Birgid Windisch

Kurschattenwalzer


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das Motiv dieses brutalen Mörders,“ murmelte Magda besorgt vor sich hin und trat einen Stein beiseite, der auf dem Weg vor ihnen lag. „Ihr seid doch noch ganz am Anfang“, gab Herbert ruhig zu bedenken. Seine Magda wollte immer alles am liebsten sofort aufgeklärt und eingetütet haben. „Du wirst sehen, es wird bald einen Durchbruch geben!“ „Dein Wort in Gottes Ohr“, brummte Magda und zog die Augenbrauen zusammen. „Ich möchte nicht unbedingt, dass wir für den Durchbruch weitere Morde benötigen. Irgendwie habe ich ein ganz blödes Gefühl – so in etwa, wie bei den anderen Fällen, die wir zuvor hatten.“ „Das könnte natürlich sein“, räumte Herbert ein, legte den Arm um sie und zog sie zärtlich an sich. „Aber jetzt sind wir draußen, in der Natur und du kannst abschalten – du musst es sogar. Wie sollst du sonst deine Batterien aufladen?“ Magda sah dankbar zu ihm auf und betrachtete das schön gestaltete Holzschild mit der Bezeichnung >Obrunnschlucht< mit einem Reh darauf, das vor einem roten Mauerhintergrund unter Tannenbäumen aus einem Bach trank.

      „Die ganze Schlucht schaffen wir sicher nicht jetzt, aber vielleicht können wir ja das Stück rechts hinunter wenigstens laufen!“ Magda sah Herbert fragend an, der zustimmend nickte. Sie liefen an einigen Informationsschildern vorbei und blieben kurz an einem Wegweiser stehen, mit den Bezeichnungen der Wanderwege und der Streckenlänge. Rechts hatten sie ein Holzauto mit Sitzen für Kinder aufgebaut, dem Auto von Fred Feuerstein nachempfunden, dann ging es schon an den recht steilen Abstieg, ein Weglein hinab, direkt an dem Obrunnbach gelegen. Entlang des Baches befanden sich zahlreiche Miniaturgebäude, liebevoll und detailreich gestaltet von engagierten Höchster Bürgern, wie Magda ihrem Herbert beim Laufen erzählte. Sie bewunderten das Dornröschenschloss, die Schwanenburg, das Haus Waldesruh, das Hotel zur Post, die Windmühle, eine funktionierende Wassermühle und den Mäuseturm, da klingelte Magdas Telefon. Nervös fummelte sie es aus ihrer Jackentasche und rief hektisch: „Magda Wild!“ Annes Stimme klang so laut aus dem Hörer, dass Herbert problemlos mithören konnte. „Was ist los? Ein Zeuge hat sich gemeldet?“ Sie lauschte angestrengt. „Ja, wir kommen!“ Sie bedeutete Herbert und Fränzchen, die sie beide erwartungsvoll ansahen, dass sie leider umkehren mussten und leise seufzend begaben sie sich auf den Rückweg.

      S I E B E N

      Aufmerksam las das Geschöpf noch einmal seinen Brief durch, wobei es mit dem Finger die Zeilen entlangfuhr. Ja, so konnte es gehen, befand es. Auf jeden Fall würde der Brief den Empfänger neugierig machen und mit ein wenig Glück, würde die Neugier siegen und bald ein weiterer Todesfall zu beklagen sein. Es kicherte leise vor sich hin, faltete das Blatt Papier und steckte es in ein Kuvert, das es sorgfältig zuklebte, ohne es ablecken zu müssen, weil es über eine selbstklebende Klappe verfügte.

      Dann drückte es vorsichtig seine sorgfältig bemalten, knallroten Lippen auf die Kuvert-Rückseite und malte ein rotes Filzstiftherz drumherum. Na, wenn das nicht verlockend war, wusste es auch nicht.

      Es würde den Brief nachher, mit noch einigen anderen in die Post geben und der Dinge harren, die daraufhin geschehen würden. Liebevoll nahm es den kleinen Briefstoß in die Hand und blätterte ihn lächelnd durch.

      Dann wanderte sein Blick nach links, auf einen kleineren Stoß. Es mochten etwa vier Briefe sein und es nahm sie voller Vorfreude in die Hand. Immerhin hatten sie fast alle geantwortet, was allein schon als gutes Zeichen zu werten war. Es öffnete das erste Kuvert und begann langsam und genüsslich zu lesen. Unwillkürlich entfuhr ihm ein unkontrolliertes Kichern und es legte den Brief sorgfältig wieder zurück ins Kuvert. Dann stand es auf und trat vor eine große Tafel, die von oben bis unten mit Bildern in Postkartengröße bedeckt war. Fast wie bei der Polizei, nur andersrum!

