Eberhard Weidner

INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei


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gestellte Fragen antworten zu müssen.

      »Ich weiß, dass Sie mir kein Wort von dem glauben, was ich Ihnen erzählt habe, Becker«, sagte Michael und sah den Hauptinquisitor eindringlich an. »Doch eine Sache sollten Sie bei alldem nicht aus den Augen verlieren. Und leiten Sie meine Worte bitte an Generalinquisitor Brunner weiter, falls er nicht ohnehin davon erfährt.« Für den Bruchteil eines Augenblicks, aber für Becker deutlich wahrnehmbar, lösten sich Michaels Augen von denen des Hauptinquisitors und richteten sich auf den Einwegspiegel, als könnte er trotz der Spiegelung hindurchsehen und erkennen, wer sich dahinter befand. Aber selbstverständlich war es nur eine naheliegende Vermutung, mit der er Becker nicht beeindrucken konnte. Als er weitersprach, bemühte er sich daher, den Hauptinquisitor möglichst entschlossen anzusehen, um seinen Worten zusätzliche Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit zu verleihen, auch wenn er ahnte, dass er damit allein an der Überzeugung seines Gegenübers, den wahren Täter vor sich zu haben, wenig ändern würde. »Mir ist klar, dass Sie mir nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich die Morde nicht begangen habe, die mir zur Last gelegt werden. Jemand treibt hier ein hinterhältiges Spiel und versucht, mir die Taten in die Schuhe zu schieben, die er selbst oder durch seine Handlanger begangen hat. Nehmen wir einfach einmal an, dass ich es wirklich nicht war. In diesem Fall sitzt der wahre Verräter noch immer unerkannt in den Reihen der Inquisition und kann weiterhin ungehindert sein Unwesen treiben. Sie sollten sich also im eigenen Interesse nicht zu sehr auf mich als mutmaßlichen Täter versteifen, sondern auch andere Alternativen ins Auge fassen. Sonst könnte es für uns alle früher oder später ein böses Erwachen geben.«

      »Ist das alles?« Becker hatte sich auf seinem Stuhl nach hinten gelehnt und die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt. Ihm war deutlich anzusehen, dass er das, was Michael von sich gab, für Schutzbehauptungen oder neue Täuschungsmanöver hielt, und es als pure Zeitverschwendung betrachtete, in andere Richtungen zu ermitteln, wo sie den Täter längst in sicherem Gewahrsam hatten.

      »Im Prinzip schon. Aber eine Frage habe ich noch an Sie.«

      Becker nickte. »Nur zu, fragen Sie. Ich kann Ihnen allerdings nicht versprechen, dass Sie eine Antwort bekommen. Sie kennen das ja selbst, Institoris, schließlich waren Sie einmal einer von uns.«

      Michael ließ sich von dieser neuerlichen Provokation nicht aus der Reserve locken. Ganz egal, was Becker sagte, er war noch immer Inquisitor, auch wenn er aufgrund der Anschuldigungen vorübergehend suspendiert war. »Sagen Sie, wie konnten sich die Luziferianer so ungestört im ganzen Gebäude bewegen und ihre Fähigkeiten uneingeschränkt zur Anwendung bringen? Dies sollte doch ausgeschlossen sein, weil das Hauptquartier von hochwirksamen Bannern geschützt wird?«

      »Das sollten gerade Sie am besten wissen, Institoris«, entgegnete Becker und grinste humorlos. »Die Banner wurden natürlich zerstört. Andernfalls hätten die Dämonendiener weder die unterirdischen Stockwerke verlassen noch ihre Kräfte anwenden können. Wir gehen davon aus, dass dieselbe Person, die den Wachmann und Inquisitor König tötete und die Luziferianer befreite, vorher die Bannsprüche beseitigte.«

      »Aber wie ist so etwas möglich? Ich nahm an, die Banner wären fest in die Substanz des Hauses integriert und damit unzerstörbar, solange man nicht das ganze Gebäude in die Luft sprengt.«

      Becker verzichtete diesmal darauf, seinen Unglauben über die von Michael demonstrierte Ahnungslosigkeit zum Ausdruck zu bringen, sondern beantwortete stattdessen sachlich Michaels Frage: »In einem Raum im Dachgeschoss wurde eine weitere Leiche entdeckt. Dort wurden ein Menschenopfer dargebracht und ein finsteres Ritual durchgeführt, mit dessen Hilfe sämtliche Bannsprüche in den Fundamenten und Mauern des Hauses im Prinzip ausradiert wurden. Im Moment ist unser Hauptquartier ebenso ungeschützt wie nahezu jedes andere Gebäude in dieser Stadt. Es kann Wochen dauern, den Schutz komplett zu erneuern und den alten Zustand wiederherzustellen. In der Zwischenzeit könnte jeder Luziferianer ungestört hereinmarschieren und mithilfe seiner Fähigkeiten größtes Unheil anrichten. Aus diesem Grund wird seit heute früh jeder, der den Glaspalast betreten will, genauestens kontrolliert und Unbekannten grundsätzlich kein Zutritt gewährt.«

      »Der Leichnam im Dachgeschoss – handelte es sich dabei ebenfalls um einen Mitarbeiter der Inquisition?«

