Paul Stefan Wolff

Der Mann, der zu Sophie wollte


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gemütlichen Schweinsäuglein, die schon beim erstem Bier glänzten. Seine Handbewegungen hatten zu Beginn etwas Entschlossenes, Ruckartiges, auf den letzten Millimetern vor dem jeweiligen Ziel überkam sie eine plötzliche Scheu - als hätte jemand die Notbremse gezogen - und dann wurden sie zaghaft tastend, fast sanft. Er trug ein lockeres T-Shirt, das nur über sein kleines Bäuchlein spannte, was seinem Alter von geschätzt Mitte 30 entsprach. Darüber eine Jeansjacke, für den warmen Maiabend des Jahres 2017 fast zu viel. „Er hat die letzten Monate bei mir gewohnt.“

      „Ist er übers Badewannenwasser gelaufen?“ fragte ich.

      „Nicht Jesus, einen Engel. Einen Engel, der gefallen ist. Vom Himmel. Wegen einer Frau, die Sophie heißt.“ Er deutete mit der linken Hand den Fall an, er war Linkshänder. „Willst du die Geschichte hören? Wenn du das Ende errätst, gebe ich dir ein Bier aus.“

      „Ich weiß nicht...“, sagte ich.

      „Kennst du das Gefühl, reformbedürftig zu sein. Ohne es genau benennen zu können. Das beißende Gefühl, man arbeitet unter seinen Möglichkeiten?“

      „Ja.“

      „Es ist ein und dieselbe Geschichte, aber mit zwei Seiten. Wie ein Haus, das sich bei richtigem Lichteinfall in einem See spiegelt. Die eine Seite ist: Alex hat jeden Tag die Wolken gegrüßt. Wirklich jeden Tag. Er sagte, sie seien unsere Beschützer und gleichzeitig neugierige Zuschauer. Manchmal, wenn nur wenige Wolken am Himmel waren, hat er sie einzeln gegrüßt. Er sagte, sie seien eine Näherung an Engel. Drogen hat er keine genommen. Aber dennoch war er wie aus einer anderen Welt. So voller Lebensfreude über die kleinen Dinge.“

      Ich sagte nichts.

      „Und andererseits ist es ein Krimi, es geht um einen Heiratsschwindler. Die Frage ist, ist das der gleiche Mann? Willst du jetzt meine Story hören? Die Geschichte von dem Mann, der zu Sophie wollte?“

      Ich wusste immer noch nicht.

      „Er sagte mal, vieles am Glauben an Gott der Menschen versucht von oben Ideale nach unten zum Leben zu senden. Dieses von oben nach unten erzeugt Scheinheiligkeit. Das schreckt die Menschen vom Glauben ab, dieser Unterschied zwischen Soll und Ist. Aber Gott will, dass wir ohne die Ideale von oben wachsen von unten – durch Selbsterkenntnis. Es ist wie ein Bild von einem Hochhaus, das seine Wahrheit im Wasser spiegelt. Vergiss das Hochhaus selber. Es geht um das Spiegelbild. Gott regnet von oben OHNE dass es FORDERT zu wachsen. Wachstum findet von selbst statt. Es geht um Wachstum, gute Taten, nicht, um sich den Regen zu verdienen. Sondern aus Dankbarkeit über den Regen, die Liebe, die von oben kommt. Gott ist kein blindwütiger Idealist, er ist einer, der hofft. Dostojewski sagte mal, jemanden lieben heißt ihn zu sehen, wie ihn Gott gemeint hat. Und Gott hat von Menschen eine sehr hohe Meinung. Er hofft, sie wachsen in der Liebe. Von selber. Nicht um sich was zu verdienen. Sondern weil sie lieben und hoffen. Es gibt wohl die eine Hoffnung, die fordert, dass es so wird, wie man will. Aber die andere Hoffnung ist die Wahrheit. Es gibt keine göttlichere Eigenschaft als die verständnisvolle sanfte Hoffnung. Aus diesem Grunde stirbt sie immer zuletzt.“

      „Gott“, sagte ich. „Immer Gott. Und was ist mit dem Wilden auf der einsamen Insel? Darf der nix davon haben?“

      „Er sagte mal, jemand, der sieht, wie Regen und Sonne auf alle fallen, die auf der Erde sind. Und der daraufhin versteht, dass die Liebe eines wie auch immer Höchsten JEDEN trifft und sie somit mit Liebe und Verständnis zu behandeln sind – der hat es genauso verstanden, was Gottes Liebe heißt. Es gibt keine Wilden, die nicht irgendwelche Tiere zähmen oder züchten. Das tun ALLE Menschen. Das sind dann deren Nächsten in unserem Gedankenspiel, die müssen sie lieb und verständnisvoll und mit Nachsicht behandeln. Selbst wenn keine anderen Menschen da sind. Wenn andere Menschen da sind, umso besser.“

      „Ein Engel, einer von den ganz großen? Ein Erzengel? Fehlt der denn nicht im Himmel? Engel sind Seelenwesen“, warf ich ein. „Die WOLLEN gar nicht Mensch werden!“

