Eberhard Weidner

INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei


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an und er wollte nicht von sich aus darum bitten.

      Becker schwieg mit nachdenklicher Miene, während er Michaels Bericht gedanklich überprüfte und verarbeitete. Mit Sicherheit klopfte er jeden einzelnen Satz auf Schwachstellen, Ungereimtheiten und offensichtliche Lügen ab. Michael hatte sich aber bei dem, was er offenbart hatte, an die Wahrheit gehalten – schon deshalb, um sich später nicht in Widersprüche zu verwickeln, die ihn noch verdächtiger erscheinen ließen, sofern das möglich war. Er hatte kein einziges Mal bewusst gelogen, einen wesentlichen Teil der Wahrheit allerdings verschleiert, indem er Details weggelassen hatte. Dennoch würde der Hauptinquisitor sicherlich noch genügend Widersprüche zu seiner eigenen Sicht der Ereignisse finden, da nach seiner Überzeugung und den erdrückenden Beweisen Michael ein Doppelmörder war.

      Der einzig wirkliche Schwachpunkt seiner Darstellung bestand nach Michaels Ansicht darin, dass er nicht sagen konnte, woher er von der verlassenen Gärtnerei erfahren hatte, da er seinen Besuch in der Diskothek und die Begegnung mit Ghost weggelassen hatte. Er hatte diesen Aspekt unter den Tisch fallen lassen und gehofft, es würde niemanden auffallen. Doch der erfahrene Hauptinquisitor hatte das Fehlen eines wichtigen Puzzleteils erkannt und kam sofort darauf zu sprechen.

      »Eine schöne Geschichte, die Sie uns da erzählt haben, Institoris. Wenn ich nicht stichhaltige Beweise vorliegen hätte, die teilweise eine andere Sprache sprechen, hätte ich Ihnen wahrscheinlich jedes Wort geglaubt. So aber muss ich das meiste, was Sie berichtet haben, in Zweifel ziehen. Vor allem eine Sache ist mir noch unklar: Warum fuhren Sie zu dem verlassenen Grundstück neben dem Friedhof? Woher hatten Sie diese Adresse?«

      Michael hatte zwar gehofft, Becker würde die Auslassung nicht bemerken und es ihm damit ersparen, eine bewusste Unwahrheit zu erzählen, die ihm später zum Verhängnis werden konnte, sich aber sicherheitshalber vorweg eine halbwegs plausible Erklärung zurechtgelegt, die er jetzt nachreichte: »Tut mir leid, Becker, aber das muss ich bei all den Details vergessen haben. Um es kurz zu machen, es war der Magier Schott, der mir von der aufgegebenen Gärtnerei erzählte und die Adresse nannte.« Michael hatte seine Begegnung mit dem Magier im Großen und Ganzen so erzählt, wie sie sich zugetragen hatte, und nur verschwiegen, dass Schott bewaffnet gewesen war, auf ihn geschossen hatte und die Pistole am Ende unter dem Schrank gelandet war.

      Er senkte unauffällig den Blick, um die Kerbe im Holz des Tisches anzusehen, die noch immer wie eine frische Wunde aussah, richtete die Augen aber sofort wieder auf sein Gegenüber, der nichts bemerkt zu haben schien. Michael fragte sich, wie seine Kollegen sich diese Furche im Holz erklärten. Sie hatten mit Sicherheit die entsprechende Kugel in der Wand gefunden, sichergestellt und untersucht. Dabei mussten sie festgestellt haben, dass sie weder aus Michaels noch aus Königs Dienstwaffe stammte. Michael rechnete insgeheim damit, dass dieses Thema früher oder später zur Sprache kommen würde, und dachte in einem Hinterstübchen seines Verstandes über plausible Antworten nach, während er sich gleichzeitig auf Beckers Reaktion auf seine Erklärung konzentrierte.

      »Soso, Schott hat Ihnen davon erzählt. Und in welchem Zusammenhang tat er das? Ich meine, der Gegner plaudert ja in der Regel nicht ohne Grund eine geheime Anschrift aus, oder? Und geschah das, bevor oder nachdem er von diesem ominösen Anrufer durchs Telefon erwürgt wurde?« Becker verzog keine Miene, doch Michael sah ihm an, dass ihn sein eigener schlechter Scherz belustigte. Steinbach besaß weniger Selbstbeherrschung und kicherte im Hintergrund leise über die Worte des Kollegen.

