Janine Zachariae

Das Geheimnis des Stiftes 2


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Janine Zachariae

      Lektorat 1: Vanessa Pätzold

      Lektorat 2: Louise Bourbo

       England, 2127

      Das hat wehgetan, richtig weh.

      »Verdammt«, sage ich und reibe mir den Hinterkopf, der leider nicht umhinkam, mit dem Boden Bekanntschaft zu machen. Etwas orientierungslos versuche ich, mich aufzusetzen, was gar nicht so leicht ist, da jemand auf mir liegt.

      »Verdammt, Oliver!«, stoße ich überrascht aus, reibe mir meinen schmerzenden Kopf und kneife die Augen zusammen. Wie konnte Oliver nur so unüberlegt zu mir springen, als ich geschrieben habe?

      »Hey, alles in Ordnung?«, fragt er. Seine Stimme ist leise und vorsichtig. Augenrollend sehe ich ihn an. So leicht kommt er mir nicht davon. Das war verdammt riskant!

      »Wenn du endlich von mir runtersteigen würdest, ja«, stammle ich und werde mir unserer Nähe nur allzu bewusst. Verflucht! Ein Schmunzeln ziert seine Lippen und ich bekomme ganz weiche Knie. Dabei habe ich mir geschworen, mich nicht in ihn zu verlieben. Das funktioniert einfach nicht. Er ist der Sohn von Victoria II und somit auf eine verdrehte Art und Weise mein Stiefbruder. Mein Vater musste sich ja unbedingt in die Königin von England verlieben.

      Meine Gedanken wandern zu meiner schrägen Familie. Während meine Mutter mit mir im Jahr 2017 gelebt hat, war mein Vater zehn Jahre lang spurlos verschwunden. Jedenfalls für mich. Meine Mutter war natürlich im Bilde. Aber ich machte mir große Sorgen – zu Unrecht, wie sich herausstellte. Mein Vater war nicht verschwunden, sondern im Jahr 2117 gelandet und konnte einfach nicht weg, da er seinen Stift bei uns gelassen hatte. Das klingt schon alles seltsam, oder? Selbst für mich ist es das noch immer und ich bin mittlerweile mittendrin.

      Oliver hat sich endlich hochgerappelt und hält mir seine Hand entgegen, die ich direkt ergreife, um selbst wieder aufstehen zu können.

      »Danke«, sage ich etwas verlegen und klopfe mir den Staub von meiner Hose, bevor ich mich vorsichtig umblicke. Die Zukunft.

      Also ...

      Na ja, in der Zukunft bin ich ja schon längst. Aber ich bin noch weiter vorgedrungen als zuvor. Meine Güte, ich glaube, ich habe mir den Kopf zu sehr angestoßen, so eigenartig klingen meine Gedanken.

      »Was jetzt?«, möchte Oliver wissen und ich zucke mit den Schultern, denn ich weiß es nicht. Wir sind hier gelandet, weil die Königin in Gefahr ist. Eigentlich hätten wir direkt auf Penelope treffen müssen, aber ich sehe sie nirgends.

      Wie eine Bekloppte drehe ich mich im Kreis und gehe sogar in die Knie, um vielleicht etwas zu spüren. Eine Vibration, die vom Boden auskommt oder Ähnliches. Ich fühle mich, als sei ich auf den Bahngleisen und versuche herauszufinden, ob ein Zug sich nähert. Jupp, reichlich dämlich von mir. Nur umherstehen und warten, dass sich ein Sturm nähert, kann ich nicht.

      Plötzlich aber nehmen wir ein Geräusch wahr und ich fahre willkürlich zusammen. Es klingt wie ein Lachen.

      »Bravo! Ihr seid schön in die Falle getreten«, ertönt eine Stimme.

      »JULIAN!«, rufe ich erschrocken aus und starre ihn an.

      Vor mir erblicke ich wirklich Julian. Seltsamerweise ist mein erster Gedanke, dass hier jemand steht, den ich von früher kenne, was total absurd ist. Die Gefahr ist nun einmal vorhanden und ich weiß, dass das hier kein Freundschaftsbesuch ist, auch wenn ich innerlich seufze. Julian. Mein Instagram-Freund. Ein Junge, den ich tatsächlich dort kennenlernte und mit dem ich mich so oft ausgetauscht habe, dass ich Gefühle für ihn entwickelte. Verdammt! Was macht er nur hier? Er sieht verändert aus. Trägt sogar einen Bart, seine Haare sind zerzaust, als wäre er seit Tagen unterwegs. Dabei war er früher wirklich sehr gepflegt. Aber von dem Blogger mit der Maske ist nichts mehr übrig. Er hat Augenränder und wirkt angespannt.