      Irrsinnig klingendes Gelächter füllte den Raum und erschrocken sah es sich um. Das fehlte noch, dass es jemand vorzeitig hier entdeckte. Es wollte diesmal zum ersten Mal im Leben alles ohne Hilfe, oder gar Bevormundung machen und die Anerkennung für seine so hervorragende Arbeit alleine erhalten. Ungehalten schüttelte es über seine Unbeherrschtheit den Kopf. Als alles ruhig blieb, steckte es die vier Briefe, die es in der Hand hielt, mit Stecknadeln an die Tafel und drehte sich um. Es löschte das Licht, ließ alles liegen, wie es war und verließ, mit einem letzten liebevollen Blick zurück, den Raum. Es schloss die Tür zweimal zu, schaltete den Alarmknopf ein und ging leise die Kellertreppe hoch, wobei es darauf achtete, geräuschvoll aufzutreten. Zur Tarnung hatte es eine Flasche Wein in der Hand, die es aus einem anderen Kellerraum geholt hatte und pfeifend betrat es das Wohnzimmer.

      „Hallo meine Liebe“, grüßte es die zusammengesunkene Gestalt im Rollstuhl am Fenster, „ich bin´s!“ Es lächelte die stille Gestalt an, doch sie zeigte keine Regung.

      A C H T

      Atemlos stürmte Magda, mit Fränzchen und Herbert auf den Fersen, in den Raum. „Wo ist er!“ Verständnislos sah Ben von seinem Bericht auf, „wo ist wer?“ „Na ihr habt doch angerufen, ich solle schnell kommen, es seien neue Gesichtspunkte aufgetaucht, Zeugen, oder Briefe, oder was weiß ich!“ Ungeduldig ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen, während Fränzchen in seinem Körbchen hinter ihr, bereits leise zu schnarchen begonnen hatte. Herbert war draußen in die Miniküche geschlendert, wo er Magda und sich selbst, eine Tasse Kaffee einschenkte.

      „Anne ist eben zu Susi gefahren, die anscheinend einige neue Erkenntnisse hat“, erklärte Ben, mit den Augen an seinem Bericht weiter klebend. „Aber sie sagte doch, ein Zeuge habe sich gemeldet!“ Magda war außer sich – das war mal wieder typisch für ihre jüngere Kollegin Anne. Immer zwei Schritte auf einmal lospreschen.

      „Ach so, der!“, Ben schwenkte ein Blatt Papier in der Hand. „Entschuldige bitte Magda, ich war gerade mit den Gedanken ganz woanders!“ Er reichte ihr das Blatt und überhörte ihr erregtes Gemurmel: „Eine haut ab und der andere weiß von nichts, weil er gedankenabwesend ist!“ Er stand auf. „Ich bin nur bei unserem Fall mit den Gedanken und nirgendwo anders! So gut solltest du mich kennen!“

      Gereizt warf Ben sein Heft auf den Tisch. „Tut mir leid“, meinte Magda kleinlaut. Sie war immer so schnell oben draus, aber ebenso schnell wieder unten und es war eine ihrer größten Stärken, dass sie einen Fehler zugeben konnte, ohne sich einen Zacken aus der Krone zu brechen. „Hier hast du ein paar Nüsse!“ Großzügig gab sie ihm ein paar ihrer kostbaren Walnüsse, die sie täglich auf dem Weg zur Arbeit zusammenlas. Brummelnd steckte Ben sie ein, wusste er doch, wie sehr Magda ihre Nüsse liebte und nahm es als das Friedensangebot, das es schließlich auch war und reichte ihr das Blatt Papier, das ihm Anne in die Hand gedrückt hatte, als sie das Haus verließ.

      Stirnrunzelnd versuchte Magda, Annes Sauklaue zu entziffern und Ben nahm es ihr seufzend wieder aus der Hand, um deren Notiz vorzulesen: „Ein Mann rief an, wollte seinen Namen nicht nennen, die Stimme klang schon etwas älter. Er sagte, er wäre abends unterwegs gewesen in den Seeanlagen, in der Nähe vom Minigolfplatz und dort habe er spät in der Nacht ein Pärchen gesehen, das ihm recht skurril vorkam. Der Mann war klein und untersetzt und die Frau, so es denn überhaupt eine war, groß und schlank. Sie überragte ihn um mindestens zwei Kopflängen. Er sagte noch, er hätte sich gedacht, dass es umgekehrt besser passen würde und dann habe er sie aus den Augen verloren, weil er in Richtung Minigolfplatz gegangen sei und die beiden Hübschen den Weg zum großen See eingeschlagen hatten.“ „Moment mal“, Ben sah auf. „hat nicht vorhin jemand gesagt, gestern sei beim Minigolfplatz eingebrochen worden?“ Magda schmunzelte unwillkürlich: „Aha, deshalb wollte er seinen Namen nicht nennen. So ein Schlawiner!“ Ben und Magda sahen sich an und prusteten beide gleichzeitig los. „Der Einbrecher war´s und nicht die Lerche“; kicherte Magda hemmungslos und Ben konnte vor lauter Lachen kein Wort hervorbringen.

      „Nun gut, er hat niemanden erkannt?“ Sie sah Ben fragend an. „Leider nicht“ gab Ben mit enttäuschtem Gesichtsausdruck zurück. „Nur, dass ihm die beiden bekannt vorgekommen seien, aber er sei sich dennoch sicher, sie noch nie miteinander gesehen zu haben.“