Carlo Fehn

Grenzgold


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      Plötzlich begann Kaiser erst langsam und nachdenklich, dann immer lauter zu lachen. Pytlik musste aufpassen, sich nicht anstecken zu lassen. Kaiser ging sogar in die Knie, nahm die freie Hand vor den Mund und hatte nun schon Tränen in den Augen. Er setzte sich auf eine der gepolsterten Liegen und kam erst nach und nach wieder zur Ruhe.

      »Was hast du?«, wollte Pytlik wissen. Er hatte mehr und mehr den Eindruck, dass Kaiser nicht nur bereits zu viel Alkohol getrunken hatte. Er hatte schon einige Menschen mit Drogenproblemen kennengelernt. Der Bauunternehmer zeigte entsprechende Verhaltensweisen.

      »Dahinter steckt mehr als nur die plakative Botschaft der Verehrung seines politischen Helden. Tatsächlich steckt dahinter mehr!«, redete Kaiser weiter.

      »Aber was erzähle ich da?«

      Pytlik schaute zu Kaiser hinüber, der ignorierte den Hauptkommissar allerdings.

      »Nein, doch! Es stimmt doch, verdammt noch mal! Hinter diesen drei Buchstaben versteckt mein Vater eines der größten Geheimnisse, die es im Landkreis Kronach jemals gegeben hat. Und ich muss, nein, ich darf...«

      Kaisers Lachanfall kam zurück und dauerte einige Sekunden, bevor er fortfuhr.

      »Wie verrückt! Ich darf das alles tatsächlich ausbaden!«

      Wieder brach er in schallendes Gelächter aus. Dem Hauptkommissar wurde es nun zu unangenehm. Außerdem wollte er Franziska nicht länger allein lassen.

      »Ich glaube, ich werde jetzt mal wieder hochgehen. Wirklich sehr beeindruckend das alles hier! Danke, dass ich schon mal vorab schauen durfte.«

      Pytlik wartete nicht auf eine Antwort Kaisers; der war ohnehin wieder in Gedanken verloren. Ein kaum wahrnehmbares »Ja, schon gut! Geh nur!« begleitete Pytlik auf seinem Weg.

      ***

      »Hast du Gerda gesehen?«

      Pytlik hob die Schultern und verzog das Gesicht. Er wollte Franziska damit signalisieren, dass er nichts verstanden hatte. Der Lärm in der überfüllten Schwimmhalle ließ eine normale Unterhaltung nicht mehr zu. Die diversen Diskokugeln und die laute Musik erzeugten Clubatmosphäre.

      Die Beleuchtung war auf ein Minimum reduziert, der Pool wirkte wie ein großer, verführerischer Schlund in Hellblau; immer wieder fielen Gäste gewollt oder ungewollt samt der kompletten Bekleidung ins gut temperierte Nass; andere hatten wohl von der Option gewusst und genossen das Treiben in entsprechendem Outfit im Wasser, die Ellenbogen lässig auf dem Beckenrand und ihre Drinks vor sich abgestellt.

      Pytlik meinte, nun zu wissen, wie es im alten Rom zugegangen sein musste. Die nur mit dem Notwendigsten umhüllten Tänzerinnen hatten keinerlei Mühe, sich nach und nach an die entsprechenden Männer heranzumachen, mit denen sie von Zeit zu Zeit in Nischen oder vorbereiteten Zimmern verschwanden.

      Die zahlreichen Angestellten des Sicherheitsdienstes hatten gut zu tun, die Lage im Griff zu behalten. Bei manchen Gästen hatte man den Eindruck, als ob es kein Morgen mehr geben würde. Franziska kam mit ihrem Mund nahe an Pytliks Ohr. Sie hatten sich nach dessen Poolbesichtigung zusammen amüsiert, immer wieder hatte Franziska aber auch Bekannte getroffen, so dass dem Hauptkommissar genug Zeit blieb, Leute zu beobachten.

      Er hielt sich mit dem Alkoholkonsum zurück. Er hatte an diesem Abend seiner Lebensgefährtin den Fahrdienst versprochen. Mittlerweile war es halb zwölf und er hoffte insgeheim, dass Franziska nicht mehr allzu lange würde bleiben wollen. Er hatte genug!

      »Hast du Gerda gesehen?«, wiederholte Franziska ihre Frage. Pytlik schaute sie kurz an und schüttelte den Kopf.

      »Niemand weiß, wo sie ist! Ich mache mir Sorgen!«

      »Sie ist alt genug! Sie wird schon wissen…«

      Pytliks gutgemeinte Floskel hörte sich Franziska nicht bis zum Schluss an. Mit suchendem Blick und besorgter Miene wendete sie sich bereits wieder von ihm ab.

