuhr er fort, sich mit dem Zeigefinger über die Stirn streichend. „Setz nur ab und gehe! Es ist abgemacht!“ — Hoch erfreut, mit diesem kleinen Verweise davongekommen zu sein, verließ der Bediente das Zimmer.

      An Schärfe fehlte es Goethen gegen seine Diener freilich auch nicht, wenn er mit der Geduld schließlich nicht zum Ziele kam. Und wenn er jemand entließ, so nahm er es ernst mit der Polizei-Verordnung, die es den Herrschaften zur Pflicht macht, die Dienstboten „nicht bloß mit allgemeinen und unbedeutenden Attesten zu entlassen, sondern darin gewissenhaft ihr Gutes und ihre Mängel auseinanderzusetzen.“ Als er im März 1811 eine Köchin wegschickte, die er als „eine der boshaftesten und inkorrigibelsten Personen“ befunden hatte, schrieb er ihr folgendes aufrichtiges Zeugnis:

      „Charlotte Hoyer hat zwei Jahre in meinem Hause gedient. Für eine Köchin kann sie gelten, und ist zu Zeiten folgsam, höflich, sogar einschmeichelnd. Allein durch die Ungleichheit ihres Betragens hat sie sich zuletzt ganz unerträglich gemacht. Gewöhnlich beliebt es ihr nur nach eigenem Willen zu handeln und zu kochen; sie zeigt sich widerspenstig, zudringlich, grob, und sucht diejenigen, die ihr zu befehlen haben, auf alle Weise zu ermüden. Unruhig und tückisch verhetzt sie ihre Mitdienenden und macht ihnen, wenn sie nicht mit ihr halten, das Leben sauer. Außer andern verwandten Untugenden hat sie noch die, daß sie an den Türen horcht.“

      Charlotte Hoyer hatte keine Ahnung, welchen Preis ihr von Goethe gezeichnetes Charakterbild als Autogramm später haben würde, und riß es auf der Treppe in hundert Stücke. Goethe schickte die Beweise dieser neuen Frechheit der Polizei zu, deren „einsichtsvollem Ermessen“ er „die Ahndung einer solchen Verwegenheit“ anheimgab.41

      Aber auch von einer wackeren Köchin wissen wir, wie sie zu Goethe als ihrem zeitweiligen Herrn stand. Henriette Hunger war seit 1817 bei dem Verleger Frommann in Jena in Stellung, ihre Erinnerungen erzählt sie am besten in eigener Sprech- und Schreibweise42:

      „Göhte war ein treuer Freund zu Frommanns. Alle Morgen 11 Uhr fuhr Göhte vor und machten Seinen Morgenbesuch. Wobei ich auch das Unglück hatte, Göhte mit Eine Butte Wasser zu überschitten. Göhte wollte mich die Thür halten aus Bescheidenheit und ich ebenfalls, ich versah das Tembo und war in fallen und Göhte wolte mich halten und bekam die Wasserbutte auf den Halz, ich zum Tode Erschrocken. Madam und Fräulein Frommann Kamen mit Tüchern und beseitigten das nasse Element. Göhte fuhr nach Haus um sich umzukleiden. Deßhalb gab es keine Feindschaft. Den andern Morgen war Göhte wieder da und lachte. Göhte war nachdem in den botanischen Garten gezogen wolte aber nicht lange mehr in Jena bleiben, weil Ihn das Essen aus den Speisehäusern nicht Schmeckte. Frommanns wollen Göhte gerne für sich und Jena Erhalten, der Grund war das Essen wie anfangen, die Madam Fromman Eine sehr kluge Dame sann hin und hehr. Endlich kam sie auf Ihre Köchin, das war ich. Sie ließ mich in Ihr Zimmer kommen und sagte, ich habe ein großes anliegen an Dich was G. betrift und Du die Hauptperson bist (Du die Hauptperson? dachte ich) willst Du für G. Kochen den Mittagstisch übernehmen Meine Speisekammer Steht Dir Ofen, thue Es, ich werde Dirs niemals vergessen, nach langes Zureden gab ich mein Wort. An Göhte geschriben das Ihre Köchin für Ihn den Mittags Tisch übernehmen wolte, mit Freuden Nehme ich dis An — war die Rückantwort. So kochte ich ein halbes Jahr für den Großen Mann zu danke. Göhte nahm sich gegen mich nicht als wäre ich Köchin sondern als wäre ich mehr, wenn ich mit meinen Zettel kam, lag Schon was Schönes da, anzusehn für mich, Kurz ich kam mich vor als gehörte ich der gelehrten Welt mit an.“ — —

      Als Eckermann noch neu in Weimar war, traf er einmal beim Spazierengehen einen bejahrten, wohlhabenden Bürger. Sie hatten nicht viel Worte gewechselt, als das Gespräch auf Goethe kam und Eckermann den Bürger fragte, ob er Goethen auch persönlich kenne. „Ob ich ihn kenne!“ antwortete er mit einigem Behagen, „ich bin gegen zwanzig Jahre sein Kammerdiener gewesen“. Und nun ergoß er sich in Lobsprüchen über seinen frühern Herrn. Dieser selbe Philipp Seidel, der es später zum Rentamtmann brachte, hatte sich seines verehrten Herrn Gewohnheiten und Aussprüche so angeeignet, daß man ihn allgemein „Goethes vidimierte Kopie“ nannte. Wir wissen aber auch,43