Jennifer Schumann

2050


Скачать книгу

im gesamten Netz verbreitet. Der übermittelte Inhalt ist derart brisant, dass wir uns in der Pflicht sehen, diesen unverzüglich zu offenbaren.«

      »Na, das klingt ja wichtig«, mein Vater brummt missbilligend und lehnt sich zurück. »Kommen die Ratten etwa zurück, um noch ein wenig Nahrung mitzunehmen?«

      Mein Bauchgefühl sagt mir jedoch etwas anderes, als der Bildschirm eine Aufnahme des Apocalyptica-Asteroiden zeigt. Es ist eine unglaublich detaillierte Aufnahme. Die steinige Oberflächenstruktur ist so klar zu erkennen, als stünde man direkt davor.

      Nach einem Moment der Stille setzt eine verzerrte Stimme ein: »Bürger dieser Erde.« Die Darstellung des Asteroiden offenbart sich vor unseren Augen als ein Rendering. »Wir sind eine weltumspannende Organisation, die vor über fünf Jahren diesen digitalen Asteroiden erstellt und in die Datenbanken aller Raumfahrtorganisatoren und Beobachtungssysteme eingeschleust hat.«

      Unbewusst richte ich mich ein wenig auf, halte den Atem an und versuche, das gerade Gesehene zu begreifen.

      »In jeder einzelnen Station sind wir vor Ort vertreten, um unsere Daten aufrecht zu erhalten.«

      Ich blicke meinen Vater an, fast so als wolle ich prüfen, dass er noch dabei ist und dasselbe sieht wie ich. Mein alter Herr sitzt nur da, vollkommen regungslos und blass im Gesicht.

      »Papa?«, frage ich, doch er verbietet mir mit einer unwirschen Geste den Mund und unterdrückt ein Husten. Der Sprecher setzt derweilen unvermindert fort. »Der Grund, warum 2047 die durch die USA eingesetzten Raketen den Asteroiden verfehlten, liegt daran, dass er nicht existiert.«

      »Was zur …?«, raunt mein Vater und schlägt die Hände vor seinen Mund. Auch ich meine im ersten Moment, mich verhört zu haben. Tausend Gedanken drängen sich auf, doch nur eine Frage bleibt übrig: Kann das wirklich wahr sein? André runzelt nur seine Stirn, schaut uns an, als sähe er einen schlechten Film.

      »Er ist nicht real«, wiederholt die Stimme und der Schirm zeigt nun einen Satelliten, der der Erde einen steuerbaren Spiegel entgegenhält, um das Sonnenlicht zu reflektieren, sowie ein zweidimensionales Hologramm des Asteroiden ausgibt, das zwischen Erde und Spiegel steht.

      »So simulieren wir die optische Darstellung von Apocalyptica«. Die Stimme macht eine Pause, als wüsste sie, dass das eben Gesagte noch sacken musste. »Es wird keinen Einschlag geben.«

      Der Bildschirm zeigt nun die Arche, in der sich die derzeitigen Welteliten verkrochen haben.

      »Niemand wird sterben, bis auf all jene, die sich die Güter unserer Welt angeeignet, dieses Schiff nach unseren Plänen konstruiert und anschließend bezogen haben.«

      Das Bild stellt nun einen grafischen Kurs dar, der von der Erde wegführt. »Die Arche befindet sich seit mehr als sechs Monaten auf ihrem Kurs in die Sonne und wird innerhalb der nächsten Jahre dort einschlagen, ohne dass jemand an Bord etwas dagegen unternehmen kann.«

      Die Stimme pausiert und die Animation zeigt nun, wie ein Pfeil in die Sonne verschwindet. »Willkommen auf Erde II«, setzt der Sprecher fort. »Beginnen wir von vorn, ohne aufgezwungenes Ungleichgewicht, ohne Kriege, ohne Raffgier, Notstände oder den Hass unserer Religionslenker.« Eine Grafik baut sich auf und vergleicht den Reichtum Einzelner mit dem aller anderen Menschen. Dazu kommen Ausgaben für Kriege, deren Resultate, Umweltverschmutzung und wer sich an all diesem Leid bereicherte. »Sie haben uns keine Wahl gelassen.«

      Das Bild verdunkelt sich und zurück bleibt Schwärze.

