Vivian Valentine

FCKNG New Year


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Es ist höchste Zeit diese Nacht zu vergessen.

      Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis wir wieder in Downtown Eastside angekommen sind.

      Der Schnee hat mittlerweile kein Erbarmen mehr und zuckert beinah die ganze Stadt. Es ist ungewöhnlich, dass es in Vancouver so viel schneit, denn obwohl wir in Kanada sind, gewinnt meistens der Regen in unserer Stadt.

      Routiniert steuert Josh den alten Wagen seines Vaters durch das Tor, welches zum Glück offensteht. Vor dem Eingang reihen sich ein Dutzend Harleys und auch ein paar andere Motorradmarken. Mein Traum ist eine nagelneue Harley-Davidson Street Bob zu besitzen, doch dafür habe ich aktuell weder den Status noch das Geld. Wir Prospects dürfen die alten Bikes fahren, welche abgelegt werden. Zudem müssen wir in der angrenzenden Werkstatt mitarbeiten, um alles über Motorräder zu lernen. Früher war die Werkstatt sogar mal ein offizielles Geschäft, doch seitdem Ice und sein Bruder Snow an der Spitze des MC stehen, wird darauf verzichtet. Der Vancouver Venom MC befindet sich seit etlichen Monaten im Umbruch, da der alte President den Club ganz schön runter gewirtschaftet hatte. Ice und sein zwei Jahre jüngerer Bruder versuchen nun, alles ins Reine zu bringen und vor allem dafür zu sorgen, dass wieder Geld in die leeren Kassen des MC kommt. Der Pres ist ein ehemaliger SEAL, der gute Kontakte zu Waffenhändlern und einigen anderen Gewerken hat. Seit er sich um die Geschäfte kümmert, geht es steil bergauf. Das ein oder andere Mal hat er mich sogar zum Schutz mitgenommen, wenn er was zu regeln hatte. Daher wurde mir als Prospect schon eine große Ehre zuteil, den Pres begleiten zu dürfen. Und auch meine alten Kontakte helfen mir dabei, mich im Club zu etablieren.

      Ein Schauder überläuft mich, als ich das Bike vom Pres entdecke. Ich habe Schiss vor dem Kerl, der seinen Namen nicht nur hat, weil er total blass und strohblond ist. Ice ist ein eiskalter Killer und nicht nur das. Es gibt haufenweise Gerüchte, die sich um den Veteranen ranken. Wer sich ihm in den Weg stellt, spürt seine Klinge. Er hat den Spleen, sein Messer, welches ihn schon in Afghanistan und Syrien begleitet hat, mit ins Bett zu nehmen. Messer ist untertrieben. Das Ding gleicht einer verdammten Machete und kann einen Mann wie ein Blatt Papier in zwei Teile schneiden.

      »Wolltest du heute noch mal aussteigen?« Ratlos sieht Josh mich an und reißt mich aus meinen Gedanken. Mein Kumpel grinst schief und gibt mir stumm zu verstehen, dass es keinen Sinn macht, das Unvermeidliche weiter hinauszuzögern. Ergeben nicke ich und steige aus dem Wagen. Bevor ich mich in die Höhle des Löwen begebe, schnappe ich mir noch zwei der Papptabletts mit dem Kaffee und bitte Josh, den Rest mit reinzubringen. Dann atme ich tief durch und stiefele entschlossen durch die finster aussehende Menge an Bikern, die vermutlich alle noch nicht mal im Bett waren. Zum Glück geht es mir viel besser als gestern Nacht. Die anderen dürfen nie erfahren, dass mich dieser Snob Cole, oder wie er hieß, in dem Club fast in die Knie gezwungen hat. Aber das werden sie auch nicht.

      »Morgen«, brumme ich zur Begrüßung. »Kaffee kommt.«

      Ich bin einer der größten und stärksten Männer im Club und daher habe ich einen gehörigen Respekt-Vorschuss. Deswegen wurde ich schon oft mit eingesetzt. Leider bin ich dennoch nach knapp sieben Jahren als Hangaround und Prospect immer noch kein festes Mitglied. Der President-Wechsel hat auch nicht dazu beigetragen, dass es schneller geht. Ice scheint mir noch nicht genügend zu vertrauen, auch wenn er mich, als der ehemalige Sergeant at Arms des Clubs, schon lange kennt. Ich vermutete, dass er sogar ein wenig Angst vor meinem Potential hat. Trotz aller Schikane lasse ich ihn niemals hängen, obwohl ich ihn nicht mal mag und übe mich in Geduld. Ich habe ohnehin keine andere Wahl.

      Als ich den verqualmten Vorraum des Clubs betrete, in dem sich auch direkt die Bar befindet, lasse ich mir meine Furcht nicht anmerken. Ein paar der Member schlafen auf dem Boden, während andere ihre Köpfe auf den versifften Tischen gebettet haben. Es stinkt und wirkt wie ein Schlachtfeld. Angewidert stelle ich fest, dass ich wohl die beste Nacht bei der reichen Tussi im Gästezimmer hatte. Jasmine. Obwohl mir die Braut völlig egal ist, frage ich mich, was sie wohl denkt, wenn sie ein leeres Zimmer vorfindet, nachdem sie aufgestanden ist.

