Miguel de Cervantes

Don Quijote


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Grausame, diese Unerkennbare wird nie und nimmermehr jene herbeiwünschen, ihnen huldigen, ihre Bekanntschaft und ihren Umgang suchen.

      Wenn rastlose Leidenschaft und ungestümes Begehren Grisóstomo den Tod gebracht haben, warum soll mein sittsames Benehmen, meine züchtige Zurückhaltung beschuldigt werden? Wenn ich meine Reinheit im Verkehr mit den Bäumen des Waldes bewahre, wie kann der verlangen, daß ich sie opfere, der da verlangt, daß ich Verkehr mit Männern unterhalte? Ich besitze eigne Habe, wie ihr wisset, und begehre fremder nicht; ich bin freien Standes, und es behagt mir nicht, mich von jemand abhängig zu machen. Ich liebe und hasse niemand; nicht täusche ich daher diesen und werbe um jenen, nicht treibe ich Spiel mit dem einen noch Scherz mit dem andern. Der sittsame Umgang mit den Mägdlein dieser Dörfer und das Hüten meiner Ziegenherde ist meine Unterhaltung; meine Wünsche haben diese Berghöhen zur Grenze, und wenn sie je darüber hinausstreben, so geschieht es doch nur, um die Schönheit des Himmels zu betrachten, eine Beschäftigung, die die Seele zu ihrer ersten Wohnung zurückleitet.«

      Und mit diesen Worten, ohne eine Entgegnung hören zu wollen, wandte sie ihnen den Rücken und bog ins tiefste Dickicht eines nahen Bergwaldes ein, während sie alle Anwesenden in hohem Staunen über ihren Verstand und über ihre Schönheit zurückließ. Und einige aus der Zahl jener, die sich vom mächtigen Geschoß ihrer schönen Augenstrahlen getroffen fühlten, machten Miene, ihr zu folgen, ohne die unumwundene Absage, die sie vernommen, sich zunutze zu machen.

      Sowie Don Quijote dies bemerkte, erachtete er hier sogleich die rechte Gelegenheit gekommen zur Übung seiner Ritterpflicht, bedrängten Jungfrauen beizustehen; und die Hand an den Knauf seines Schwertes legend, sprach er mit lauter, vernehmbarer Stimme: »Keiner, wes Standes und Ranges er auch sei, erkühne sich, der schönen Marcela zu folgen, bei Strafe, meinen wütigen Groll zu erfahren. Sie hat mit klaren, genügenden Gründen dargelegt, wie sie geringe oder gar keine Schuld an Grisóstomos Tode trägt und wie fern sie dem Gedanken steht, auf die Wünsche irgendeines ihrer Liebeswerber einzugehen; und aus sotanen Gründen ist es gebührend, daß, anstatt Marcela zu folgen und zu verfolgen, sie geehrt und hochgeschätzt werde von allen Redlichen auf dieser Erde, sintemal sie erweiset, daß auf selbiger sie allein es ist, die in so tugendsamen Gesinnungen lebt.«

      Ob es nun um der Drohungen Don Quijotes willen geschah oder weil Ambrosio sie ersuchte, bald zu Ende zu bringen, was sie ihrem guten Freunde schuldig waren, keiner von den Hirten rührte sich oder wich von der Stelle, bis das Grab fertiggegraben, Grisóstomos Papiere verbrannt und sein Leichnam – nicht ohne reichliche Tränen der Umstehenden – in die Erde versenkt worden. Dann verschlossen sie die Gruft einstweilen mit einem Felsblock, bis der Grabstein bereit wäre, den Ambrosio, wie er mitteilte, fertigen zu lassen gedachte, mit einer Inschrift, die folgendes aussagen sollte:

      Hier ruht aus ein liebend Herz,

       Und sie, die ihm schuf die Leiden,

       Da die Herd er ging zu weiden,

       Weidet sich an seinem Schmerz.

      Schön war, die den Tod ihm gab,

       Aber grausam ohnegleichen: –

       So führt nun in Amors Reichen

       Tyrannei den Herrscherstab.

      Sodann streuten sie auf das Grab viele Blumen und Zweige, und nachdem sie alle ihrem Freunde Ambrosio ihr Beileid bezeigt, nahmen sie von ihm Abschied. So taten auch Vivaldo und sein Gefährte, und Don Quijote nahm Urlaub von seinen Wirten und den beiden Reisenden, welche ihn baten, mit ihnen nach Sevilla zu kommen, weil dieser Ort sich so dazu eigne, Abenteuer zu finden, daß sie sich in jeder Gasse und hinter jeder Ecke häufiger bieten als irgendwo auf Erden. Don Quijote dankte ihnen für den guten Rat und für den ihm bezeigten Willen, ihm förderlich zu sein, erklärte aber, daß er für jetzt nicht nach Sevilla gehen wolle und dürfe, bis er dieses ganze Gebirge von den Räubern und Wegelagerern gesäubert habe, mit denen es, wie es allgemein heiße, angefüllt sei.

      Da die Reisenden sein edles Vorhaben ersahen, wollten sie nicht weiter in ihn dringen, sondern nahmen nochmals Abschied, verließen ihn und verfolgten ihren Weg weiter, wobei es ihnen nicht an Stoff zur Unterhaltung fehlte sowohl über Marcelas und Grisóstomos Geschichte als auch über die Narreteien Don Quijotes. Dieser indessen beschloß, die Hirtin Marcela aufzusuchen und alles ihr zu erbieten, was er zu ihrem Dienste vermöchte. Allein es erging ihm anders, als er dachte; wie dieses nun im Fortgang unserer wahrhaftigen Geschichte erzählt werden soll.

      15. Kapitel

      Worin das unglückliche Abenteuer erzählt wird, welches Don Quijote begegnete, als er den ruchlosen Yanguesen begegnete

      Es erzählt der gelahrte Sidi Hamét Benengelí, daß Don Quijote, sobald er sich von seinen Wirten und von allen andern, die der Beerdigung des Schäfers Grisóstomo beigewohnt, verabschiedet hatte, sofort mit seinem Schildknappen den Weg in denselben Wald nahm, in welchen, wie sie gesehen, die Schäferin Marcela sich begeben hatte. Sie waren zwei Stunden lang darin umhergeschweift, hatten sie allerorten gesucht, ohne sie finden zu können, und gelangten endlich an eine Wiese voll frischen Grases, an der ein Bach vorbeifloß, so anmutig und kühl, daß er sie einlud, ja sie nötigte, hier die Stunden der Mittagshitze zu verbringen, die sich bereits mit drückender Gewalt einzustellen begann.

      Don Quijote und Sancho stiegen ab, und das Grautier und Rosinante frei umher das reichlich vorhandene Gras abweiden lassend, gingen sie daran, alles Eßbare aus Sanchos Habersack in den Magen einzusacken, und ohne viel Umstände wurde, was darin war, in gemütlicher Eintracht und Kameradschaft von Herrn und Diener aufgegessen.

      Sancho war es nicht zu Sinn gekommen, dem Rosinante eine Spannkette anzulegen; er war unbesorgt, da er den Gaul als ein so sanftes und so wenig brünstiges Tier kannte, daß alle Stuten von den Gehegen von Córdoba ihn nicht zu etwas Ungebührlichem hätten verleiten können.

      Nun aber fügten es das Schicksal und der Teufel, der nicht immer schläft, daß eine Koppel galizischer Stuten in diesem Tale weidete, geführt von Treibern aus Yanguas, die die Gewohnheit haben, Mittagsruhe mit ihren Tieren an Orten, wo es Gras und Wasser gibt, zu halten; und der Platz, wo Don Quijote sich gelagert, war den Yanguesen sehr gelegen. Da geschah es denn, daß den Rosinante die Lust ankam, mit den jungen Galizierinnen zu kurzweilen, und gleich wie er sie witterte, ganz aus der Art schlagend, ohne seinen Herrn um Erlaubnis zu bitten, setzte er sich kecklich in einen kurzen Hundetrab und sprengte hin, um seinem Herzensdrang bei ihnen obzuliegen; aber die Stuten, die offenbar mehr Lust zur Weide als zu anderm hatten, empfingen ihn so mit Hufen und Zähnen, daß sie ihm alsbald den Gurt sprengten und er ohne Sattel und Bügel dastand. Was ihn dabei am schmerzlichsten berühren mußte, war, daß die Säumer, sobald sie sahen, daß ihren Stuten Gewalt geschehen sollte, mit Knütteln herzuliefen und ihm so viel Prügel aufzählten, daß sie ihn übel zugerichtet zu Boden streckten.

      Don Quijote und Sancho, welche die Abprügelung Rosinantes mit angesehen, kamen jetzt keuchend herbei, und der Ritter sprach zu seinem Knappen: »Soviel ich sehe, Freund Sancho, sind dies nicht Ritter, sondern gemeines Volk und von niedriger Herkunft; ich sage dies, weil du hier mir allerdings beistehen kannst, die gebührende Rache zu nehmen für die Schmach, die vor unsern Augen Rosinante zugefügt worden.«

      »Was Teufel für Rache sollen wir nehmen«, entgegnete Sancho, »wenn ihrer mehr als zwanzig und unser nur zwei sind, und vielleicht gar nur anderthalb?«

      »Ich zähle für hundert«, entgegnete Don Quijote. Und ohne mehr Worte zu verlieren, griff er zum Schwert und fiel über die Yanguesen her; und dasselbe tat Sancho Pansa, befeuert und angetrieben durch das Beispiel seines Herrn. Und gleich zum Beginn versetzte Don Quijote dem einen einen Hieb, der ihm den Lederkittel samt einem großen Teil der Schulter spaltete. Die Yanguesen, die von nur zwei Leuten sich mißhandelt sahen, während ihrer so viele waren, griffen zu ihren Knütteln, und die beiden in die Mitte nehmend, begannen sie mit gewaltigem Nachdruck und Ingrimm auf sie loszudreschen. Die Wahrheit verlangt zu sagen, daß sie schon mit dem zweiten Schlag Sancho zu Boden streckten und dem Ritter das nämliche geschah, ohne daß seine Gewandtheit oder sein mutiger Sinn ihm geholfen hätten, und sein Geschick wollte, daß er zu Rosinantes Füßen zu Fall kam, der sich noch nicht wiederaufgerichtet