Iva Okërn

Stell' dich nicht so an! Leben mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS


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ich mich nicht konzentrieren kann – dann ist Schluss.

      Eine Nacht im Mai

      Dann ist nicht wirklich Schluss.

      Ich schlafe zwar sogleich ein, nachdem ich das Licht gelöscht habe, aber nach etwa einer Stunde wache ich wieder auf. Da ist das eigentümliche Zittern, das mich mal wieder weckt. Es ist, als würden die Nerven in meinem Gehirn Morsezeichen klopfen und legte sich das Vibrieren ganz tief im Körper in alle Gliedmaße. Ich habe das Gefühl, als laufe da ein Motor auf Hochtouren. Mein Körper ist vom Hals abwärts bis hin zu den Zehen angespannt, unter Strom.

      Ich kenne das und versuche dagegen zu atmen. Einatmen, ausatmen, ruhig werden. Gut, dass ich mich für Shaolin Qi Gong und den Zen-Buddhismus erwärme und solche Atem – und Entspannungsübungen aus dem Ärmel schütteln kann.

      Der Spuk dauert fast eine Viertelstunde. Shaolin-Kung Fu gegen den eigenen Körper. Endlich siegt die Entspannung. Ich schlafe erschöpft ein.

      Nach einiger Zeit fühle ich einen stechenden Schmerz in den Zehen. Ich wache kurz auf, verändere die Lage bis sich der Schmerz abmildert, wenigstens so weit, dass ich wieder einschlafen kann. Ich bin es gewohnt mit Schmerzen zu schlafen.

      Aber gegen halb zwei Uhr morgens werde ich erneut aus dem Schlaf gerissen. Diesmal bekomme ich keine Luft. Meistens, weil ich falsch geschluckt habe. Schlucken fällt mir nachts manchmal schwer. In der Brust steigt ein Engegefühl auf. Ich verändere mehrfach meine Lage: halbhoch, Kissen im Rücken – rechts auf der Seite – links auf der Seite – flach auf dem Rücken, die Hände auf dem Bauch...

      Das Engegefühl nimmt zu, die Luftnot auch. Ich stehe auf, reiße das Fenster weit auf und lege mich wieder zu Bett. Ich versuche weiter meine Atemtechniken. Schlafe.

      Es wird kühl. Der Mai hat noch keine lauen Nächte. Von Juni bis fast Mitte Oktober schlafe ich übrigens jede Nacht bei weit geöffneten Fenstern. Ich habe das Gefühl, ich brauche viel Luft.

      Nun wache ich also vor Kälte wieder auf, schließe das Fenster und starte den nächsten Versuch, noch einmal in den Schlaf zu finden. Einzelne Körperstellen melden sich mit pochendem, stechendem oder dumpfem Schmerz: die Schultern, die Zehen, die Oberschenkel, die Unterarme. Die Haut über den Wangenknochen spannt. Ich habe Mühe meinen Speichel hinunterzuschlucken. Ich spucke ins Taschentuch aus. Dann befehle ich mir selber, anständig zu schlucken. Mein Wille und mein Verstand siegen schließlich über den in Hochspannung versetzten Körper.

      Ich sehe auf die Uhr. Halb vier. Heute habe ich keinen Frühdienst. Heute darf ich bis halb sechs schlafen. Was für ein Glück – noch zwei Stunden! Wenigstens zwei Stunden!

      Ich bin noch vor dem Weckerläuten wach. Mein Geist will aufspringen, denn von Natur aus bin ich eine 'Lerche', ein Mensch, der gerne früh morgens aufsteht und gleich loslegen kann. Mein Körper aber streikt mal wieder. Ich muss den Kampf mit mir selber abermals aufnehmen. Mein Wille muss den Körper aktivieren. „Kreise mit den verdammten Füßen, ob es schmerzt oder nicht. Stretche nach links und rechts, egal, was die Schultern sagen! Mach' ein paar Pliés und Relevés zum Aufwärmen, der schmerzenden Hüfte zum Trotz. Und nun gehe ins Bad. Dusche. Putze die Zähne.“ So muss der Kopf unentwegt befehlen. Nach dem Duschen ist der Körper bereits wieder dermaßen erschöpft, dass er am liebsten zurück in die Ruhelage möchte. Aber das geht nicht. Er muss sich zusammenreißen. Der neue Tag hat begonnen.

      „Frisch, ans Werk“, ermuntere ich mich selber – und quäle mich los.

      Jede Menge Schnappschüsse

      „Ich kenne dich nur müde.“

      Naja, lieber 'Göttergatte' ganz stimmt das nicht, denn mein erster schwerer Krankheitsschub – soweit ich es jetzt im Nachhinein rekonstruieren kann – fand statt, als unser Mittelkind, drei Jahre alt war, nach neun Ehejahren.

      Der erste Schub. Damals dachte ich: o, nein, bloß keinen Bandscheibenvorfall!

