Yasmin Azgal

Die kleine Elfe Samra


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      „Ja fast! An einer Kreuzung riss plötzlich ein Mann die Fahrertür auf!“ Wieder fuhr sie ein Stück weiter.

      „Und was ist dann passiert?!“

      „Mich hat fast der Schlag getroffen!“

      „Und was wollte der Mann?“

      „Er hat nur nach dem Weg gefragt – aber es hätte auch ganz anders kommen können!“

      Die kleine Elfe Samra nickte verständnisvoll.

      „Ich heiße übrigens Bea. Nett dich kennenzulernen!“

      Wildes Hupen erschreckte Samra. Auch Bea hupte einmal und fuhr wieder ein Stück weiter.

      „Danke, dass du mich bei dir mitfahren lässt!“, sagte die Elfe, als sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte.

      „Keine Ursache. Mit Begleitung ist es sowieso viel unterhaltsamer!“

      „Wieso fährst du dann alleine?“

      „Weil ich derzeit keine Beziehung habe und allein lebe.“

      Samra blickte sie fragend an.

      „Naja, ich hab halt keine Kinder und derzeit keinen Lebensgefährten. Deshalb bin ich oft allein unterwegs.“

      „Ist das nicht ein großes Gefährt für eine Person?“

      „Das ist ein Spitzenauto! Genug PS zum schnellen Überholen, beleuchtete Armatur für nächtliche Fahrten, reichlich Platz für Gepäck und super zu fahren!“

      „Triffst du dich auch manchmal mit Freunden?“

      „Ja, wir treffen uns öfter die Woche.“

      Nun ging es zügiger voran, Bea stieg auf das Gaspedal.

      „Nimmst du sie dann mit deinem Auto mit?“

      „Nein, nein, die haben alle ihr eigenes Auto. Wir gehen meist essen, tanzen oder ins Kino.“

      „Heute Abend auch?“

      „Nein“, Bea blickte in den Rückspiegel und wieder auf die Fahrbahn. Eine tiefe Falte hatte sich zwischen ihren Augen gebildet. „Heute treffe ich meinen Exmann. Ich bin geschieden.“

      „Was heißt das?“

      „Ich habe vor vier Jahren einen Mann geheiratet und vor einigen Monaten die Beziehung beendet.“

      „Warum?“

      „Das ist eine Frage, die weder mein Exmann noch ich so schnell beantworten können. Wir konnten einander einfach nicht das geben, was wir gebraucht hätten. Am Ende hat er mich mit einer anderen Frau betrogen und ich war nur mehr damit beschäftigt, hinter ihm her zu räumen und mich über ihn zu ärgern.“

      „Und wie war es, als ihr geheiratet habt?“

      „Anders, aber im Nachhinein betrachtet, eine Illusion, ein Wunschtraum. Ich dachte, ich hätte die Person gefunden, die mich glücklich machen und alles zum Guten wenden könnte. Ich habe ihn so sehr gebraucht. Ich verstehe bis jetzt nicht, was eigentlich schief gelaufen ist.“

      Sie bogen nun von der großen, lauten Straße in eine kleinere, weniger laute ein. Rechts und links waren leicht beleuchtete Lokale und viele viele Menschen zu sehen.

      „Du sagst, du dachtest, dein Mann könne dich glücklich machen.“

      „Ja“, sagte Bea mit einem Seufzer.

      „Warst du denn ohne ihn unglücklich?“

      Bea dachte nach. „Ich weiß nicht. Naja, so ist es eben – wir Menschen brauchen unsere bessere Hälfte um wirklich glücklich zu sein.“

      Samra verstand nicht. „Heißt das, du bist die weniger gute Hälfte?“

      Bea musste lachen. „Das sagt man doch nur so! Ich mein' halt, wir alle brauchen jemand, der uns vervollständigt. Doch den Richtigen scheine ich noch nicht gefunden zu haben. Mein Happy End lässt noch auf sich warten!“

      Das Auto wurde langsamer und kam an der rechten Gehsteigkante zum Stehen.

