Vicky Lines

Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 2


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das vor fünfzig Jahren noch eine Titelzeile in der Sun wert gewesen. Deutsche Familie erobert im Blitzkrieg englische Elite. Ehrlich gesagt, wäre es auch egal, von der Wirkung Samanthas ausgehend, käme es Diana und der Königsfamilie gleich.

      

      

       Ein Fels in der Brandung

       Samantha Willer

       Berlin, Oktober 2015, Mittwoch

      

      

      George lag sich mit meiner Mutter in den Armen. Bei dem Anblick kribbelte meine Nase unaufhörlich und mich überkamen Schauer von warmen Sommerbrisen im Oktober. Solche bildlichen Assoziationen brauchte ich in der derzeitigen Lebensphase so dringend, dass ich erst zufrieden gewesen wäre, wenn ich die Zeit dieses Momentes angehalten hätte, um sie in einem Bild festzuhalten. Sogar seine Augen schloss er beim Umarmen.

       Wie süß war er denn noch? Marzipan? Oder gar Nougat?

      Noch vor einem Tag hing ich seinetwegen heulend danieder und rang mit mir und meinem Leben. Ehrlich, mein Leben wechselte die Farben wie eine Reklamewand. Es war wie der Picadilly Circus, mal kreischend bunt, mal erdrückend finster. Jetzt stand ich mit dem stattlichen Lord aus London in der Küche meiner Eltern, besser meiner Mutter. Mit einem unglaublich eleganten und intelligenten Schlipsträger mit Manieren und einem ganz zuckersüßen Herz. Verdammt noch mal, es darf nicht enden, nicht demnächst. Ich wünschte mir Wochen, Monate, Jahre mit ihm!

      Der Humor und der Sex bedürfen einer dringenden Klärung, schoss es mir durch meinen Kopf.

       UBSI!

      Meine linke Hand schnellte vor meinen Mund, um nicht laut meine Gefühlsregung kundzutun. Derweil genoss ich es, zuzusehen, wie er meiner Mutter seinen unbändigen und Charme schenkte. Als sich beide lösten, trafen mich seine grünen Augen mit einem Funkeln darin. Auch George imponierte wahrscheinlich unsere Geschwindigkeit gesellschaftlicher Annäherung. Trotz des fehlenden Adelsstandes meiner Familie und der Tatsache, dass er unter Deutschen weilte, hielt er Schritt. Irgendwann hoffte ich darauf, dass er mir erzählen würde, was er in diesem Moment gedacht hatte. Grübelte ich des Öfteren diese gesellschaftlichen Unterschiede betreffend, fand ich bei meiner Recherche Bilder und einige Texte dazu. Zugegebenermaßen stellte ich mich wahrscheinlich ungeschickt an, doch wusste ich nur, dass seine Mutter noch lebte. Wie war sie wohl? Typische englische Lady? Die Zeit für den schweren Teil stand noch bevor. Er würde nun den beiden Männern gegenüber treten. Mir wurde etwas mulmig zumute. Ich hoffte, dass dieser Abend nicht in einer Katastrophe enden würde. Aus dem Wohnzimmer vernahm ich bereits die ungeduldigen Stimmen der mir nicht wohlgesonnenen Männer. Flehen half auch nichts. Ich musste das durchstehen.

      Mein Vater fragte mit seiner genervten Stimme lauter: „Wo bleibt ihr denn? Hört auf, euch in der Küche zu verkriechen. Ich will essen.“

      Meine Mutter grinste fies. Sie freute sich darauf, mitzuerleben, was dort drinnen in den nächsten Augenblicken geschehen würde. Mit dem vollzähligen Besteck lief Claudia Willer frohlockend einfach los. George, der mir einen sanften Kuss gab, drückte ich einen Korb voller Getränke in seine linke Hand. Es schien, als wollte er mich aufmuntern. Aus dem Ofen schnappte ich mir die bei uns obligatorische warme Platte mit Hühnchen, Würstchen und Gemüsebeilagen, als ich vernahm, wie Marko genervt stöhnte und geräuschvoll aufstand. Mit einem fragenden Blick drehte sich George um.

      Marko: „Die schafft es wieder nicht, die Platte termingerecht hereinzutragen.“

      Ich flüsterte George schluckend zu: „Geh los, dränge ihn zurück, der wird gleich auftauchen.“

      Die angehobenen Augenbrauen mit dem breiten Grinsen sagten mir, dass George etwas improvisieren wollte. Patrizia hob beide Daumen, um seinem Schabernack zuzustimmen. Durch mein bestätigendes Kopfschütteln schaffte es George tatsächlich, sich noch breiter und größer zu machen, was mich beeindruckte. Welch stattliche Statur mein Lord aufgebaut hatte, imponierte nicht nur mir. Patrizia hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Lachen zu verkneifen. Genau jetzt wäre ich am liebsten zu ihm gegangen und hätte ihn weggelockt. Riesig wirkte er nun. Kaum hatte ich die Platte aufgenommen, hörte ich die Schritte des fiesen Schwagers im Flur.

