Casy Paix

SAII-RON


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wiederfindest.“

      Er richtete sich mit einem Ruck auf und packte mein Handgelenk. Zum Glück war es nicht die, in der ich den kleinen Lederbeutel hielt. Ich schrie erschrocken auf und stemmte mich gegen den Griff des Reiters. Genauso gut hätte ich auch versuchen können die Berge zu versetzten. Der Fremde schien es gar nicht zu merken und zog mich unbarmherzig von der Tür und deren vorgetäuschter Sicherheit weg.

      „Komm schon, wir …“

      „Herr Meister! …“

      Die Rufe erklangen näher und ich spürte das Herannahen von Pferden.

      Herr? Unmöglich! Ihn wollte meine Mutter aufhalten? Mir zuliebe? Damit ich entkommen konnte.

       Nein, das kann nicht sein, das darf nicht sein! Aber wenn er hier bei mir ist, wo ist dann meine Mutter? Ist sie vielleicht wirklich entkommen?

      Eine noch nie gekannte Wut, gemischt mit Verzweiflung und Trauer, stieg in mir empor.

      „Nein! Nein ich werde nicht mitkommen. Lass mich los! Fass mich nicht an! An deinen Händen klebt das Blut aller hier. Ihr seid alle Mörder! Warum tut ihr uns das an?“

      Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus und ich wehrte mich wie eine tollwütige Katze in seinem Griff.

      „Wenn du nicht aufhörst mit dem Herumzappeln, werde ich dich unter den Arm klemmen und zum Pferd zurücktragen“

      Mit einem genervten Seufzer, drehte er sich halb zu mir herum und beugte sich drohend herunter. Das war meine Chance und ich holte zeitgleich mit meinem freien Arm aus. Dabei hielt ich den kleinen Beutel fest umklammert und hoffte, dass der Kristall den kommenden Aufprall aushalten würde. Eigentlich hatte ich vorgehabt das Gesicht des Fremden zu treffen, doch dieser schien den Schlag vorherzusehen und riss im letzten Augenblick seinen Arm hoch. Meine Faust traf auf seinen Unterarm und der Schmerz explodierte sogleich in meinen Fingern. Ich spürte, wie der Fremde vor Überraschung kurzzeitig seinen Griff um mein Handgelenk lockerte und nutzte endgültig die Gelegenheit zur Flucht.

      Ich wirbelte in Windeseile herum und rannte wie noch nie in meinem Leben. Hinter mir hörte ich den Reiter einen Fluch ausstoßen und das schrille Wiehern seines Pferdes.

      „Herr, wir haben sie gefunden.“

      Ich wäre fast gestolpert als ich die ausgesprochenen Worte der herangekommenen Reiter hörte. Doch schon im nächsten Augenblick erreichte ich die Gasse neben unserer Hütte und tauchte in die Schatten ein. Jeden Moment rechnete ich damit gepackt und auf das riesige Pferd geworfen zu werden. Ich hörte die donnernden Hufe hinter mir, als der Fremde sein Tier antrieb. Ich hatte nur einen kleinen Vorsprung, aber vielleicht reichte er.

      Wenn der Reiter versuchte mich mit dem Pferd einzuholen, konnte ich, das vielleicht zu meinem Vorteil nutzten.

      Ich erreichte die Mitte der Gasse und bog in einen kleinen Durchgang zu meiner Rechten ab. Mein Arm schrammte über die raue Hüttenwand und ein brennender Schmerz durchfuhr mich.

      „Kätzchen bleib stehen, du kannst dich nicht vor mir verstecken! Ich rieche dein Blut bis hier! Du bist verletzt, müde und verängstigt. Komm zurück und ich werde dich zu deiner Mutter bringen.“

      Die lockende Stimme des Reiters hallte dunkel zwischen den engen Mauern der Hütten wieder und ich unterdrückte das Schluchzen, das von tief in mir drinnen ausbrechen wollte.

      Ich durfte ihm nicht glauben. Er würde mir alles versprechen was ich hören wollte, nur damit ich stehen blieb. Der Weg war zu eng für sein Pferd! Entweder er stieg ab und folgte mir oder er versuchte mich von der anderen Richtung her abzufangen.

      Bitte, bitte lass mich schneller sein!