      „Hier habe ich meinen Mann damals kennengelernt. Er hat mich zum Tanzen aufgefordert und mir einen Cocktail spendiert… Ach, die guten alten Zeiten – da war noch alles in Ordnung!“

      „Was ist das hier?“ Samra zeigte auf das Lokal, vor dem Bea geparkt hatte.

      „Ein Tanzlokal. Hier kann man etwas trinken, Kleinigkeiten essen und zu Musik tanzen. – Und natürlich Leute kennenlernen“, fügte Bea hinzu.

      „Ich habe dich in deinem Auto kennengelernt“, sagte Samra.

      Bea lächelte. „Ja, aber wenn du einen Freund finden willst, dann gehst du in ein Lokal – da kannst du sicher sein, dass es viele Singles gibt.“

      Sie hatte ihren Exmann erblickt und schnallte ihren Gurt ab. „Ich muss jetzt gehen. Hat mich sehr gefreut, Kleine! Vielleicht sieht man sich mal wieder!“ Bea blickte Samra erwartungsvoll an, bis diese verstand, dass es Zeit war, ihr Auto wieder zu verlassen.

      „Ich hoffe, du findest, was dich glücklich macht! Danke für deine Gesellschaft und einen schönen Abend!“

      „Gerne, ebenfalls!“

      Aus ein paar Flügelschlägen Entfernung beobachtete Samra, wie Bea ihren Exmann begrüßte. Die beiden hatten recht ernste, fast traurige Gesichter und tauschten flüchtige Küsse auf beide Wangen aus. Dann verschwanden sie in dem Tanzlokal und setzten sich an einen der wenigen freien Tische.

       Feierabend

      Die kleine Elfe beschloss, die Gegend nun auf eigene Faust zu erkunden. Während sie durch die Straßen flog und die vielen Leute beobachtete, die sich in auffallend guter Laune und unterschiedlichster Bekleidung in und vor den zahlreichen Lokalen tummelten, fiel ihr etwas auf, das bis jetzt ihrer Aufmerksamkeit entgangen war: Sie bewegte sich schon lange nicht mehr auf erdigem Terrain. Das Braun war einem einheitlichen Grau gewichen, das den Stadtboden wie ein harter Panzer überzog. Wenn es einen Baum oder Strauch gab, dann schien der nicht immer dort gewesen zu sein – jemand musste ihn explizit dorthin gepflanzt haben, und jedes Mal wurde die Pflanze von den scharfen Rändern des grauen Bodenbelages begrenzt.

      Nachdenklich hielt Samra inne und bemerkte, dass sie vor einem großen, belebten Lokal gehalten hatte, vor dem mehrere Menschen an Tischen saßen. An einem der Tische saß ein junger Mann. „Entschuldige bitte, kannst du mir sagen, warum der Boden hier überall grau ist?“ Der Mann blickte verwundert von seinem Buch auf und brauchte eine Minute bevor er verstand, woher die Stimme kam.

      „Meinst du den Asphalt?“

      „Ich weiß nicht, wie der graue Boden heißt. Ich weiß nur, dass er mir fremd ist.“

      „Du kommst wohl aus der Pampa!“, sagte der Mann amüsiert. Als er sah, dass die kleine Elfe nicht verstand, was er meinte, fuhr er fort: „Asphalt oder Beton wird in Städten und für Straßen verwendet, damit die Autos und die Menschen schnell vorankommen.“

      „Und was war vor dem Asphalt hier?“

      „Dreck.“

      „Meinst du Erde?“

      „Ja, Erde.“ … „Ich stelle mir das grauenhaft vor, wie man mit den Schuhen im Matsch versinkt, wenn es regnet“, fügte der Mann gedankenverloren hinzu.

      „Schuhe?“

      Der Mann runzelte die Stirn und zeigte auf die Schuhe, die er anhatte. Als er sah, dass Samras Blick zu den Bäumchen in den Töpfen rund um den Gastgarten wanderte, fügte er hinzu: „Es gibt eigene Ämter, die sich um die Stadtbegrünung kümmern. Das hier sind ein paar nette Pflanzen fürs Auge, wenn ich auf ein Bier herkomme.“

      „Was ist Bier?“

      „Ein