      »Nein. Vermutlich war es eine Prostituierte. Niemand weiß, wie sie ins Gebäude gelangte. Vielleicht hätte uns der diensthabende Wachmann mehr darüber sagen können, aber bedauerlicherweise ist er dazu nicht mehr in der Lage. Und alle Aufzeichnungen der Überwachungskameras im Gebäude wurden gelöscht. Die Haustechniker sind noch damit beschäftigt, die Anlage wieder in Gang zu bringen, aber das kann noch eine Weile dauern.«

      Michael nickte nachdenklich, während er diese Informationen verarbeitete. Es wunderte ihn zwar, dass sich der Hauptinquisitor plötzlich so auskunftsfreudig gab, doch er gedachte, diesen Umstand auszunutzen, solange er anhielt. »Ich war nicht allein, als ich ins Hauptquartier zurückkehrte. Wissen Sie, was mit meiner Begleiterin geschah?«

      »Sie meinen die Italienerin?«

      Michael nickte. Da er in Begleitung einer einzigen Frau gewesen war, war eigentlich jede Verwechslung ausgeschlossen. Außerdem dürfte es aufgrund der verschärften Sicherheitsmaßnahmen nicht viele Fremde geben, die sich derzeit im Gebäude aufhielten.

      »Die Frau wird in Verhörraum 4 von einem Kollegen vernommen.«

      »Warum? Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu tun, ist selbst nur ein Opfer der Luziferianer. Hören Sie zu, Becker! Sie ist unschuldig! Lassen Sie sie bitte laufen.«

      »Ob die Frau unschuldig ist oder nicht, wird sich bei der Befragung herausstellen. Apropos unschuldig: Bleiben Sie bei Ihrer Aussage oder möchten Sie nicht doch ein vollumfassendes Geständnis ablegen? Vielleicht würde es die Freilassung Ihrer Begleiterin beschleunigen, wenn Sie uns überzeugen könnten, dass die Frau tatsächlich nichts mit alldem zu tun hat.«

      Michael seufzte und schüttelte entschlossen den Kopf. »Wann kapieren Sie es endlich, Becker? Es gibt nichts zu gestehen! Ich habe weder König noch den Wachmann ermordet. Und ich bin auch kein Verräter, der mit den Dämonen und ihren Handlangern paktiert. Ganz im Gegenteil: Letzte Nacht war ich ihnen ständig auf den Fersen, bis ich ihre Spur verlor. Ich tötete eine große Zahl Luziferianer und einen Besessenen, sodass der Dämon in die Hölle fahren musste. Offensichtlich sehen die Gegner in mir eine ernsthafte Bedrohung für ihre Pläne, sodass sie jetzt alles daransetzen, mich aus dem Verkehr zu ziehen, indem sie mir Morde und andere Straftaten in die Schuhe schieben, weil es ihnen zahlreiche Male misslang, mich zu töten. Und wenn Sie mir weiterhin nicht glauben und mich gefangen halten, dann spielen Sie dem Feind nur in die Hände, Becker. Ich beschwöre Sie, lassen Sie mich gehen! Gemeinsam wird es uns gelingen, meine Unschuld zu beweisen und die Verschwörung aufzudecken.«

      Becker lachte humorlos und schüttelte den Kopf. »Netter Versuch, Institoris, das muss ich Ihnen lassen. Fast möchte man Ihnen Ihre Unschuldsbeteuerungen abnehmen, so überzeugend hören Sie sich an. Aber eben nur fast. Die Beweise, die das Gegenteil von dem sagen, was Sie uns die ganze Zeit vorbeten, wiegen schwerer. Deshalb werde ich den Teufel tun und Sie laufen lassen. Abgesehen davon, dass unsere Vorgesetzten das nicht billigen und mich ans Kreuz nageln würden. Nein, Institoris! Sie bleiben schön hier, wo wir Sie unter Kontrolle haben, und können sich erst einmal in Ruhe Gedanken darüber machen, ob Sie nicht Ihr Gewissen entlasten und mit der Wahrheit herausrücken, bevor es für strafmildernde Absprachen zu spät ist.«

      Damit war die Vernehmung vorerst beendet. Becker erhob sich von seinem Platz, knöpfte sein Jackett zu und strich den Stoff glatt, bevor er Steinbach mit Handzeichen aufforderte, ihm zu folgen. Dieser stieß sich gehorsam von der Wand ab, gegen die er stumm gelehnt hatte. Er steckte Fernseher und Videorekorder aus, rollte die Kabel zusammen und schob den fahrbaren Tisch zur Tür.

      »Wir lassen Sie für eine Weile allein, Institoris. Ich werde in der Zwischenzeit Ihre Angaben überprüfen, soweit sie nachprüfbar sind. Ich will mir hinterher nicht nachsagen lassen, ich hätte einseitig ermittelt und nicht alle Spuren verfolgt. Ihnen empfehle ich, die Zeit ebenfalls zu nutzen und noch einmal ernsthaft darüber nachzudenken, ob Sie Ihre Aussage nicht der Beweislage anpassen wollen.«

      Nach diesem letzten Appell an Michaels