      Mein Atem kam mittlerweile stoßweise, ich war fast am Ende meiner Kräfte. Nur noch ein paar Meter und ich hatte die enge Gasse hinter mir gelassen. Helles Sonnenlicht ließ mich mehrmals blinzeln und mit neuer Hoffnung erkannte ich, das bis jetzt noch keiner der Fremden zusehen war. Dieser Teil des Dorfes stand so nahe am Waldrand, das ich innerhalb weniger Sekunden den kleinen Abhang hinaufgerannt und mich durch die dort stehenden Büsche gezwängt hatte. Wieder schlugen Zweige gegen meine nackten Beine und fügten mir neue Wunden hinzu. Mittlerweile nahm ich aber das leichte Brennen schon gar nicht mehr wahr. Völlig außer Atem blieb ich stehen und hielt mich an einem der dicken Baumstämme neben mir fest. Ein klebriges Gefühl ließ mich jedoch schnell wieder meine Hand zurückziehen.

      Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte ich auf das Blut an meiner Hand. Rot. Die Farbe fand sich auf der Rinde des Baumes, auf den Blättern der Büsche und am Waldboden wieder.

      Erst jetzt bemerkte ich die zerbrochene Äste und umgeknickte Zweige. Anscheinend ist es einigen der Dorfbewohner gelungen den Wald zu erreichen. Das Blut verriet, das sie hier trotzdem keinen Schutz gefunden hatten.

      Sich nähernde Stimmen und das erneute Wiehern eines Pferdes lösten mich aus meiner kurzen Starre. Die Fremden hatten mich fast eingeholt und wieder spürte ich eine bösartige Aura über mich hinweggleiten. Ich begann wieder zu rennen und meine Finger umschlossen mit eisernem Griff den kleinen Lederbeutel. Es kam mir wie ein kleines Wunder vor, das ich ihn bis jetzt nicht verloren hatte.

      In diesem Teil des Waldes hatte ich oft mit Freunden verstecken gespielt. Somit fand ich auch auf Anhieb den geheimen Unterschlupf im Stamm eines alten Baumes.

      Mit letzter Kraft kletterte ich durch das kleine Loch in die schützende Enge des Stammes. Ich zwang mich ruhiger zu Atmen, um keine verdächtigen Geräusche zu verursachen. Wenn ich mich ganz ruhig verhielt, würden die Reiter mich hier innen nicht finden. Nur mit geübten Augen und bei näherem Hinsehen konnte man den kleinen Riss im schwarzbraunen Stamm entdecken.

      Ich versuchte in eine halbwegs bequeme Position zu rutschen und zog dabei meine Beine eng an den Körper. Erschöpft legte ich mein Kinn auf die Knie und lauschte auf die Geräusche des Waldes. Es klang alles so normal, als wäre es ein Tag wie jeder andere und meine Freunde würden mich gleich mit lautem Jubelgeschrei in meinem Versteck finden.

      Doch sie kamen mich nicht suchen. Ich würde keinen von ihnen wiedersehen.

      Ein Schluchzen bahnte sich einen Weg über meine Lippen und allmählich löste sich die Anspannung aus meinem Körper.

      Meine Gedanken kehrten zu dem fremden Reiter mit den schiefergrauen Augen zurück.

      Er musste der Anführer gewesen sein. Seine Präsenz war überwältigend, angsteinflößend. Und was hatten die Worte, wir haben sie gefunden, zu bedeuten? Meinten sie meine Mutter?

      Lebte sie vielleicht noch und die Fremden hatten sie mitgenommen? Aber was nutzte sie ihnen ohne Saii-ron?

      Saii-ron, welche Bedeutung hast du nur wirklich. Ich verstehe es einfach nicht. Was soll ich denn jetzt nur machen?

      Meine Finger strichen abwesend über den kleinen Lederbeutel in meiner Hand. Mit einem Mal überkam mich ein ungutes Gefühl.

      Ich hatte mit dem Stein ziemlich fest zugeschlagen und der Arm des Fremden war auch nicht gerade weich gewesen.

      Noch einmal lauschte ich angestrengt, doch ich hörte keine verräterischen Geräusche im Wald. Es wunderte mich, das die Reiter ihre Verfolgung so schnell aufgegeben hatten. Vielleicht hatten sie eine Falle geplant und warteten nur darauf das ich mich zeigte.

      Zwiespältige Gefühle stritten in mir, bis ich mich nach einem letzten, kurzen Zögern dazu entschloss mein Versteck zu verlassen.

      Vorsichtig stieg ich aus dem stickigen Inneren des Baumes. Kaum spürte ich das Gras unter meinen Füßen, kniete ich mich hin und sah mich vorsichtig um. Nirgends war eine Spur der Fremden zu sehen. Immer noch kniend lehnte ich mich zurück an die harte Rinde des Baumes. Als ich den kleinen Lederbeutel in meinen Händen ansah, kamen mir die beschwörenden Worte meiner Mutter in den Sinn.

      Öffne niemals diesen Beutel Layra, unter keinen Umständen!

      Aber ich muss! Was ist, wenn der Stein durch den Aufprall beschädigt