      Michael ließ sich durch den Spott nicht aus der Reserve locken, wie es der Hauptinquisitor zweifellos geplant hatte. Er nutzte die Zeit, bis Steinbachs Kichern verstummte, um sich eine Erklärung zurechtzulegen, und antwortete betont ruhig und sachlich: »Wie ich schon sagte, fragte ich Schott nach seinem Auftraggeber. Er konnte mir zwar nicht den Namen nennen, weil ihn ein innerer Zwang – möglicherweise ein unter Hypnose implantierter Befehl – daran hinderte, aber zumindest den Ort, an dem er die Anweisungen eines vermummten Mannes in einer Mönchskutte und seines Begleiters, eines Gestaltwandlers namens Butcher, erhielt. Der Magier nannte nicht nur die Anschrift, sondern beschrieb auch das vernachlässigte Grundstück der ehemaligen Gärtnerei. Nach seinen Worten fand das Treffen in einem Raum im Erdgeschoss des Gebäudes statt, das unmittelbar an die Friedhofsmauer grenzte und eine fensterlose Ruine war. Schott blieb nichts anderes übrig, als mir alles zu offenbaren, was er wusste, da mein Schuss seine Schulter durchbohrt hatte. Er blutete stark und fürchtete, zu sterben. Ich versprach ihm, einen Notarzt zu rufen, sobald er mir alles gesagt hatte, was er wusste. Allerdings kam es nicht dazu, weil Butcher – bei dem es sich um einen engen Vertrauten des Vermummten handelt, wie später auch der Vampir Abraham bestätigte – hier anrief und Schott durch die Nennung eines einzigen Schlüsselwortes tötete. Vermutlich handelte es sich um einen Befehl aus der Sprache der Dämonen, der während einer Hypnosesitzung in Schotts Unterbewusstsein verankert worden war und dazu führte, dass Schott aufhörte zu atmen, sobald er das Wort gehört hatte. Ich musste mit ansehen, wie er dort drüben ohne jede sichtbare Fremdeinwirkung elendig erstickte und nicht das Geringste dagegen tun konnte. Es muss sich um einen extrem mächtigen posthypnotischen Befehl gehandelt haben, wenn er sogar die Kräfte eines erfahrenen und starken Magiers wie Schott überstieg und mühelos den Selbsterhaltungstrieb seines Körpers überwand. Dies sollte uns nicht zu makabren Späßen, sondern vielmehr dazu veranlassen, uns Gedanken darüber zu machen, welche Mächte hier am Wirken sind und im Hintergrund die Fäden ziehen. Und dass es posthypnotische Befehle dieser Art gibt, sollte Ihnen als erfahrenem Inquisitor bekannt sein, Becker, sodass Sie sich jeglichen Spott darüber sparen können. Allenfalls das Ausmaß und die Effizienz von Schotts Ermordung durch Nennung eines einzigen telefonisch übermittelten Begriffs sind erschreckend und sollten uns allen ebenfalls Anlass zur Sorge und zu weiteren Nachforschungen geben.«

      Becker hatte Michaels ausführlicher Erklärung aufmerksam zugehört, die Stirn als Zeichen höchster Konzentration in Falten gelegt und ihn nicht ein einziges Mal unterbrochen. Dennoch war ihm die Skepsis deutlich anzusehen, als er missbilligend den Kopf schüttelte und Michael misstrauisch ansah. »Woher wussten Sie überhaupt, dass es sich bei dem Anrufer um diesen Gestaltwandler Butcher handelte? Erkannten Sie seine Stimme von einer früheren Begegnung?«

      Wenn Becker meinte, Michael mit dieser Fangfrage aufs Glatteis locken zu können, war er mehr als naiv. Wahrscheinlicher war, dass er sein übliches Repertoire abrief, ohne ständig darüber nachzudenken, dass er einen Kollegen vor sich sitzen hatte.

      Michael hatte alle Begegnungen mit Butcher detailliert geschildert. Mit Ausnahme des Telefonats hatte er kein einziges Mal mit ihm gesprochen. Wenn er eingeräumt hätte, dass er Butcher an seiner Stimme erkannt hatte, hätte er logischerweise schon vor dieser Nacht mit dem Gestaltwandler Kontakt haben müssen. Dies hätte dem Hauptinquisitor neue Munition für seine Bemühungen geliefert, Michael des zweifachen Mordes zu überführen, denn es hätte den Inquisitor als Verräter erscheinen lassen, der mit dem Feind auf vertrautem Fuß stand. Michael war all das und die Zielsetzung der Frage bewusst, aber da er zumindest in dieser Hinsicht ein reines Gewissen und keinen Grund hatte, die Unwahrheit zu sagen, blieb er gelassen.

      »Wie ich Ihnen schon sagte, sah ich Butcher vor dem Telefonat nur ein einziges Mal, als er vor dem Hexenhaus in die Schwarze Lucy verladen wurde. Er sprach kein Wort, sondern beschränkte sich darauf, mich mit intensiven und finsteren Blicken anzustarren. Dennoch wusste ich zu Beginn des Telefonats intuitiv, dass ich es mit ihm zu tun hatte, obwohl er seinen Namen nicht nannte. Kurz darauf flüchtete er aus dem Glaspalast, verwandelte sich in einen Wolf und verschwand in der Dunkelheit. Später nannte der Vampir Abraham Butchers Namen und erzählte, dass er ein Vertrauter des geheimnisvollen Auftraggebers Janus sei.« In Wahrheit hatte nicht Abraham, sondern Ghost als Erstes den Namen des Gestaltwandlers genannt, doch Michael blieb bei seinem Vorhaben, sie aus dem Spiel zu lassen, und passte seine Geschichte dem an.

      Becker brummte etwas Unverständliches und brachte dadurch seinen Unmut darüber, dass die Vernehmung nicht so verlief, wie er sich das insgeheim vorgestellt hatte, deutlich zum Ausdruck. Da er mittlerweile einsehen musste, dass er weder durch die momentane Befragungsart noch durch das gewählte Thema Erfolge erzielen konnte, würde er demnächst vermutlich sowohl die Technik als auch den Gegenstand des Verhörs ändern. Michael fragte sich, ob die beiden Inquisitoren auf das bekannte Spielchen »Guter Inquisitor, böser Inquisitor« zurückgreifen