      »Die zivilen Opfer …«, setzt nun eine gleichfalls verfremdete Frauenstimme an, ohne dass das Bild sich ändert, »… dieser Scharade zur Befreiung der Menschheit bedauern wir sehr und möchten uns bei allen Hinterbliebenen aufrichtig entschuldigen.«

      Eine neue Einstellung taucht aus dem Schwarz auf. Unzählige Personen, große, kleine, dicke und dünne in dunklen Anzügen stehen vor einem roten Vorhang und senken ihre maskierten Gesichter.

      Eine ganze Minute lang, dann ergreift die Frauenstimme erneut das Wort. »Diese Chance forderte viele Opfer, auf allen Seiten.« Damit endet die Sendung.

      Mein Vater, der seine Frau und meine Mutter aufgrund dieses Fake-Asteroiden verloren hat, starrt noch immer regungslos auf die Bildausgabe des Mediasystems. Ich kann ebenfalls keinen klaren Gedanken fassen.

      »Die Welt stirbt nicht?«, fragt André ganz so, als sei etwas nicht in Ordnung. Vater und ich schauen ihn an. Ich merke, wie mein Mund offen steht und Tränen an meinen Wangen herablaufen. Langsam schüttle ich den Kopf und schlucke trocken.

      »Das ist sie gerade«, antwortet mein alter Herr und lächelt. »Und du bist in eine neue hineingeboren.« Er lacht lautstark auf, nimmt André und anschließend mich fest in seine kräftigen Arme.

      Ich ergebe mich meinen Gefühlen, lache und weine zugleich. Tief in mir realisiere ich, dass vor uns das größte Abenteuer der Menschheit steht, dem ich angemessen begegnen möchte; indem ich heute mit André nicht unsere Serien weiterschaue, sondern ihm Lesen und Schreiben beibringen werde. Als erstes aber werden wir Mutter finden.

      Galax Acheronian ist ein Autor und Illustrator, der bereits in jungen Jahren Geschichten, Comics und Fanfictions schrieb. Seit 2010 erscheinen unter seinem Namen regelmäßig Kurzgeschichten, Novellen, Coverarts und Romane aus dem Bereich der Phantastik, primär der Science-Fiction. Ebenfalls war er schon Mitherausgeber einiger Anthologien.

       Website: http://www.acheronian.de/

      Facebook: Galax Acheronian

      Instagram: galax.acheronian

      

      Blackout

       H. K. Ysardsson

       Schrilles Läuten des altertümlichen Weckers riss sie aus dem Schlaf. Mit geschlossenen Augen tastete sie nach dem Ungetüm und schlug energisch mit der Hand drauf. Es gab noch einen klagenden Misston von sich, dann war es leise und Hannah blinzelte verschlafen. Im Haus war es noch finster. Neben ihr schnarchte Rainer. Sein Smartphone würde erst in einer halben Stunde ein Signal von sich geben.

      Warum ist es so dunkel? Hannah streckte sich und schälte sich aus dem Bettzeug, um ins Bad zu schlurfen. Auch hier ging kein Licht an. Gibt es einen Stromausfall? Das würde erklären, warum im Haus die Rollläden noch nicht hochgezogen waren. Ebenso fehlte ihr der Duft des frischen Kaffees. Dafür zog ein eigentümlicher Geruch, den sie nicht zuordnen konnte, von unten hoch. Sie ignorierte es und freute sich an den Segnungen des Smarthomes, die sie in wenigen Minuten zurückerwartete. Wie lange kann so ein Stromausfall schon dauern? Sie drehte die Dusche auf und wartete auf warmes Wasser. Es kam keines, auch kein kaltes. Die Bewegungsmelder reagierten nicht, die Armatur reagierte nicht. Genervt drehte sie den Wasserhahn wieder zu.

      »Rainer! Der Strom ist ausgefallen!«, rief sie auf halbem Weg zurück ins Schlafzimmer. Es kam keine Antwort. »Rainer! Steh auf, wir haben einen Stromausfall!«, schrie sie ihn an, während sie ihn heftig an der Schulter rüttelte.

      »Ich schnarche nicht«, nuschelte er, grunzte und drehte sich zur Seite.

      »Verdammt, kein Strom, Rainer!« Dieses Mal war sie schon lauter. Es war immer dasselbe mit ihm. Rainer wach zu bekommen, war mühselig und barg das Risiko, sich seiner schlechten Laune auszusetzen.

      »Kein Internet!«

      Das riss ihn aus dem Schlaf. Kaum hatte sie das Zauberwort ausgesprochen, saß er mehr oder weniger aufrecht da und starrte sie an. Hannahs Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit