Dieter Steichler

Der Konzeptionist


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      Dieter Steichler

      Der Konzeptionist

      Neuausgabe No smoKing

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       Verlagslogo

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Ein teuflischer Auftrag

       Eine brisante Präsentation

       Dekadente Wettkämpfe

       Stoppt der Helikopter, floppt er

       Eine unausladbare Einladung

       Wiedersehen ohne Wiederkehr

       Fern von Frankfurt, eine neue Liebe

       Omnibus plus bibamus

       Abfahrt von einer Ankunft, eine Illusion

       Man will, will nicht, will doch

       Slam-Poetry statt neuer Liebe

       Lebe wohl, deutscher Mann

       Impressum neobooks

      Ein teuflischer Auftrag

      Frankfurt am Main. Werktag im Zoo, kaum Besucher, Alltagsarbeit. Im Katzendschungel verlegten zwei Pfleger, ein jüngerer und ein älterer, ein Löwenpaar in einen freien Nachbarkäfig. Routinemäßig, um sauber zu machen. Der kurze Gang war durch Gitter gesichert. Der Löwe trottete als erster hinüber, denn dort drüben stand jetzt das Fressen, um die Raubtiere hinüber zu locken, rohe Eingeweide vom Rind. Die Löwin hatte keine Lust oder keinen Appetit. Oder beides. Man rief sie, lockte sie mit kleinen Häppchen.

      Da geschah das Unfassbare. Zehntausend Mal war nichts passiert. Es hätte auch jetzt nicht passieren dürfen. Es war in keinem Notfallplan vorgesehen. Der ältere Pfleger stupste die Löwin mit einer Holzstange, um sie zum Aufstehen zu bewegen. Der jüngere stand an der offenen Gittertür zum Nachbarkäfig und rief:

      „Dira, komm', Dira, komm', komm'...”

      Doch die Löwin blieb liegen.

      Urplötzlich drehte sich der Löwe vom Fressen weg und wollte zurück. Um ihm den Rückweg abzuschneiden, ließ der jüngere Pfleger den Schieber herunter, konnte aber nicht verhindern, dass die Pranken dazwischen klemmten. Mit dumpfem Grollen drückte der Löwe nun gegen das Gitter. Aber gegen die schweren Eisenstäbe kam er natürlich nicht an, was ihn noch mehr reizte. Um ihn zu beruhigen und dazu zu bewegen, die Pranken zurück zu ziehen, stieg der jüngere Pfleger mit einem Stock in den Gang, wohlmeinend, dass die Löwin weiter bockte. Diese war jedoch im gleichen Moment aufgesprungen und in den Gang gelaufen, wo sie von hinten auf den Pfleger traf.

      Der ältere warnte den jüngeren mit einem spitzen Schrei, der die wenigen Besucher – darunter einen mit rotem Hut und gelbem Mantel – schlagartig erstarren ließ. Zu spät! Der Gang war versperrt. Die Augen der Löwin suchten einen Ausweg. Im Sprung vorwärts bremste sie ab und stellte sich hoch. Beim seitwärts ausweichenden Aufrichten drückte die massige Katze den Pfleger ungewollt von hinten so fest gegen das Gitter, dass dessen Brustkorb gequetscht wurde. Mehrere Rippen brachen. Eine drang in die Lunge. Schaumiges Blut quoll aus dem Mund.

      Der junge Pfleger konnte erstickend seinen Kopf noch zur Löwin drehen. Sie sah ihn fast entschuldigend mit großen Augen an. Er starb wenige Minuten später, weil die Lunge versagte. Seine letzten, kaum hörbaren Worte waren:

      „Ich mochte sie und sie mich, sie hätte nie nach mir geschlagen oder gar gebissen.“

      Die Löwin lief irritiert zurück. Der Löwe zog die Pranken ein. Für ein paar Minuten herrschte Totenstille. Dann lief die Rettungsmaschinerie an, obwohl nichts mehr zu retten war. Der Besucher mit dem roten Hut und dem gelben Mantel dachte rein pragmatisch an menschliches und tierisches Versagen, gleichzeitig. Er lag damit gar nicht so schlecht.