      „Außer wenn sie kleine Lehrlinge sind und auch mal die menschliche Seite kennenlernen wollen. Was sind schon einige Jahre als lebender Mensch gegen die Ewigkeit? Darf ein Engel nicht auch verstehen, wirklich verstehen, was es heißt, Mensch zu sein? Wir Menschen sind doch ständig auf der Suche nach einem Zeichen des Göttlichen im irdischen Dasein. Ein Beweis für das Dasein Gottes? Ist denn ein Ex-Engel nicht in der gleichen Frage wie ein Mensch? Nur die ERINNERUNG an Gottes Allmacht? Ist ein solcher Engel nicht in der selben Entscheidung, sich zu fragen, es wird nie wieder – das Paradies? Von Gott nur eine AHNUNG haben. Kein entscheidender Unterschied? Und die weitaus wichtigere Frage: herausfinden, ist denn die Liebe einer Frau es wert, diese Unsicherheit auf sich zu nehmen? Ich sage dir ehrlich, ich glaube es nicht. Ich für meinen Teil würde als Engel NIE NIE NIE Mensch werden wollen. Ich habe nur die Story von einem Wesen, der Mensch geworden ist weil er Jesus Leben als Mensch nachempfinden wollte, und das darf ein Engel. Weil vielleicht die nächsten Führer der Gotteswelt die sind, die wissen, wie es ist, als Mensch zu leben. Das Praktikum nach dem Studium – für Engel. Willst du die Story hören, von dem Ex-Engel, der Mensch wurde, um ein besserer Engel dann zu werden? Weil Weiterbildung und Entwicklung das Größte ist. Ich persönlich denke, er tat einen Fehler darin, für die zwischenmenschliche Liebe den Schritt zu wagen, Mensch zu werden. Aber ich denke nicht, dass Mensch zu werden ein Fehler ist. Weil die übergeschlechtliche Liebe es wert ist, Mensch zu werden. Weil Liebe das kann. Wandel. Weiterbildung. Weitergehen. Ich habe diese Art zu reden bei ihm gelernt, willst du diese Story hören? Die Story von einem Ex-Engel, der Mensch wurde für die zwischengeschlechtliche Liebe – und der mehr fand.“

      Ich war unschlüssig: „Was ist die Quintessenz? Ich will erst das Ergebnis hören. Ich gehöre zu den Menschen, das Ziel heiligt die Mittel. Sage mir zunächst das Ergebnis.“

      „Es gibt dieses Gleichnis von Jesus, der Herr des Weinbergs sagt seinem Sohn, gehe heute in den Weinberg. Und er sagt nein, geht aber doch. Und der Herr geht daraufhin zum anderen Sohn, der sagt ja, geht aber nicht. Es geht in diesem Gleichnis nur vordergründig darüber, welcher selbsternannte Gottesmann sein Werkt tut. Es geht um mehr, es geht um dich. Denn stell dir nun vor, du bist der Knecht des Herrn, du gehst am Abend zum Herrn, du weißt, ein Sohn war da. Und du berichtest von der guten Arbeit im Weinberg. Deine Aufgabe ist alleine das berichten, dass ein Sohn da war. Du kennst das Gespräch nicht, welcher Sohn ja gesagt hat, welcher nein. Wirst du das Vertrauen in den Herrn des Weinbergs haben, dass der schon weiß, welcher Sohn die Arbeit gemacht hat – die nun mal zu machen ist. Die guten Taten, die helfen. Kannst du der Knecht sein, der einfach berichtet über die Arbeit, ohne auf die Intrigen zu achten? Kannst du dem Herrn des Weinbergs vertrauen?“ Er machte eine Pause. „Willst du die Story von einem hören, der wusste, welcher der Söhne ja und nein gesagt hat und trotzdem dem Herrn vertraut hat? Dass der Herr eine Antwort hatte. Dass der Herr die Antwort darauf hatte, welcher seiner Söhne da war und gearbeitet hat? Willst du die Story eines Menschen hören, der so viel Vertrauen hatte, dass er wusste, der Herr hat das GANZE WISSEN? Willst du die Story eines Wesens hören, der wirklich vertraut hat?“

      Ich sagte nichts.

      „Stell dir vor“, sagte er. „Du bist der Knecht, der weiß ganz genau, welcher Sohn da war und der andere, der gesagt, der geht hin und ging nicht. Und dir wird gesagt, geh hin zum Herrn und sage ihm nur das: Dein Sohn war da und die Arbeit war gut. Hast du genug Vertrauen in den Herrn, dass du ihm nicht sagst, extra sagst, welcher Sohn da war. Willst du die Story von dem hören, von dem einen Engel-Boten, der die Schnauze halten konnte. Der nicht gesagt hat, welcher Sohn da war. Die Story von einem, der genug Vertrauen hatte. Und dem vielleicht deswegen die Gnade erlaubt wurde, für sowas Vergängliches wie die Liebe zu einer Menschenfrau Mensch zu werden. Die Frage ist die gleiche, denn wenn du glaubst, es gibt Boten, die an Gottes Einsicht in die Wahrheit glauben – was ein Wunder wäre - , dann gibt es auch Engel, die die Grenze zum Menschsein, zur Hoffnung auf die Wahrheit, übertreten dürfen. Also, glaubst du, dass es Engel gibt, die Gott wirklich vertrauen? Glaubst du, dass es Boten gibt, die glauben, der Herr weiß alles? Glaubst du schließlich, dass es einen Gott gibt, der alles, wirklich ALLES kann?“

      Jetzt bejahte ich, ich wollte die Story hören. Er hat dann angefangen zu erzählen. Und er fuhr fort auf dem Heimweg an jenem Morgen.

      „Hast