Mann, der so viel Platz benötigte, war den Leuten suspekt. Von Neugier getrieben, hatten einige der Dorfbewohner an seine Tür geklopft, aber das Geheimnis, was sich hinter der dicken Tür verbarg, die am Ende des Hausflurs abging, hatten sie nicht gelüftet. Man war ihm argwöhnisch gegenüber getreten, doch im Laufe der Jahre hatten die Leute ihn und sein zurückgezogenes Leben hingenommen und mittlerweile sogar akzeptiert. Keiner von ihnen ahnte, dass er der Keyboarder und Songwriter der Centerstarks gewesen war und inzwischen Lieder für viele berühmte Bands, Sänger und Sängerinnen komponierte. Und das sollte seiner Meinung nach auch so bleiben. Er wollte hier an diesem gottverlassenen Ort ein normales Leben führen - unerkannt.
Die zwei zusätzlichen Zimmer waren zu einem Tonstudio ausgebaut worden - das war sein Heiligtum - sein Arbeitsbereich, in dem er gerade den neuen Song für eine junge aufstrebende Sängerin aus Amerika fast fertig komponiert hatte. Es fehlte nur ein wenig Feinschliff, aber für heute hatte er genug getan. Die Musikdatei würde er, nachdem er sie noch ein bisschen aufpoliert hätte, seinem Freund Darren nach Deutschland schicken, mit dem er zusammenarbeitete und unter dem Label Jam Beats bekannt war. Auch das wusste niemand. Jam Beats kannten viele in der Branche, jedoch ahnte keiner, wer sich dahinter verbarg. Bei öffentlichen Auftritten wurden sie durch den Pressesprecher Bobby Dawson vertreten, der früher auch die Centerstarks betreut hatte.
Darren hatte dieses absolute Gehör, das nur wenige besaßen, und er war dafür prädestiniert, Schwachstellen herauszuhören. Wenn er sang, wurden selbst hartgesottene Typen zu Heulsusen.
Entschlossen, die Arbeit hinter sich zu lassen, stand er auf und machte das Licht aus, bevor er in den älteren Teil des Cottages ging. Sein Magen knurrte, aber beim Blick in den Kühlschrank, konnte er nur gähnende Leere entdecken. Adam musste dringend einkaufen gehen, er hatte weder Gemüse noch Obst und erst recht kein Brot im Haus.
Leider war die örtliche Bäckerei seit kurzem geschlossen. Die gute Mrs Wilson war vor einigen Monaten an Demenz erkrankt und hatte für allerlei Trubel in dem kleinen Dorf gesorgt. Ihren beiden Söhnen, die bereits seit Jahrzehnten in Dundee lebten und dort eine Anwaltskanzlei betrieben, war ihrer Meinung nach nichts anderes übrig geblieben, als den Laden zu schließen. Mrs Wilson war nicht einverstanden gewesen, doch sie hatten sie ohne viel Aufhebens entmündigt. Als die zwei jedoch die gute Dame in ein Altersheim in der Großstadt bringen wollten, hatten alle aufbegehrt. Jeder im Ort kannte sie seit frühester Kindheit und niemand wollte ihr das antun, ganz nach dem Motto: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Ein städtisches Altersheim war ein Abstellgleis und das hatte Mrs Wilson einfach nicht verdient. Kurzerhand hatte man sie bei Mrs Reid einquartiert, die eine kleine Pension für Touristen führte. Die beiden Anwälte waren froh, das Problem, wie sie Mrs Wilson hinter vorgehaltener Hand nannten, los zu sein, und zahlten Mrs Reid einen guten Preis. Soweit Adam wusste, bekam sie das Doppelte von dem, was ein normaler Gast ihr zahlen würde. Den Söhnen tat es nicht weh, sie waren zwei reiche Schnösel, die nicht wussten wohin mit dem Geld. Das Altersheim hätte mit Sicherheit einen weit höheren Betrag veranschlagt. Es schien, als wenn die Einwohner des Dorfes mehr die Familie von Mrs Wilson waren, als ihre leiblichen Söhne, was alle sehr traurig gestimmt hatte.
Adam war schon oft solch karriereorientierten Menschen begegnet, aber in Bezug auf Mrs Wilson hatte ihn das dennoch sehr schockiert. Die eigenen Kinder sollten definitiv mehr Liebe ihrer Mutter entgegenbringen, schließlich waren sie doch ihr Fleisch und Blut. Auch Adam hatte die Dame in sein Herz geschlossen, was man von ihrem Nachwuchs ganz offensichtlich nicht sagen konnte. Sie war so etwas wie die gute Seele des Dorfes, und selbst in ihrem manchmal ein wenig verwirrten Zustand war sie herzallerliebst.