      Ich hatte vormittags meine üblichen Pflichten erledigt und war mit meinem mittleren Kind zum Spielplatz gepilgert. Dann holten wir den Ältesten vom Kindergarten ab, aßen gemeinsam zu Mittag und gingen nach einer Ruhepause zum Spielen auf den Hof. Fangen, Verstecken, Ball spielen, Sandkuchen backen – das ganze Programm. Als wir nach zwei Spielstunden wieder in unsere Wohnung hinaufstiegen, überfielen mich wahnsinnige Schmerzen in der Hüfte, die bis in den Rücken ausstrahlten. Ich tat das, was ich schon zuvor getan hatte und später noch zu Genüge tun würde: ich biss die Zähne zusammen. Bloß nichts anmerken lassen, sonst erschrecken die Kinder!

      Irgendwie kam ich ohne auffälliges Humpeln bis in unserer Wohnung. Dort angekommen war ich hundemüde. Schlagartig. Ich tat, was nicht sein sollte und deponierte die Kinder vor dem Fernseher – sie beschäftigten sich mit ihren Spielzeugen und sahen dann und wann in die Glotze. Währenddessen schlief ich etwas auf dem Sofa, im Vertrauen auf meine Instinkte, die mich allezeit aufmerken ließen, wenn für die Kinder 'Gefahr in Verzug' war.

      Nach etwa einer Stunde Schlaf war ich wieder relativ fit. Der Hüftschmerz war fast unmerklich, der Rückenschmerz gänzlich vergangen. Meine Zehen taten etwas weh, sodass ich beschloss, in den nächsten Tagen gut auf mich zu achten.

      Das kommt vom Kinder-Herumtragen und dem Herumtoben, dachte ich bei mir: Das mittlere Kind wird halt zu schwer für mich; ich darf es nicht mehr so oft hochheben, was auch vernünftig ist, denn das Kind hat zwei Beine, ist ein selbstständiges Wesen und kann sich alleine vorwärtsbewegen.

      Nach etwa einer Woche war ich der Knochenschmerzen ledig. Glück gehabt, kein Bandscheibenvorfall, dachte ich.

      Aber mir blieb etwas. Mir blieb das Bedürfnis, mich zwischendurch immer wieder ausruhen zu müssen. Mir blieb das Gefühl von Müdigkeit und Erschöpfung.

      In meiner Umgebung hörte ich andere junge Mütter über Stress, Überforderung und Müdigkeit klagen.

      Das ist wohl so, wenn man junge Kinder hat, dann ist man dauerhaft erschöpft, suggerierte mir die Umwelt, bis ich selber so dachte.

      Ich wusste damals noch nicht, dass es zwischen 'sich erschöpft fühlen' und 'erschöpft sein' einen Unterschied gibt.

      Mein damaliger Hausarzt, dem ich dann doch einmal meine Erschöpfung eingestand, tutete ins selbe Horn, verwies auf die beiden Kinder, dass es ja anstrengend mit den Kleinen wäre und schon an den Kräften zehren könnte. Er gab mir über mehrere Wochen hinweg Aufbauspritzen. Wirklich geholfen haben die nicht.

      Mit den Jahren musste ich meiner Kraftlosigkeit immer mehr nachgeben. Es ging ganz gut und von der Familie fast unbemerkt, als auch das mittlere Kind vormittags den Kindergarten besuchte.

      Ich arbeitete zu der Zeit freiberuflich für einen Verlag. Die Arbeit legte ich in die Abend- und Nachtstunden, schlief etwa vier, fünf Stunden, kümmerte mich dann um die Kinder, brachte sie gegen halb neun Uhr in die Kita, erledigte in Windeseile den Haushalt, damit ich mich um elf Uhr noch einmal kurz hinlegen konnte, bevor ich die Kinder wieder abholen musste. Schlafen mit Wecker. Und jedes Mal beim Aufwachen musste ich mir mein Mantra vorbeten: Reiß dich zusammen, stell' dich nicht so an; du bist nicht die einzige Mama auf der Welt.

      Ich hielt den eingespielten Alltagsablauf prima durch, doch jedes Zusatzprogramm wurde für mich zur Tortur, zum ständigen Kampf gegen die körperliche Erschöpfung, zur kräftezehrenden Aktivierung des eisernen Willens: der Frisörbesuch, der Besuch beim Kinderarzt, der Vortrag, zu dem ich geladen war, der Kaffeeklatsch bei den Nachbarinnen, ein Sonntagsausflug, Besuche bei Freunden und Verwandten – alles, alles Tagespunkte, die mich stark ermüdeten. Noch ein, zwei Tage nach so einem Sonderprogramm war mein Kopf wie in Nebel getaucht.

      Wann immer ich es ihm erlauben konnte, ließ ich meinen Körper ausruhen.

      Auf dem Sofa liegen – wenn wir abends, nachdem die Kinder im Bett lagen, die Tagesschau ansahen, dann musste ich liegen, ich konnte nicht mehr sitzen. Wenn ich nicht an meinen Büchern arbeiten musste, dann schlief