      »Da ist ja der kleine Pisser!« Ice fletscht die Zähne, was er immer tut, wenn er glaubt zu lächeln. Seine Pupillen sind kaum vorhanden, was nichts Gutes verheißt. Wie immer zolle ich ihm den nötigen Respekt, doch im Inneren halte ich wenig von ihm. Allerdings bin ich nicht in der Position, mich ihm entgegenzustellen. Ich wüsste nicht, was ich tun soll, wenn er beleidigt wäre und mich rauswerfen würde. Zwar verdient Carly mittlerweile gutes Geld, um für sich selbst zu sorgen, aber meine Mutter ist total abgewrackt und auf meine Unterstützung angewiesen, damit sie nicht auf der Straße landet.

      »Ice!«, begrüße ich ihn und nicke ihm zu. Den Kaffee stelle ich auf den Tresen, an dem er sitzt und eine raucht. Dann fahre ich mir über den Kopf und sehe ihm direkt in die Augen. »Ich habe Scheiße gebaut. Was kann ich tun, um es gutzumachen?« Spiele zu spielen ist nicht mein Ding. Wenn man etwas tut, muss man immer mit den Konsequenzen leben.

      »Wo ist Carly?« Reed mischt sich ein und funkelt mich böse an.

      »Weg. Keine Sorge. Ihr werdet sie hier nicht mehr sehen.«

      »Das will ich hoffen! Und wenn die kleine Schlampe sich doch hierherwagt, dann reiße ich dir deine Eier ab! Kapiert?«

      Ich nicke lässig. »Sicher, Bruder.«

      Ice beobachtet die Szene stumm. Er scheint noch immer zu überlegen, was die gerechte Strafe ist, wenn man seine Familie verteidigt. Denn auch er weiß, wie Reed tickt, und dass ich im Prinzip keine andere Wahl hatte, als mich mit Carly zu verpissen. Sein Bruder Snow, der ihm unheimlich ähnelt, aber viel weniger psychopathisch ist, gesellt sich zu uns. Snow ist weit weniger brutal, wie sein großer Bruder, aber nicht minder konsequent. Und nur deswegen ist er der Vice-President. Nicht, weil er der Bruder von ... ist. Ich straffe die Schultern und strahle Stärke aus, denn ich will mir nicht anmerken lassen, wie viel Schiss ich habe, rauszufliegen.

      Ice drückt seine Kippe in einem bereits überquellenden Aschenbecher aus und fährt sich mit den Fingern nachdenklich über sein glattes Kinn. »Liebst du diesen Club, Paul?«

      »Mehr als mein Leben«, versichere ich mit fester Stimme. Ich baue mich auf, so gut ich kann, um meinen Worten Gewicht zu verleihen. Immerhin warte ich sehnsüchtig darauf, ein Full-Member zu werden.

      »Mehr als dein Leben.«

      Sein eiskalter Blick bohrt sich in meinen und er erhebt sich. Langsam wie ein Raubtier, welches sich an seine Beute heranschleicht, kommt er auf mich zu. Er tippt mich provozierend auf den Brustkorb.

      Angewidert blähe ich mit den Nasenflügeln, da er stinkt wie eine Schnapsfabrik. Ich hasse die sauren Ausdünstungen, die der Alkohol auf Menschen hinterlässt. Dazu sein ranziger Atem und ich würde ihm am liebsten vor die Füße kotzen. Doch ich stehe wie ein mächtiger Ahornbaum vor ihm und zucke nicht mit einer Wimper. Ice ist höchstens zehn Jahre älter als ich und schon so kaputt. Widerlich.

      »Mehr als mein Leben«, wiederhole ich geduldig.

      Wir liefern uns ein Blickduell und ich überlasse ihm den nächsten Schritt. Keine Ahnung, was ihm für eine Laus über die Leber gelaufen ist, aber offensichtlich hat er mich heute komplett auf dem Kieker.

      Hinter uns räuspert sich Snow und spült seinen Frosch im Hals mit dem Kaffee, den ich dank Josh mitgebracht hatte, herunter. »Lasst die Scheiße! Sind wir im Kindergarten?«, blafft er. »Ice, sag dem Prospect, was du zu sagen hast und dann lass uns abhauen! Ich will nur noch pennen!«

      Ice schubst mich von sich, doch zum Glück bleibe ich standhaft. Dass mein Herz wie wild schlägt, bekommt hoffentlich keiner mit, denn ich gebe mir Mühe, mir weiterhin nichts anmerken zu lassen. Doch statt Furcht ist es nun Wut, die meinen Körper durchflutet. Fuck, ich hasse nichts mehr, als mich sprichwörtlich herumschubsen zu lassen. Ich fange Snows Blick auf. Er zwinkert mir kurz zu und ich entspanne mich augenblicklich. Wir mögen uns, und wenn Snow etwas zu tun hat, darf ich ihn ebenso wie Ice begleiten.

      Ice stiert mich an und ich rechne fest damit, dass er mich erneut angreifen wird. Vermutlich ist er high, so aggressiv wie er ist, und hat seit Tagen nicht