      Zwei Tage zuvor. Wenn an einem Werktag die Sonne scheint, und sei es auch nur die fahle Herbstsonne, so sollte der Werktag eigentlich Sonnwerktag heißen, dachte Tillmann Textor. Kurz nach elf Uhr begann er wie immer ganz langsam seinen Arbeitstag. Der Anrufbeantworter hatte die Stimme eines älteren, eindeutig schweizerdeutsch sprechenden Mannes aufgezeichnet. Das war eine sehr angenehme Überraschung. Als Konzeptionist hatte Textor für Schweizer Unternehmen schon einige Kampagnen, hauptsächlich in Sachen Public Relations, entwickelt, und obschon das viele Jahre zurücklag, behielt er die Eidgenossen in stets guter Erinnerung. Die Zusammenarbeit war offenherzig, man feilschte weder um seine Ideen noch um seine Honorare, >Leben und leben lassen< schwang immer mit. Wenn er da an manche deutschen Auftraggeber dachte, die in seine Texte hineinredeten, nur weil sie glaubten das Alphabet zu beherrschen, das sie in der Grundschule mit mehr oder weniger Erfolg gelernt hatten, dann war dieser Anruf wirklich angenehm, spontan betrachtet.

      Wie gewünscht rief Tillmann Textor zurück, und sofort wurde ein Termin vereinbart. Doch nicht im Büro, sondern einen Treffpunkt im Zoo schlug der Schweizer vor, übermorgen Nachmittag im Katzendschungel, genau gesagt bei den Löwen. Erkennungszeichen roter Hut und gelber Mantel. Um vierzehn Uhr. Plus minus zehn oder ein paar Minuten mehr. Echt schade, dachte Textor. Normalerweise besuchten ihn Auftraggeber in seinem Büro im Großen Hasenpfad, das er ultimativ modern eingerichtet hatte, mit einer sündhaft teuren Tech-Group-Anlage, in Chromstahl und schwarzem Edelholz sowie ultramodern geformtem Kunststoff. Mit verdeckten Kabelkanälen und integrierten Lampen. Modernes, edles Design. Inklusive schweren Leder-Drehsesseln. Und passenden Besuchersesseln. Textor war auf das gelungene Ambiente so stolz, dass er es gern jedem Besucher präsentierte, nur diesmal egal...

      Zwei Tage später. Also der Übermorgen. Diesmal ohne Sonne, nur mittelmäßige Temperaturen, mal nass, mal trocken. Zirka vierzehn Uhr. Textor hatte wie jeden Werktag noch einen Termin, dessen Länge er nie genau einzuschätzen wusste: Das Mittagessen in einer unweit von seinem Büro gelegenen Brauerei-Kantine, wo er schon manche Brau- und Brunnenfürste getroffen hatte, die ihn mit Freibier aus der kreativen Ecke lockten, um ihr starres Marketing mit einem kleinen Blümchen Ideenreichtum zu dekorieren. Das dauerte dann bis in den späten Nachmittag und endete manchmal in der Kneipe unterhalb der Brauerei. Den Rest erledigten Taxifahrer.

      Zum Glück für den Schweizer traf Textor beim Mittagessen diesmal niemanden. Er kam trotz Hochbetrieb in der Kantine relativ pünktlich los. Von seinem Büro in Sachsenhausen bis zum Zoo brauchte er höchstens zehn Minuten. Auf dem Weg dahin musste Textor mit seinem alten Porsche allerdings ein paar Mal fast anhalten, weil mehrere Fahrzeuge mit Blaulicht und Sondersignal freie Fahrt beanspruchten. Erst raste ein Notarztwagen in halsbrecherischem Tempo an ihm vorbei. Dann folgte ein Krankenwagen. Und kurz vor dem Haupteingang am Alfred-Brehm-Platz überholte ihn noch ein Streifenwagen, der hinter einem offen stehenden Tor in einer roten Feuerwehreinfahrt zum Zoogelände verschwand.

      Textor hatte bereits seine sensiblen Antennen ausgefahren