Und nun vermisste Adam die leckeren süßen Teilchen, die er so liebte, und vor allem das frisch gebackene Brot. Vermutlich nicht nur er. Der optische Eindruck des Ladens war eine Katastrophe gewesen, alles schien völlig veraltet und im vorigen Jahrtausend stehengeblieben zu sein. Aber alleine der Duft, der durch die Straße gezogen war, wenn sie den uralten Ofen mit allerlei Teigwaren beladen hatte, war suchtgefährdend gewesen. Sollte sich irgendwann einmal jemand dazu bereit erklären, eine Bäckerei zu eröffnen, würde derjenige zwar mit offenen Armen empfangen werden, aber zeitgleich wäre es nicht leicht die gute Mrs Wilson zu ersetzen. Dennoch hoffte Adam, dass es bald einen Mutigen geben würde. Lange würde er es nicht mit dem abgepackten Brot aushalten, das man im örtlichen Supermarkt kaufen konnte. Das hatte keinerlei Geschmack und er hatte eher das Gefühl, sich Fensterkitt in den Mund zu schieben, als ein vollwertiges Brot.
Beherzt griff er nach seinem Schlüssel und stieß einen kurzen Pfiff aus. Er sollte doch zumindest im Supermarkt etwas zum Essen finden, es musste ja nicht unbedingt Brot sein. Sofort kam Tyler angerannt und sprang ihm an den Beinen empor, immer wieder ein Bellen für sein Herrchen übrig.
Der Jack-Russel-Terrier hatte eines Tages vor seiner Tür gestanden und seitdem wohnten die beiden Männer zusammen. Keiner im Dorf wusste, wo der Hund hergekommen war, wobei Adam so manches Mal Mrs Wilson im Verdacht gehabt hatte, den kleinen Kerl einfach vor seinem Haus abgesetzt zu haben. Sie hatte ihm ständig in den Ohren gelegen, dass er viel zu einsam lebte und seit Tyler bei ihm war, hatte er davon nichts mehr gehört. Adam war es im Grunde genommen egal, wo sein Mitbewohner hergekommen war, denn er war sehr froh über den kleinen Wildfang, der sein Leben zwar ein wenig durcheinanderbrachte, aber definitiv bereicherte. Mittlerweile waren sie ein eingespieltes Team.
»Na komm, Tyler, wir schauen uns mal an, was es heute bei Stones zu kaufen gibt.« Mit schiefgelegtem Kopf und wedelndem Schwanz sah der Rüde ihm tatendurstig entgegen. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu dem kleinen Supermarkt.
KAPITEL 3
Fiona
Fiona war bereits wieder ein Stück auf der Straße zurückgelaufen, als sie endlich an einem der Häuser ein kleines metallenes Schild baumeln sah, das sie zuvor nicht bemerkt hatte. Es schwang im Wind, der mittlerweile stärker geworden war, hin und her und quietschte leise vor sich hin. Das war das einzige Geräusch, das weit und breit zu hören war.
Bed & Breakfast
Gut, zumindest das wäre geklärt, sie müsste heute nicht auf der Straße eines abgelegenen Kaffs in Schottlands Nirgendwo schlafen. Von außen wirkte das Häuschen recht einladend mit seinem altbackenen Charme.
In diesem Dörfchen war alles so friedlich und still. Wo waren nur alle? Das war irgendwie unheimlich. Fiona schüttelte über sich selbst den Kopf, so weit kam es noch, dass sie anfing, sich zu gruseln und zu ängstigen. Hey, sie kam aus Berlin, aus der Stadt, die niemals schlief. Da war es zwar nie so still, aber gruselige Gestalten liefen da allemal auf den Straßen herum. Wenn man sich dort nicht ängstigte, warum sollte man es hier tun?
Das blaue Gartentor ächzte, als sie es öffnete. Während sie die paar Meter bis zur Haustür zurücklegte, sah sich Fiona ein wenig um. Unter einem Fenster stand eine hölzerne Bank, die die gleiche Farbe wie der Zaun hatte, daneben eine tönerne Figur - eine Schildkröte, sie hatte eine rosa Schleife im nicht vorhandenen Haar. Mit großen Augen blickte das Tier zu ihr, grinste breit und streckte die Zunge heraus, ganz so, als würde es sich lustig machen über Fionas Misere. Die Bewohner dieses Hauses hatten offensichtlich einen gewissen Sinn für Humor, was für sie sprach.
Lächelnd drückte Fiona den Klingelknopf, um gleich darauf erschrocken zusammenzuzucken. Die Tonfolge des Big Ben ertönte in einer ohrenbetäubenden Lautstärke, vermutlich trugen nun die Bewohner des Cottages alle einen Hörschaden davon. Sämtliche Leute in dem Dorf wussten jetzt mit Sicherheit, dass die örtliche Pension einen weiteren Gast bekommen würde. Sie wollte sich schon umdrehen und gehen, da niemand kam, als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich jemand die Tür öffnete. Verwirrt japste Fiona nach Luft. Vor ihr stand eine Frau mittleren Alters, die eine grüne Pflegemaske aufgetragen hatte und ihre Haare mit Lockenwicklern malträtierte. Einen solchen skurrilen Anblick hatte Fiona seit ihrer Kindheit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Früher lief ihre Großmutter öfter mal so herum. Selbst das Kleidungsstück hätte zu der damaligen Zeit gepasst: eine Kittelschürze mit Blümchenmuster.
»Hallo Miss! Kann ich Ihnen helfen?« Es war gut, dass Fiona ein