      Auf der gegenüberliegenden Seite des Schwimmbeckens kam gerade ein junger Typ aus einem Nebengang zurück. Nur wenige Sekunden nach ihm bewegten sich die beiden rubinroten Vorhanghälften erneut. Eine etwas reifere Frau, leicht schwankend, folgte dem Casanova unauffällig. Sie richtete sich die Frisur, und als sie an ihm vorbeilief, fasste sie ihm mit einer Hand noch einmal kräftig an den Hintern und blickte ihn zufrieden lächelnd an. Dann verschwand sie in der Menge, hob die Hände in die Höhe und begann wie wild zu tanzen. Ihr vermeintlicher Glücksbringer erzählte derweil einem anderen Typen von seinen Erlebnissen.

      Pytlik schmunzelte. Er stellte sich vor, was jetzt wohl los wäre, würde eine Sondereinheit der Polizei aufgrund irgendeines besonderen Verdachtes hier aufschlagen und das Haus sowie die Anwesenden einer sorgfältigen Kontrolle unterziehen. Er hoffte weiterhin, bald nach Hause gehen zu können.

      Er wollte sich gerade noch einmal am Buffet umsehen, als die Musik etwas leiser gedreht wurde und die Stimmung plötzlich deutlich auf einen Höhepunkt zuzusteuern schien. An der Hinterseite der Halle, mit dem Blick hinaus in den beleuchteten und verschneiten Garten, bildete sich ein Spalier und die Gäste begannen rhythmisch zu klatschen.

      ›Dschäi-Eff-Käi‹ erklang ein auffordernder und immer lauter werdender Chor aus Dutzenden heiserer Kehlen, die Menge war enthusiastisch und außer Rand und Band. Wie ein Weitspringer bei seinem letzten Versuch im vollbesetzten Stadion stand Joseph Ferdinand Kaiser mit einem Abstand von einigen Metern zum Wasser bereit, um seinen Gästen das wohl erwartete Highlight des Abends zu präsentieren. Und als ob dies nicht schon genug Zurschaustellung von Ego und Macht gewesen wäre, setzte eine seiner Amüsierdamen dem noch die Krone auf, indem sie dem Gastgeber dessen Einstecktuch, versehen mit einem frischen Lippenabdruck, in die Brusttasche seines Jacketts steckte und ihm anschließend noch etwas ins Ohr flüsterte. Welche Schmach, dachte Pytlik, muss das nur für die bedauernswerte Gerda sein! Er schaute sich kurz um, so gut es ging. Weder Franziska noch ihre Schwester wohnten dem Spektakel bei.

      Dann ging alles ganz schnell: Joseph Ferdinand Kaiser machte nur wenige kraftvolle Schritte. Als er kurz vor dem Beckenrand mit dem rechten Bein hoch nach vorne absprang, drehte er sich, begleitet von einem Schrei der Freude, in der Luft und schlug danach, halb mit der Schulter, halb mit dem Kopf, auf der Wasseroberfläche auf, unter der er anschließend für einige Momente verschwand.

      Das Grölen der Menge hatte den Siedepunkt erreicht. Als wäre es eine selbstverständliche Pflicht, es dem zugedröhnten und hemmungslosen Gastgeber gleichzutun, sprangen in den nächsten Augenblicken nicht wenige wie die Lemminge hinterher.

      Pytlik kam es nicht ungelegen, dass er im Getümmel der faszinierten Gäste immer weiter nach hinten durchgereicht wurde. Nun wusste er endgültig, dass es in diesem Haus nicht mehr seiner Anwesenheit bedurfte. Während er noch überlegte, wo Franziska sich aufhielt, sah er plötzlich zwei Männer und eine Frau des Sicherheitsdienstes, die den Eindruck erweckten, als gäbe es ein Problem. Und sie schienen nicht mit irgendjemandem darüber sprechen zu wollen. Während einer der drei unablässig in das Mikrofon seines Headsets sprach, bahnte er sich mit gebotener Rücksicht und Freundlichkeit, aber konsequent und kompromisslos seinen Weg. Pytlik stoppte und sah, dass nur Kaiser das Ziel sein konnte. Der Kronacher Hauptkommissar hätte es nicht für möglich gehalten: Irgendwie war es der jungen Frau, die eher zierlich wirkte, aber resolut ihren Weg ging, gelungen, dem wie eine Luftmatratze im Wasser treibenden Gastgeber ein unauffälliges Zeichen zu geben. Es musste eine Art Notfallcode sein, dachte sich Pytlik. Anders konnte er sich nicht erklären, dass Kaisers Partygesicht plötzlich wie eingefroren schien. Die Securityfrau legte ihren Kopf einmal leicht zur Seite und bedeutete ihm damit, dass eine Rücksprache dringend notwendig wäre.

      Unter dem Applaus der Gäste verließ Kaiser nur kurz darauf den Pool, winkte artig wie ein Popstar und sprach ein paar wenige Worte mit einem Mann, den Pytlik schon vorher als eine Art Vertrauten ausgemacht hatte. Mit einem Handtuch rubbelte er sich gründlich den Kopf und zog sich danach provisorisch einen Bademantel an, bevor er mit den drei Begleitern in einem Nebengang verschwand. Niemand hatte in diesem Moment wohl bemerkt, dass Joseph Ferdinand Kaiser aus irgendeinem Grund seine gute Laune schlagartig verloren hatte.

      ***