Christine Jörg

Xari, das andere Nachtgespenst


Скачать книгу

Bruno ist derart aus dem Häuschen und vergisst, dass er das zickige Klärchen nicht ausstehen kann. Er packt seine Schwester fest bei den Händen und dreht sich schwebend mit ihr im Kreis.

      Der Vater muss wider Willen schmunzeln. Sonst zanken sich die Beiden immer und jetzt freuen sie sich gemeinsam. Vielleicht wird das Dasein fortan angenehmer. Es kommt wieder Lebens ins alte Bauernhaus am Ortsrand eines kleinen Dorfes in der Nähe der Alpen in Süddeutschland.

      Langsam kehren die Drei auf den Dachboden und zu Toni und Xari zurück. Der ist immer noch am Quengeln.

      „Was ist denn mit dem los?“ Bruno schaut abschätzig auf den kleinen Bruder. Er findet ihn um einiges zickiger als Klärchen.

      „Bei dem Lärm kann er nicht schlafen“, erklärt die Mutter.

      Aber das können wir doch alle nicht.“ Bruno lacht hämisch.

      Toni nimmt ihren Xari noch fester in die Arme. „Aber er ist noch klein“, sagt sie zu seiner Verteidigung.

      „Auch nicht viel kleiner als ich“, rückt Bruno die Tatsachen ins rechte Licht.

      „Doch“, hört man Xaris Stimme zwischen den Armen der Mutter hervor. Am liebsten hätte er den Daumen in den Mund gesteckt, aber das wagt er nicht. Dazu ist er nun wirklich zu groß.

      Viele Tage vergehen. Dann sind die Reparaturen am alten Bauernhaus endlich beendet.

      3

      Lange hält die Ruhe im alten Bauernhaus am Ortsrand des kleinen Dorfes in der Nähe der Alpen in Süddeutschland nicht mehr an.

      Ein Riesenauto, ein Umzugslastwagen, fährt vor. Dazu drei kleine Autos. Menschen entsteigen diesen Autos und beginnen geschäftig die Sachen aus dem Lastwagen ins alte Bauernhaus zu tragen.

      „Jetzt bin ich mir sicher“, sagt Fritz zu seiner Frau Toni. „Das Haus wird wieder bewohnt werden.“

      „Endlich.“ Man hört Toni förmlich die Erleichterung an. „Ich dachte schon, ich erlebe das nicht mehr.“

      „Mir geht es ähnlich“, gibt Fritz zu.

      Natürlich hätten Toni und Fritz das erlebt. Nachtgespenster können doch gar nicht sterben. Nur, Fritz und Toni scheinen das in dem Augenblick vergessen zu haben.

      Bruno ist auf dem Sprung, den Dachboden zu verlassen.

      „Wo willst du hin?“, hält sein Vater ihn auf.

      Bruno passt das gar nicht. Sollen sie doch auf den Hosenscheißer von Xari aufpassen. Deswegen sagt er jetzt patzig: „Ich will mir anschauen, was da vor sich geht.“

      „Sei vorsichtig“, ermahnt ihn die Mutter.

      „Mutter, ich bin hundertneun Jahre alt“, erinnert Bruno sie mild.

      „Trotzdem“, beharrt die Mutter. „Sei vorsichtig“, wiederholt sie nochmals.

      Bruno murmelt etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und verschwindet.

      Seine Mutter versteht nicht, was er sagt, hakt aber lieber nicht weiter nach.

      „Hoffentlich passiert nichts“, wendet sie sich immer noch besorgt an ihren Mann.

      „Quatsch“, sagt Fritz, „was soll schon geschehen. Er schaut sich halt um. Und, gesehen werden kann er jetzt doch gar nicht. Die Menschen könnten nur einen Windhauch verspüren.“

      Klärchen, die schon immer einen guten Draht zu ihrem Vater hatte, drängt sich an ihn und sagt: „Papa, ich will auch gucken.“

      „Machen wir, mein Mäuschen“, antwortet der Vater. „Komm, wir gehen.“

      „Wenn das nur gut geht“, seufzt die Toni. Sie hebt Xari hoch. Er ist in ihren Armen eingeschlafen. Vorsichtig, damit er nicht aufwacht, trägt sie ihn zu dem alten verstaubten Sofa, das in der Ecke vergessen und verlassen steht.

      „Was ist?“, murmelt Xari verschlafen. Er wacht nicht wirklich auf und dreht sich mit dem Gesicht zur Wand.

      Das leise „Nichts“ seiner Mutter hört er gar nicht mehr.

      Toni bleibt alleine zurück. Sie stellt sich in die Nähe der Treppe und lauscht. Zu gerne würde auch sie hinunterschweben und schauen, was unten passiert. Aber sie ist zu ängstlich. Also bleibt sie lieber bei ihrem Söhnchen Xari.

      Fritz und Klärchen treffen mit Bruno zusammen. Zu dritt beobachten sie die Geschehnisse im Haus.

      Viele Menschen laufen herum. Möbel werden in Räume gestellt und umgestellt. Wieder wird laut gesprochen, gerufen und gelacht. Schränke werden geschoben, Tische und Stühle gerückt. Es macht einen fürchterlichen Krach auf dem Boden. Die drei Nachtgespenster halten sich entsetzt die Ohren zu. Schrecklich, dieses Quietschen! Wann sind die nur fertig?

      Irgendwann an diesem Tag ist das Erdgeschoss fertig eingerichtet. Nun beginnen sie den ersten Stock mit Möbeln zu bestücken.

      Fritz fällt ein, dass Menschen so etwas wie Schlafzimmer mit Betten und Schränken haben. Freudige Erregung macht sich breit. Das sind genau die Räume, in denen sich Leute um Mitternacht aufhalten werden. Ein zufriedenes Schmunzeln überzieht sein Gesicht beim Gedanken an kommenden Freitag um Mitternacht.

      Zu seiner Enttäuschung verlassen die Menschen abends das alte Bauernhaus wieder und kehren für die Nacht nicht mehr zurück.

      Vier der fünf Nachtgespenster sind enttäuscht. Sie hatten sich fest darauf eingestellt, endlich freitags wieder mitternachtsaktiv zu werden.

      Sie kehren auf den Dachboden zurück. Dort hat Xari den Schlaf des Gerechten geschlafen. Nicht einmal der Krach beim Möbelrücken im ersten Stock scheint ihn gestört zu haben.

      „Was ist los?“, will er wissen und reibt sich verschlafen die Augen. „Habe ich etwas verpasst?“

      „Du versäumst doch nichts“, bekommt er von Bruno zu hören. „Du verpennst doch sowieso alles.“

      „Tu ich nicht“, widerspricht Xari mit weinerlicher Stimme.

      „Tust du doch“, beharrt Bruno.

      „Mama!“ Xari schwebt auf seine Mutter zu. „Bruno lügt.“

      „Jetzt aber Schluss ihr Zwei!“, befiehlt Vater Fritz laut. „Glaubt ihr wirklich, ich will heute Abend noch euer Gezanke hören?“

      Bruno pufft Xari im Vorbeischweben noch in den Bauch.

      Der kleine Bruder fängt sofort noch lauter zu heulen an. „Bruno hat mich geschlagen“, klagt Xari den Bruder an.

      „Hab ich nicht“, wehrt sich Bruno. Und dann noch: „Memme.“

      „Kinder, ich habe gesagt: Schluss jetzt!“ Papa Fritz ist ernsthaft böse geworden. Auch Nachtgespenstern reißt der Geduldsfaden manchmal.

      Bruno verdrückt sich und zieht hinter dem Rücken des Vaters eine Grimasse zu Xari hin.

      Der ist wieder einmal in die Arme der Mutter geflüchtet und schneidet jetzt auch eine Grimasse.

      „Lass das!“, ermahnt ihn Mama Toni. Auch ihr merkt man die Anspannung an.

      „So, nachdem jetzt Ruhe ins Haus eingekehrt ist, wollen wir schlafen“, schlägt Papa Fritz vor.

      „Ich gehe und schlafe in einem Bett der Menschen.“

      Alle drehen sich um. Klärchen haben sie wegen der Streitereien vollkommen vergessen.

      „Du wirst dich hüten“, sagt Mutter Toni. Ihr steht schon wieder die Angst ins Gesicht geschrieben.

      „Doch.“ Klärchen dreht sich um und hebt an, die Treppe hinunterzuschweben.

      „Klärchen“, mischt sich Papa Fritz ein. „Ich halte das für keine gute Idee. Du bleibst besser hier.“

      „Ich