      „Samantha, du Schlurfi und …“, verlor er seine Stimme, als er beinahe frontal mit George zusammenstieß.

      Das Gesicht Markos befand sich auf Brusthöhe von George. Leider erblickte ich nur schemenhaft den Vorgang. Marko verstummte, wunderte sich, verstand nicht, was genau gerade passierte.

      Mein Vater hingegen zeterte beinahe aus dem Wohnzimmer: „Jedes Mal diese Flennerei in der Küche vorher.“

      George lief langsam vorwärts und drängelte zum Wohnzimmer zurück. Das erinnerte mich irgendwie an Klaatus Gort, den Roboterkoloss aus „Der Tag, an dem die Erde stillstand“. Hatte ich das richtig gesehen, dass George Marko keines Blickes würdigte und auch keine Miene verzog? Sein linkes Bein schritt voran. Wie Gort eben. Marko blieb gar nichts anderes übrig. Er wich zurück. Mich ärgerte es, dass es davon keinen Film geben würde. Innerlich jedoch, entspannte ich mich ein wenig.

      Mein Vater plärrte wieder: „Nicht mal zählen könnt ihr, das ist ein Gedeck zu viel. Zählen müsste man schon können, zumindest die Samantha hätte das lernen müssen.“

      War ja wieder typisch. Ich hatte den Tisch nicht eingedeckt, bekam aber wieder die Schuld angetackert. Mein griesgrämiger Vater bekam gar nicht mit, wie George den immer noch perplexen und rückwärts stolpernden Marko ins Wohnzimmer scheuchte. Den Mann meiner Schwester beeindruckte und überraschte die Erscheinung meines Lieblingslords. Einen Schritt nach dem anderen. Unbeirrt. Eindeutig erkannte ich das verdrängte Lachen Patrizias und meiner Mama, die beide dem Schauspiel beiwohnten. George wirkte stark, riesig und seriös, jedoch auch unnachgiebig. Trotzdem prägte sich mir George als humorvoll und verspielt ein, wie ein richtiger Vater eben so sein sollte.

      Das erregte mich? Wirklich?

      Hatte ich eben einen Vater in ihm gesehen? Oder doch nur meinen verspielten Liebhaber? Es war doch egal, oder? Aber hier stand George für mich ein. Ein Kribbeln im Bauch setzte ein. Warme Wellen durchflossen meinen ganzen Oberkörper, wie ein leichter Hauch eines Windes im heißen Sommer. Schon wieder. Nun bekam Marko unausweichlich die einzige Möglichkeit, sich zu setzen. George stand im Rücken meines Vaters und vor mir harrte der hünenhafte Lord einen kurzen Moment aus. Trotzdem konzentrierte ich mich einfach auf die letzte Bemerkung meines Vaters. Ich war über seine Bemerkung in der Gegenwart von George plötzlich sehr erbost. Egal, ob mein Gort diese deutschen Worte verstanden hatte oder nicht.

      Mein aufkommendes Hochgefühl plus dem Ärger in Form eines Spruches, verlieh mir den unbändigen Willen auf Entgegnung, besser auf Deutsch: „Bevor du andere Menschen der Idiotie bezichtigst, solltest du erst testen, ob du nicht selbst der größere Idiot bist!“

      Mein Vater drehte sich postwendend um. Doch es schien, als würde George nur anhand der Klangfarbe meiner Sprache wissen, welche Pose angebracht wäre. Beide Männer standen sich eine halbe Armlänge entfernt gegenüber. Zwölf Zentimeter Höhenunterschied glich George mit einer gnadenlos humorvollen Geste aus. Ganz langsam neigte er den Kopf nach unten. Dieser Gesichtsausdruck charakterisierte ein britisches I-am-not-amused-Gefühl. Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, wie Wolken bei einem aufziehenden Gewitter. Dieser Blick durchdrang sicherlich nahezu jedes Pokerface. Solch ein Augenblick entlockte meinerseits beinahe ein Stöhnen, so erregt war ich. Meine Frechheit ging komplett unter. Das kannte ich gar nicht. Durch die spiegelnde Scheibe der Vitrine verfolgte ich das Schauspiel von meinem Gort. Genau das brauchte ich, um nicht vollkommen verunsichert zu sein.

       Herrje, George,