      »Kleine Fee, so sieht man sich wieder«, sagt er und lächelt mich an. Warum nur musste er zur dunklen Seite wechseln? Oliver steht neben mir und scheint abzuwarten.

      »Oliver«, beginne ich endlich, »darf ich dir Julian Schwan vorstellen? Sohn von Penelope.« Er zieht die Luft scharf ein und nickt schließlich.

      »Das ist also der berühmte Julian? Irgendwie habe ich ihn mir anders vorgestellt«, flüstert er und mustert unseren Feind dabei sehr aufmerksam.

      »Julian, wahrscheinlich hast du schon von Prinz Oliver gehört.«

      »Selbstverständlich. Meine Mutter lässt dich schön grüßen.« Spott liegt in seiner Stimme und ich frage mich immer mehr, was nur aus ihm geworden ist. Was ist geschehen? Ja, er hatte mich hintergangen und angelogen. War wirklich alles nur Fassade? All seine Worte, all die Blicke?

      »Was ist mit ...« Kurz verstumme ich. Aber ich muss es wissen. Ich muss erfahren, was mit seinem Bruder passiert ist. »Was ist mit Justin?«

      »Dem ging es hervorragend. Ist natürlich mittlerweile Wurmfutter, aber er hatte ein gutes Leben, kleine Fee.«

      »Mit meiner Mutter?«

      Er lächelt und ich erkenne etwas in seinen Augen, was mich an unsere Telefonate von früher erinnert, damals klang seine Stimme charmant und schmeichelnd, manchmal auch voller Sehnsucht. Als alles noch normal war. Ohne Zeitreise. Julian steht einige Meter von uns entfernt, aber nah genug, um die eine oder andere Regung in seinem Gesicht zu erkennen.

      »Justin und Saskia. Verliebt, verlobt, verheiratet, Kinder.«

      Tränen brennen mir plötzlich in den Augen und ich spüre Olivers Hand in meiner. Er hat es gemerkt, was mich freut oder hat er einfach meine Gedanken gelesen? Justin hatte sein Happy End, so, wie ich es wollte. Justin. Mein erster Freund, für fünf Minuten oder so. Mir war direkt klar, dass er und meine Mutter zusammengehören. Der Altersunterschied von 18 Jahren war mir egal und ehrlich, so groß war er nicht.

      »Er ist für euch tabu?«

      »Das hatte ich dir versprochen«, sagt er leise, aber charmant und ich glaube ihm. Mein Herz spielt vollkommen verrückt. Auch Julian ist für mich unerreichbar, aber ihn so zu sehen ... Das lässt mich erschaudern und ein Loch in meinem Inneren entstehen.

      »Genug mit dem Smalltalk, kleine Fee«, spricht er auf einmal mit fester Stimme und mir wird bewusst, in welcher Situation wir uns befinden. Er verschränkt die Arme vor der Brust und wirkt angespannt und doch abwartend. Er sieht mir direkt in die Augen und ich glaube, ein kleines Zucken in seinem Mundwinkel erkannt zu haben. Julian ist wie ein Buch mit sieben Siegeln.

      »Warum sind wir hier gelandet? Mein Informant sagte, dass die Königin in Gefahr sei. Was hast du geplant?«

      »Die Königin ist tatsächlich in Gefahr«, meint er und sein Blick verändert sich und er wirkt wie ein Löwe, der auf seine Beute lauert. »Ab jetzt hängt es nur von dir und deinen Entscheidungen ab, kleine Fee.«

      »Wie meinst du das?«

      Auf einmal wird die Luft um uns merkwürdig aufgewühlt und ich spüre, dass sich etwas anbahnt. Mein Kugelschreiber wird heiß, während ich ihn immer fester anfasse. Nur ich kann ihn benutzen, aber es wäre fatal, wenn er verschwinden würde. Dann wären wir hier gefangen. Wie einst mein Dad.

      Nein! Das darf nicht wahr sein! Hinter Julian taucht eine Frau auf und sie hat jemanden bei sich.

      Oliver²

       2127

      Oliver starrt sich selbst an und flucht leise vor sich hin. Das könnte böse enden.

      »Was soll das? Habt ihr so wenig Ahnung von den Gesetzen der Zeitreisen?«

      »Arme kleine Melanie ... Als ob wir uns um Konsequenzen kümmern«, sagt die Frau. Wow. Wenn sie nicht unsere Gegenspielerin wäre, dann würde ich meinen, sie sei direkt aus einem Film entsprungen.

      »Melanie«, höre ich Oli neben mir flüstern und er blickt mich mahnend an. Dieses Gedankenlesen ... Es nervt total. Sie vor mir